Tag Nichtantritt

AG Erding entscheidet welche Rückerstattungsansprüche bei Nichtantritt eines gebuchten Fluges, (auch) ohne

…. vorherige ausdrückliche Kündigung des Luftbeförderungsvertrages, bestehen können.

Mit Urteil vom 24.07.2019 – 3 C 5140/18 – hat das Amtsgericht (AG) Erding entschieden, dass, wenn ein Flug gebucht,

  • der Flugpreis mit den darin enthaltenen Steuern und Gebühren gezahlt worden ist,
  • der Flug aber dann nicht angetreten wird,

in dem Nichterscheinen zum geplanten Abflug eine (jederzeit mögliche) Kündigung des Luftbeförderungsvertrages liegt, weil

  • eine Stornierung des Fluges im Vorfeld der Reise dazu nicht erforderlich ist sowie
  • durch das Nichterscheinen zum geplanten Abflug zum Ausdruck gebracht wird, dass die gebuchte Beförderung nicht (mehr) gewünscht wird

und dass in einem solchen Fall die Fluggesellschaft

  • zwar nicht den Flugpreis, aber

die im gezahlten Flugpreis enthaltenen

  • Steuern, wie Mehrwertsteuer,
  • Gebühren und
  • Entgelte einschließlich eines Treibstoffzuschlages

rückerstatten muss.

Auf allgemeine Ticketbedingungen, die Ansprüche auf Rückerstattung des Kerosinzuschlages ausschließen, kann sich eine Fluggesellschaft danach nicht berufen, weil solche Ticketbedingungen,

  • die Rückerstattungsansprüche für im Flugpreis enthaltene Positionen ausschließen, die ausschließlich im Falle einer tatsächlichen Beförderung anfallen, wie „Kerosinzuschläge“,
    • die keine Gegenleistung für die Flugbeförderung sind,
    • sondern von jedem Passagier erhobene Zuschläge für den gewichtsabhängigen Treibstoffverbrauch, der durch den einzelnen Passagier jedoch nur dann eintreten kann, wenn dieser tatsächlich mitfliegt,

wegen unangemessener Benachteiligung der Kunden,

  • die den Luftbeförderungsvertrag nach Kündigung abrechnen,

unwirksam sind (§ 307 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).

Wer eine Reise bucht muss wissen, dass der Nichtantritt auch bei Eintritt eines Dritten in den Reisevertrag mit Mehrkosten verbunden sein kann

Ein Reiseveranstalter muss zwar nach § 651b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bis zum Reisebeginn

  • einem Kunden die Übertragung des Anspruchs auf die gebuchten Reiseleistungen auf einen Dritten ermöglichen und
  • kann dem Eintritt des Dritten nur widersprechen, wenn dieser den besonderen Reiseerfordernissen nicht genügt oder seiner Teilnahme gesetzliche Vorschriften oder behördliche Anordnungen entgegenstehen.

Allerdings muss der Reiseveranstalter durch den Eintritt eines Dritten entstehende Mehrkosten,

  • auch die sich daraus ergebenden, dass die Tarifbedingungen der Luftverkehrsunternehmen typischerweise nach bestätigter Buchung keinen Wechsel in der Person des Fluggastes („name change“) zulassen und
  • deshalb eine neue Flugbuchung, also den Erwerb eines neuen Flugscheins für den Dritten erfordern,

nicht selbst tragen,

  • sondern kann den Kunden und den Dritten damit belasten, die hierfür als Gesamtschuldner haften.

Darauf hat der für das Reiserecht zuständigen X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in zwei Urteilen vom 27.09.2016 – X ZR 107/15 und X ZR 141/15 – hingewiesen.

