Tag Berufsunfähigkeitsversicherung

Falsch beantwortete Gesundheitsfragen bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung kann den Versicherungsschutz gefährden

Mit Urteil vom 16.07.2021 – 11 O 4279/20 – hat die 11. Kammer des Landgerichts (LG) Nürnberg-Fürth in einem Fall, in dem in einem 

  • Antrag auf Abschluss einer selbstständigen Berufsunfähigkeitsversicherung 

die unter der Überschrift „Angaben zum Gesundheitszustand“ gestellten Fragen, u.a.

  • zu Krankheiten, Beschwerden oder Funktionsstörungen bei inneren Organen, im Bereich des Nervensystems, der Gelenke sowie der Wirbelsäule, der Augen und der Psyche sowie 
  • nach Behandlungen in den letzten fünf Jahren vor Abschluss des Versicherungsvertrages und 
  • Krankenhausaufenthalten

trotz des Hinweises, dass 

  • auch solche Umstände anzugeben seien, denen der Versicherungsnehmer nur geringe Bedeutung beimesse und 
  • bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht die Versicherung den Vertrag beenden könne,

von der späteren Versicherungsnehmerin alle mit „nein“ angekreuzt und u.a. verschwiegen worden war, dass sie 

  • sowohl wegen orthopädischer als auch psychischer Beschwerden in Behandlung und 
  • nur wenige Tage vor Abschluss des Versicherungsvertrages wegen Migräne, nach der ebenfalls ausdrücklich gefragt worden war, gleich zweimal beim Arzt gewesen ist,  

entschieden, dass der, 

  • wegen dieser unterlassenen Angaben bei den Fragen zum Gesundheitszustand

erfolgte Rücktritt der Versicherung vom Versicherungsvertrag, den die Versicherung erklärt hatte, 

  • nachdem von der Versicherungsnehmerin in Folge von bei einem Verkehrsunfall erlittener schwerer Verletzungen Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend gemacht worden waren,

berechtigt war und deswegen die Versicherungsnehmerin aus dem Versicherungsvertrag 

  • keine Leistungen 

beanspruchen kann.

Begründet hat das LG dies damit, dass die Fragen zum Gesundheitszustand im Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung 

  • wahrheitsgemäß und 
  • vollständig

beantwortet werden müssen, damit der Versicherer die Möglichkeit hat zu entscheiden,

  • ob er das Risiko, den Antragsteller zu versichern, übernehmen oder 
  • den Versicherungsvertrag nur zu anderen Konditionen abschließen will,      

hierfür zutreffend anzugeben sind sowohl die Tatsachen, welche 

  • für den Vertragsschluss als solchen 
  • aber auch für den Umfang der vertraglichen Leistungen 

bedeutsam sind und vorliegend von der Versicherungsnehmerin, 

  • durch die bewusst nicht korrekte Beantwortung der Fragen zu ihrem Gesundheitszustand,

arglistig ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt wurde (Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg).

Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt sollte wissen, dass falsche Angaben die Versicherung zum Rücktritt

…. berechtigen können. 

Mit Urteil vom 13.08.2020 – 11 U 15/19 – hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig in einem Fall, in dem ein Vater, 

  • bei dem Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung für seine 15-jährige Tochter, 

die Frage im Versicherungsformular 

  • nach aufgetretenen Krankheiten in den letzten fünf Jahren 

mit „nein“ beantwortet hatte, 

  • obwohl die Tochter damals bereits seit zwei Jahren an einer Psycho- und Verhaltenstherapie, unter anderem wegen Entwicklungs- und Essstörungen, teilnahm

und die Versicherung, als der Vater sie, 

  • weil seine Tochter wegen psychischer Beeinträchtigungen nicht in der Lage war, ihre Schulausbildung fortzusetzen oder eine Berufsausbildung zu beginnen, 

in Anspruch nehmen wollte, dies ablehnte und vom Vertrag (nach § 19 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG)), 

  • wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurücktrat, 

entschieden, dass,

  • aufgrund der im Versicherungsformular bei Vertragsschluss bewusst wahrheitswidrig beantworteten Fragen zum Gesundheitszustand der Versicherungsnehmerin,  

der Rücktritt der Versicherung berechtigt war. 

Begründet hat der Senat dies mit 

  • der Eindeutigkeit der Frage nach Vorerkrankungen in dem Versicherungsformular 

sowie damit, dass dem Vater die Störungen seiner Tochter bekannt gewesen seien und ihm,

  • weil er erkannt und gebilligt habe, dass von der Versicherung, hätte sie von der Krankheit der Tochter gewusst, der Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht oder nur zu anderen Konditionen geschlossen worden wäre, 

arglistiges Handeln vorzuwerfen sei (Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig). 

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, wissen sollte

Mit Urteil vom 15.02.2017 – IV ZR 91/16 – hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass die in Verträgen über eine Berufsunfähigkeitsversicherung verwendete Klausel

  • „Als versicherter Beruf im Sinne der Bedingungen gilt die vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit mit der Maßgabe, dass sie zu mindestens 90 Prozent als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird und im Falle einer BU-Leistungsprüfung die Bemessung der Berufsunfähigkeit ausschließlich auf dieser Basis erfolgt.“

wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam ist.

