Tag ohne Berührung

LG Wuppertal entscheidet: Anscheinsbeweis gilt auch bei Verkehrsunfall ohne Berührung

Mit Urteil vom 14.05.2020 – 9 S 201/19 – hat das Landgericht (LG) Wuppertal entschieden, dass bei einem Unfall im Straßenverkehr

  • der Anscheinsbeweis 

auch dann gilt, wenn 

Muss beispielsweise, wie in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, ein Fahrzeugführer 

  • in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang 

mit dem 

  • Wendevorgang eines anderen Fahrzeugs, 

diesem, 

  • bevor es sich wieder endgültig in den fließenden Verkehr eingereiht hat oder 
  • verkehrsgerecht am Fahrbahnrand oder 
  • an anderer Stelle abgestellt worden ist,

zur Verhinderung einer Kollision ausweichen und 

  • vermeidet er dadurch die Kollision, 

erleidet er im Rahmen des Ausweichmanövers aber einen anderweitigen Schaden, soll nach Auffassung des LG Wuppertal der 

  • Anscheinsbeweis

für eine volle Schuld des Wendenden sprechen, 

  • d.h. für eine schuldhafte und schadensursächliche Verletzung der Verkehrspflichten des Wendenden aus § 9 Abs. 5 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), 

sofern 

  • dieser keine Umstände beweisen kann, die zur Erschütterung des Anscheinsbeweises geeignet sind.

Wann haften Kraftfahrzeughalter und -führer bei einem berührungslosen Unfall?

Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden,

  • ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt,

haften für den daraus entstandenen Schaden dem Verletzten gegenüber

  • gemäß § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) der Kraftfahrzeughalter sowie
  • gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG aus vermutetem Verschulden der Fahrer.

Bei einem sogenannten „Unfall ohne Berührung“ ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs des Kraftfahrzeugs zu dem schädigenden Ereignis,

  • dass über die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an bzw. in der Nähe der Unfallstelle hinaus,
  • das Fahrverhalten seines Fahrers in irgendeiner Art und Weise das Fahrmanöver des Unfallgegners beeinflusst hat,
    • mithin, dass das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat.

So geht auf einer Bundesautobahn von einem verhältnismäßig sperrigen und langsam überholenden Fahrzeug oder auch nur einem Fahrverhalten, das als Beginn des Überholvorgangs oder seine Ankündigung aufgefasst werden kann, eine typische Gefahr für auf der Überholfahrbahn nachfolgende schnellere Verkehrsteilnehmer aus, die durch eine misslingende Abwehrreaktion zu Schaden kommen.

Eine typisch mit dem Betrieb eines Sattelschleppers verbundene Gefahr wirkt sich aus, wenn ein von diesem überholter Fahrer eines Motorfahrrades unsicher wird und deshalb stürzt.

In zurechenbarer Weise durch ein Kraftfahrzeug (mit-)veranlasst ist ein Unfall bei seinem Herannahen an entgegenkommenden Fahrradverkehr, wenn der Verkehrsraum zu eng zu werden droht und einer der Fahrradfahrer bei einem Ausweichmanöver stürzt.

Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen – also objektiv nicht erforderlichen – Abwehr- und Ausweichreaktion ist dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, das diese Reaktion – beispielsweise durch einen kleinen Schlenker aus seiner Fahrspur hinaus – ausgelöst hat.

  • Dagegen rechtfertigt die bloße Anwesenheit eines anderen im Betrieb befindlichen Fahrzeugs an der Unfallstelle für sich allein noch nicht die Annahme, dass ein in seinem Ablauf ungeklärter Unfall bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden ist.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 22.11.2016 – VI ZR 533/15 – hingewiesen.