Ein Reiseveranstalter ist, so der Senat, auch wenn er nach § 651b BGB verpflichtet ist, einen Dritten den Eintritt in einen von einem Kunden gebuchten Reisvertrag zu ermöglichen,

  • nämlich nicht gezwungen, die vertraglichen Reiseleistungen so zu gestalten, dass sie für den Kunden möglichst kostengünstig auf einen Dritten übertragbar sind,
  • sondern kann den Anspruch eines Kunden auf Flugbeförderung im Rahmen einer gebuchten Pauschalreise auch dadurch erfüllen, dass er für diesen bei einem Luftverkehrsunternehmen einen Flug zu einem Tarif bucht, der einen nachträglichen Wechsel der Person des Fluggastes nicht zulässt und typischerweise zu einem niedrigeren Preis erhältlich ist als Tarife, die eine größere Flexibilität gestatten (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 27.09.2016 – Nr. 170/2016 –).

Auch bei Nichtantritt eines Fluges kann Anspruch auf Ausgleichsleistung wegen Flugverspätung bestehen

Anspruch auf die Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden: FluggastrechteVO) hat auch derjenige, der

  • einen Flug gebucht,
  • sich rechtzeitig zur Abfertigung über die bestätigte Flugbuchung am Flughafen eingefunden (Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO),
  • aber wegen einer schon vor dem Abflug feststehenden, mehr als dreistündigen Verspätung den Flug nicht angetreten hat.

Das hat das Amtsgericht (AG) Hamburg mit Urteil vom 26.04.2016 – 12 C 238/15 – entschieden.

Nach Auffassung des AG ist Voraussetzung des Anspruchs gemäß Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 FluggastrechteVO nicht, dass der Fluggast den (verspäteten) Flug antritt.
Der Anspruch dient, so das AG, dem Ausgleich verspätungsbedingter Unannehmlichkeiten. Die FluggastrechteVO definiert nicht die Art der ausgleichspflichtigen Unannehmlichkeiten, insbesondere differenziert sie nicht danach, ob die Unannehmlichkeiten Folge eines angetretenen (verspäteten) Fluges sind oder sich aufgrund einer schon vor dem Abflug eingetretenen Verspätung ergeben, die eine mehr als dreistündige Verspätung am Zielort bedingt. Sinn und Zweck des Ausgleichsanspruchs spricht für die Einbeziehung auch des letzteren Falls in den Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 1 FluggastrechteVO.
Der irreversible Zeitverlust, der das Wesen der Unannehmlichkeiten ausmacht, ist bei einer sich schon vor Abflug ergebenden Verspätung (am Ankunftsort) von mehr als drei Stunden bei den am Flughafen wartenden Fluggästen bereits am Abflugort eingetreten. Angesichts des mit der FluggastrechteVO bezweckten hohen Schutzniveaus wäre eine Auslegung, die Fluggäste zwingt, einen derart verspäteten Flug anzutreten, um einen Ausgleich für die erlittenen Unannehmlichkeiten zu erhalten, mit dem Regelwerk der FluggastrechteVO nicht vereinbar, zumal eine erhebliche (mindestens dreistündige), schon vor dem Abflug feststehende Verspätung eine Reise widersinnig machen (Wochenendreise) oder den mit ihr verfolgten Zweck gänzlich vereiteln kann (Geschäftstermin).

Nicht entschieden hat das AG, ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Fluggast sich nicht auf den Weg zum Flughafen macht, etwa weil er rechtzeitig von der erheblichen Verspätung erfahren hat.

Hinweis:
Nach der Rechtsprechung besteht der Anspruch auf den in Art. 7 der FluggastrechteVO vorgesehenen Ausgleichsanspruch – sofern nicht der Ausschlusstatbestand nach Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO vorliegt – nicht nur wie in Art. 5 der FluggastrechteVO bestimmt, bei annullierten Flügen, sondern auch bei verspäteten Flügen, wenn sie infolge der Verspätung ihr Endziel erst drei Stunden nach der vorgesehenen Ankunftszeit oder noch später erreichen (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 07.05.2013 – X ZR 127/11 – und vom 12.06.2014 – X ZR 121/13 –).