…. die Meinungsfreiheit geschützt sind?
In vier Beschlüssen vom 19.05.2020 – 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19, 1 BvR 362/18 – hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darauf hingewiesen, dass zur Beurteilung, ob
- eine (gravierend) ehrbeeinträchtigende Äußerung
rechtswidrig und unter den Voraussetzungen der §§ 185, 193 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar ist oder nicht, es,
- – sofern nicht (schon) der Sonderfall einer Schmähkritik, einer Formalbeleidigung oder einer Verletzung der Menschenwürde vorliegt, hinter die die Meinungsfreiheit ausnahmsweise stets zurücktritt –
zunächst der Ermittlung
- des Sinns der infrage stehenden Äußerung
bedarf und anschließend daran,
- unter Berücksichtigung der kontextbezogenen Bedeutung der Äußerung in der konkreten Situation,
einer Abwägung,
- mit Blick auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)) einerseits und
- das aus Art 2 Abs. 1 GG (der freien Entfaltung) sowie Art 1 Abs. 1 GG (der Menschenwürde) abgeleitete Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen andererseits,
ob in dem jeweiligen Einzelfall
- das Gewicht der Ehre
- die Meinungsfreiheit des Äußernden.
überwiegt.
Bei dieser gebotenen Abwägung kann (mit) wesentlich sein,
- ob die Äußerung bzw. inwieweit sie grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche betrifft oder eher das jeweils unterschiedliche soziale Ansehen des Betroffenen,
- ob die Äußerung darauf abzielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten oder ob es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht,
- ob die Äußerung sich richtet gegen Personen, die, wie etwa Politiker bewusst in die Öffentlichkeit treten oder solche, denen als staatliche Amtswalter ohne ihr besonderes Zutun eine Aufgabe mit Bürgerkontakt übertragen wurde,
- ob Gegenstand der Äußerung das öffentliche Wirken einer Person oder ihr Privatleben ist,
- ob es sich um eine ins Persönliche gehende (öffentliche) Beschimpfung, Verächtlichmachung oder Hetze handelt,
- ob die Äußerung unvermittelt in einer hitzigen Situation oder im Gegenteil mit längerem Vorbedacht gefallen ist,
- ob und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestanden hat und
- die konkrete Breitenwirkung die die Äußerung entfaltet.
Übrigens:
Eine Schmähung,
- bei der ebenso, wie bei einer Formalbeleidigung oder einer Verletzung der Menschenwürde, die Meinungsfreiheit stets (ausnahmsweise) zurücktritt – somit auch eine Abwägung, wie oben dargestellt, entbehrlich ist -,
zeichnet sich dadurch aus, dass die Äußerung
- keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und
- es bei ihr allein um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht,
wie bei Fällen,
- in denen eine vorherige Auseinandersetzung erkennbar nur äußerlich zum Anlass genommen wird, um über andere Personen herzuziehen oder sie niederzumachen, etwa aus verselbständigter persönlicher Feindschaft („Privatfehde“)
oder aber auch dann,
- wenn – insbesondere unter den Kommunikationsbedingungen des Internets – Personen ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu einer Sachkritik grundlos aus verwerflichen Motiven wie Hass- oder Wutgefühlen heraus verunglimpft und verächtlich gemacht werden.
Um eine Formalbeleidigung kann es sich handeln bei der Verwendung
- mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung
von,
- nach allgemeiner Auffassung
besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern – etwa aus der Fäkalsprache -.
Eine Verletzung der Menschenwürde liegt vor, wenn die Äußerung
- sich nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeitsrechte richtet,
- sondern einer konkreten Person den ihre menschliche Würde ausmachenden Kern der Persönlichkeit abspricht (Quelle: Pressemitteilung des BVerfG).
Hinweis:
Vergleiche in diesem Zusammenhang auch die Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG
sowie dazu, wann die Unterlassung einer nicht erweislich wahren Tatsachenbehauptung verlangt werden kann und wann nicht,