Tag Gegenverkehr

Was Autofahrer, die auf schmalen Straßen bei Dunkelheit und erkennbarem Gegenverkehr unterwegs sind,

…. wissen sollten.

Mit Urteil vom 04.03.2020 – 14 U 182/19 – hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle in einem Fall, in dem sich auf einer 4,95 m breiten Gemeindestraße

  • ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen

in einer leichten Rechtskurve

  • bei Dunkelheit

ein Verkehrsunfall zwischen

  • einem etwa 75 bis 85 km/h (bei erlaubten 80 km/h) fahrenden PKW und
  • einem überbreiten, ordnungsgemäß beleuchteten, etwa 25 bis 35 km/h fahrenden landwirtschaftlichen Gespann (Schlepper und Anhänger)

ereignet hatte, entschieden, dass

  • der PKW-Fahrer nicht mit einer den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen angepassten Geschwindigkeit gefahren ist und
  • den Unfall durch dieses verkehrswidrige Verhalten verursacht hat,

der Eigentümer des landwirtschaftlichen Gespanns jedoch,

  • weil er sich die – bei einem überbreiten landwirtschaftlichen Gespann mit einem Gewicht von 18 t erhöhte – Betriebsgefahr des § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) anrechnen lassen müsse,

von dem PKW-Fahrer nur 70% seiner Schäden ersetzt verlangen kann.

Nach Auffassung des Senats hätte der PKW-Fahrer

  • einkalkulieren müssen, dass das für ihn im Gegenverkehr erkennbare Gespann (Fahrzeugbeleuchtung) überbreit ist und
  • angesichts der schmalen Straße sowie der Dunkelheit

so langsam fahren müssen, dass er sein Fahrzeug

  • mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke

hätte anhalten können (§ 3 Abs. 1 Satz 5 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) [halbe Sicht]),

Wann spricht der Anscheinsbeweis gegen einen nach rechts in eine bevorrechtigte Straße einfahrenden Wartepflichtigen?

Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) darf ein Wartepflichtiger nur in eine vorfahrtsberechtigte Straße einfahren,

  • wenn dadurch Vorfahrtsberechtigte weder gefährdet noch wesentlich behindert werden,
  • wobei sich die Pflichten nach § 8 Abs. 2 StVO nicht nur auf das sog. Einmündungsviereck erstecken, sondern darüber hinaus
    • auch auf den Bereich, in dem sich die Fahrlinien der Fahrzeuge kreuzen, berühren oder bedrohlich nähern und
    • Vorfahrtsberechtigte dadurch in ihrer Weiterfahrt behindert werden können.

Kein Anscheinsbeweis spricht gegen einen Wartepflichtigen, der aus einer untergeordneten Straße nach rechts in eine bevorrechtigte Straße einbiegt und in dem durch die Vorfahrt geschützten Bereich mit einem (von rechts kommenden) vorfahrtsberechtigten Fahrzeug zusammenstößt dann,

  • wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass der Wartepflichtige den Bevorrechtigten auch bei der nach § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO gebotenen größten Sorgfalt nicht hätte wahrnehmen können,

da die bloße Möglichkeit, dass auf der Vorfahrtstraße ein anderes Kraftfahrzeug herannahen könnte, noch keine Wartepflicht auslöst und demzufolge ein Wartepflichtiger das Vorfahrtsrecht eines herannahenden Verkehrsteilnehmers nur dann zu beachten hat,

  • wenn das bevorrechtigte Fahrzeug in dem Augenblick, in dem er mit dem Einfahren beginnt, bereits sichtbar ist,

Ebenfalls kein Raum für einen Anscheinsbeweis nach § 8 StVO ist, wenn für den nach rechts in die Vorfahrtsstraße einbiegenden Wartepflichtigen,

  • beim Beginn des Einbiegens sich nicht nur von links keine Fahrzeuge näherten,
  • sondern auch die für ihn rechte Straßenseite frei war und
  • keine Anzeichen dafür sprachen, dass eines der sich auf der bevorrechtigten Straße von rechts nähernden Fahrzeuge die Fahrbahnseite wechseln wird,

weil ein Wartepflichtiger in einem solchen Fall grundsätzlich davon ausgehen darf, dass er keinen der vorfahrtberechtigten Fahrer in der Weiterfahrt behindern wird.

Allerdings spricht der Anscheinsbeweis nach § 8 StVO gegen einen nach rechts in die Vorfahrtsstraße einbiegenden Wartepflichtigen dann,

  • wenn im Hinblick auf bestehende Örtlichkeiten – etwa der relativ geringen Straßenbreite, dem Fehlen einer Mittellinie, von beidseits geparkten Fahrzeugen usw. –

der Wartepflichtige nicht darauf vertrauen konnte, dass die Fahrspur der bevorrechtigten Straße, auf die er einzufahren beabsichtigt, frei ist sowie auch frei bleibt,

  • weil er in einem solchen Fall nicht darauf vertrauen darf, dass er, ohne den Gegenverkehr zu behindern oder zu gefährden, in die vorfahrtsberechtigte Straße wird einfahren können.

Darauf hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Saarbrücken mit Urteil vom 29.04.2016 – 13 S 3/16 – hingewiesen.