Tag Beweiserleichterung

Was an einem (Ketten)Auffahrunfall beteiligte Fahrzeugführer und -halter wissen sollten

Bei Auffahrunfällen, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, kann der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er

  • entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)),
  • unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder
  • mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO).

Ein Auffahrunfall als solcher reicht als Grundlage eines Anscheinsbeweises allerdings dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses,

  • wie beispielsweise ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs,

bekannt sind, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16 –).

Bei Kettenauffahrunfällen,

  • d.h., wenn, sei es nun aktiv oder passiv im Sinne eines Aufschiebens, mehr als zwei Fahrzeuge miteinander kollidieren,

setzt der Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung

  • des Heckaufpralls (Heckschadens) durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer

die Feststellung voraus, dass

Hinsichtlich eines in der Kette befindlichen Fahrzeugs,

  • das sowohl Front- wie auch Heckschäden erlitten hat,

findet der Anscheinsbeweis keine Anwendung,weil

  • es ebenso möglich ist, dass das Fahrzeug bereits vor dem Auffahren durch das Fahrzeug des „Hintermannes“ seinerseits bereits auf das Fahrzeug des „Vordermannes“ aufgefahren war und
  • deshalb regelmäßig kein ausreichend typischer Geschehensablauf feststellbar ist (OLG München, Urteil vom 12.05.2017 – 10 U 748/16 –).

Allerdings gewährt die Rechtsprechung dem Fahrzeugeigentümer, dessen Fahrzeug auch einen Frontschaden erlitten hat eine Beweiserleichterung nach § 287 Zivilprozessordnung (ZPO).

Insoweit gilt:

Kann der Fahrzeugeigentümer, dessen Fahrzeug einen Frontschaden erlitten hat, Tatsachen nachweisen,

  • aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verursachung des Frontschadens durch den Hintermann ergibt,
  • nach denen mithin ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher ist als die Möglichkeit, dass der Geschädigte durch sein eigenes Verhalten (Auffahren auf den Vordermann) den Frontschaden an seinem Fahrzeug selbst verursacht hat,

ist der Hintermann für den gesamten (Heck- und Front-)Schaden des mittleren Fahrzeugs (mit)verantwortlich.

Ist die Verursachung des Frontschadens durch den Auffahrenden (also durch ein Aufschieben)

  • nicht weniger wahrscheinlich

als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß, kann

  • der gegen den Auffahrenden begründete Schadensersatzanspruch betreffend den Heckanstoß im Totalschadensfall nach § 287 ZPO durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens, gemessen am Verhältnis der jeweiligen Reparaturkosten, ermittelt werden.

Ist demgegenüber

  • die ursächliche Beteiligung des Hintermannes an dem Frontschaden (also durch ein Aufschieben)

weniger wahrscheinlich

  • als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß,

haftet der Hintermann nur für den ihm sicher zurechenbaren Heckschaden (Landgericht (LG) Saarbrücken, Urteil vom 07.09.2018 – 13 S 43/17 –).

Patienten sollten wissen, dass, wenn sich voll beherrschbare allgemeine Behandlungsrisiken verwirklichen und zur

…. Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten führen,

  • nach § 630h Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGH) ein Behandlungsfehler vermutet wird und
  • somit Ansprüche auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld bestehen können.

Voll beherrschbare Risiken i.S.v. § 630h Abs. 1 BGB,

  • die abzugrenzen sind von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind,

sind dabei dadurch gekennzeichnet, dass sie

  • durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt und
  • durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung – wie sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens – objektiv voll ausgeschlossen werden können und müssen.

Zuzurechnen sind dem voll beherrschbaren Risiko beispielsweise,

  • der ordnungsgemäße Zustand eines verwendeten Tubus,
  • die Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegeräts,
  • die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels oder
  • die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit,
  • die unbemerkt gebliebene Entkoppelung eines Infusionssystems,
  • das Zurückbleiben eines Tupfers im Operationsgebiet,
  • die vermeidbare Keimübertragung durch an der Behandlung beteiligte Personen und
  • grundsätzlich auch die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch.

In diesen und in anderen Fällen, in denen objektiv eine Gefahr besteht bzw. bestand,

  • deren Quelle jeweils festgestellt und
  • die deshalb mit Sicherheit hätte ausgeschlossen werden können,

können Patienten,

  • wenn darauf eine Verletzung ihres Lebens, ihres Körpers oder ihrer Gesundheit zurückzuführen ist,

für sich die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB in Anspruch nehmen und tragen sie somit nicht die Beweislast (Bundesgerichtshofs (BGH), Urteil vom 28.08.2018 – VI ZR 509/17 –).