Begründet hat der Senat dies u.a. damit, dass die Berufsunfähigkeitsversicherung für einen Versicherungsnehmer erkennbar das Risiko abdecken soll, das für ihn infolge eines Einnahmeverlusts entsteht, wenn er seinem tatsächlich zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2016 – IV ZR 434/15 –),

  • im zweiten Halbsatz der obigen Klausel jedoch nicht mehr auf den tatsächlich zuletzt ausgeübten Beruf abgestellt wird, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet ist,
  • sondern dies dahin eingeschränkt wird, dass das lediglich mit der Maßgabe gilt, dass die Tätigkeit zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird,

damit auf einen fingierten Beruf abgestellt wird, der mit der tatsächlichen Berufstätigkeit des Versicherungsnehmers nichts zu tun haben muss und

  • diese Abweichung vom allgemeinen Verständnis des versicherten Berufs sich einem durchschnittlichen Versicherungsinteressenten nicht hinreichend erschließt,
  • ihm insbesondere nicht mit der erforderlichen Klarheit die Gefahr einer Versicherungslücke verdeutlicht wird, die entsteht, wenn
    • er eine nicht sitzende oder zu weniger als 90 % sitzende Tätigkeit nicht mehr,
    • eine zu mindestens 90 % sitzende Tätigkeit indessen weiter ausüben könnte.

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, wissen sollte

Ein Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag darf vom Versicherer fristlos gekündigt werden, wenn

  • durch das Verhalten des Versicherungsnehmers das Vertrauen des Versicherers in die Redlichkeit des Versicherungsnehmers derart erschüttert ist,
  • dass eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlagen nicht mehr zumutbar ist.

Darauf hat der 5. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 28.11.2016 – 5 U 78/16 – in einem Fall hingewiesen,

  • in dem ein Arbeitnehmer aus der von ihm abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung zunächst Zahlungen wegen Berufsunfähigkeit erhalten hatte,
  • der Versicherungsvertrag vom Versicherer nachfolgend aber deshalb gekündigt worden war, weil
    • bei einer Überprüfung seines Gesundheitszustandes der im Rollstuhl sitzend angetroffene Versicherungsnehmer vorgegeben hatte, Schmerzen zu haben,
    • während er, wie Recherchen ergeben hatten, nicht nur auf aktuellen im Internet veröffentlichten Bildern als erfolgreicher Marathonläufer posierte, sondern Interessenten auch seine Dienstleistungen als Küchenbauer anbot.

Nach Auffassung des Senats ist bei einem solchen Verhalten eines Versicherungsnehmers das Vertrauensverhältnis in dessen Redlichkeit in so hohem Maße zerstört, dass der Versicherer berechtigt ist

  • den Versicherungsvertrag wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ohne weiteres Zuwarten – auch für die Zukunft – fristlos zu kündigen und
  • zwar ohne vorherige Abmahnung, da ansonsten jeder Versicherungsnehmer die Möglichkeit hätte, einmal sanktionslos zu versuchen, die Versicherung hinters Licht zu führen (Quelle: Presseinformation des OLG Oldenburg).

Was, wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat oder abschließen will, wissen sollte

Wer eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen hat, nach der bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit

  • vorliegt, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich auf Dauer (mindestens sechs Monate) außer Stande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben

oder

  • dann vermutet wird, wenn die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig oder teilweise außer Stande gewesen ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben und in dieser Zeit auch keine andere Tätigkeit ausgeübt hat, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht

und wegen geltend gemachter Berufsunfähigkeit Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung begehrt, muss im Streitfall nachweisen, dass er bedingungsgemäß berufsunfähig ist.

In Fällen, in denen ein Versicherungsnehmer

  • an Schmerzen leidet,
  • deren Ursache sich nicht klären lässt,

kann zwar eine Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung in Betracht kommen.

In prozessualer Hinsicht stellt sich in einem solchen Fall für den Versicherungsnehmer

  • jedoch das Problem der Beweisbarkeit,
  • da es sich bei Schmerzen und deren Ausmaß um subjektive Empfindungen handelt (Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Urteil vom 11.01.2002 – 10 U 786/01 –; Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth, Urteil vom 12.12.2005 – 2 O 1626/05 –).

Zusätzlich ist dabei zu berücksichtigen, dass,

  • wenn die versicherte Person nicht sechs Monate ununterbrochen außerstande war, ihren bisherigen Beruf auszuüben, also keine vermutete Berufsunfähigkeit in Betracht kommt,

die Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit

Den Nachweis, dass

  • subjektiv empfundene Schmerzen
  • objektiv die Annahme der Berufsunfähigkeit rechtfertigen,

kann der Versicherungsnehmer im Wesentlichen auf zwei Wegen führen, nämlich

  • entweder durch den Nachweis körperlicher Ursachen
  • oder durch den Nachweis psychischer bzw. psychosomatischer Bedingtheit, die ihrerseits Krankheitswert aufweisen kann, wie insbesondere eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

Der Nachweis körperlicher Ursachen setzt voraus, dass

  • der Versicherungsnehmer unter Schmerzen leidet bzw. litt und
  • was entscheidend ist, sich zur Überzeugung des Gerichts objektiv feststellen lässt, dass diese Schmerzen – insbesondere nach ihrem Ausmaß – die Annahme der Berufsunfähigkeit rechtfertigen, wozu nicht nur erforderlich ist,
    • dass die Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers über „normale“, mit der von ihm verrichteten körperlichen Arbeit typischerweise verbundene Belastungsschmerzen hinausgingen,
    • sondern auch, dass die Schmerzen nach ihrem Ausmaß einer Berufsausübung entgegenstehen und
      • entweder prognostisch eine dauerhafte Berufsunfähigkeit zu erwarten ist oder
      • dieser Zustand zumindest für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen andauerte.

Darauf hat der 12. Senat des OLG Karlsruhe mit Urteil vom 06.09.2016 – 12 U 79/16 – hingewiesen.