Tag Platz

Eltern, deren Kinder nach dem SGB VIII Anspruch auf einen Kita-Platz haben, sollten wissen, dass das Kind auch Anspruch

…. darauf hat, dass die Betreuungseinrichtung vom Wohnort aus in vertretbarer Zeit erreichbar ist.

Mit Urteil vom 15.07.2019 – 7 B 10851/19.OVG – hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz in einem Fall,

  • in dem berufstätige Eltern ihr dreijähriges Kind bei der Stadt Mainz für einen Platz in einer Kindertageseinrichtung angemeldet hatten,

entschieden, dass das Kind Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung hat,

  • der bei Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel in nicht mehr als 30 Minuten von seiner Wohnung aus erreichbar ist.

Begründet hat das OVG dies damit, dass der Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung,

  • den nach § 24 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) ein Kind vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt hat und
  • der zu einer Gewährleistungspflicht führt, die den Träger der öffentlichen Jugendhilfe unabhängig von der jeweiligen finanziellen Situation der Kommunen zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Betreuungsplätzen zwingt,

gerichtet ist auf Verschaffung eines Platzes in einer

  • zumutbar erreichbaren

Tageseinrichtung und deswegen nur erfüllt wird, wenn

  • die Betreuungseinrichtung vom Wohnsitz des Kindes aus in vertretbarer Zeit erreicht werden kann,
    • was bedeutet, bei der Beanspruchung von öffentlichen Verkehrsmitteln, in maximal 30 Minuten.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall, in dem

  • die Anfahrtszeit zu der von der Stadt Mainz angebotenen Kindertagesstätte rund 40 Minuten betrug,

hat das OVG die Stadt Mainz im Eilverfahren durch einstweilige Anordnung verpflichtet,

  • dem Kind einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung zu verschaffen,
  • der unter Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel in nicht mehr als 30 Minuten von der Wohnung aus erreichbar ist (Quelle: Pressemitteilung des OVG Koblenz).

Eltern, die einen Kita-Platz suchen, sollten wissen, dass für einjährige Kinder Kita-Plätze nach dem jeweiligen

…. konkreten zeitlichem Betreuungsbedarf der Eltern zur Verfügung gestellt bzw. geschaffen werden müssen.

Mit Beschluss vom 31.07.2018 – 8 L 700/18 – hat die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) Aachen entschieden, dass einjährige Kinder Anspruch auf einen Kita-Platz haben,

  • dessen Umfang sich an dem zeitlichen Betreuungsbedarf der Eltern orientiert,

was bedeutet, dass,

  • wenn Eltern beispielsweise nachweisen, aufgrund ihrer Arbeits- und Wegezeiten eine werktägliche Betreuung in der Zeit von 8:00 bis 17:00 Uhr zu bedürfen,

der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet ist,

  • für das Kind nach diesem zeitlichen Betreuungsbedarf der Eltern einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung einzurichten und
  • diesen Anforderungen eine von der Stadt wochentags zur Verfügung gestellte Betreuung in der Kindertageseinrichtung in der Zeit von 7:30 bis 16:30 Uhr nicht genügt.

Denn, so die Kammer, der einklagbare Anspruch gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder der Kindertagespflege nach § 24 Abs. 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII),

  • der Kindern in der Zeit zwischen Vollendung des ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres zustehe,

stehe nicht unter einem Kapazitätsvorbehalt, d.h. der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat dafür Sorge zu tragen, dass

  • eine am konkreten Bedarf ausgerichtete ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen geschaffen oder durch geeignete Dritte (etwa freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen) bereitgestellt werden und
  • dabei sichergestellt ist, dass in zeitlicher Hinsicht – beispielsweise durch Veränderung oder Streckung der Öffnungszeiten – dem individuellen Betreuungsbedarf des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten entsprochen wird.

Übrigens:
Haben Erziehungsberechtigte für ihr einjähriges Kind primär als Betreuungsform die Kindertagesstätte gewählt, darf der Träger der öffentlichen Jugendhilfe auf eine Betreuung in der Kindertagespflege (etwa durch eine Tagesmutter) erst dann verweisen, wenn er nachgewiesen hat, dass die Kapazität in der primär gewählten Betreuungsform erschöpft ist (Quelle: Pressemitteilung des VG Aachen vom 01.08.2018).

Kindern darf ein Kita-Platz in angemessener Nähe zur Wohnung nicht verweigert werden, auch nicht

…. wegen erschöpfter Kapazitäten infolge von Fachkräftemangel.

Darauf hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hingewiesen und am 22.03.2018 – OVG 6 S 2.18 sowie OVG 6 S 6.18 – in zwei Eilverfahren das Land Berlin verpflichtet, zwei Kindern,

  • die das erste, aber noch nicht das dritte Lebensjahr vollendet hatten und
  • deren Anträge auf Zuweisung eines Platzes zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtungen oder Kindertagespflege mit der Begründung abgelehnt worden waren, dass in den betreffenden Bezirken Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg die Kapazitäten erschöpft seien,

jeweils einen Betreuungsplatz in angemessener Entfernung zu ihrer Wohnung, binnen fünf Wochen, nachzuweisen.

Der gesetzliche Anspruch eines Kindes nach § 24 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege

  • besteht danach nicht nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten, sondern

verpflichtet nach Auffassung des OLG auch dazu,

  • die erforderlichen Kapazitäten zu schaffen und
  • Kindern, die eine frühkindliche Betreuung in Anspruch nehmen möchten, einen dem individuellen Bedarf gerecht werdenden Betreuungsplatz in angemessener Nähe zur Wohnung anzubieten,
    • wobei ein Betreuungsplatz sich dann nicht in angemessener Nähe zur Wohnung befindet, wenn er

Bundesverwaltungsgericht entscheidet, ob und wann welche Aufwendungen für einen selbstbeschafften KITA-Platz

…. vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden müssen.

Mit Urteil vom 26.10.2017 – BVerwG 5 C 19.16 – hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) darauf hingewiesen, dass

  • Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres Anspruch darauf haben, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihnen einen ihrem Bedarf entsprechenden Betreuungsplatz nachweist,
  • allerdings ein Recht, zwischen dem Nachweis eines Platzes in einer Tageseinrichtung und in Kindertagespflege zu wählen, ebenso wenig besteht, wie ein Wahlrecht zwischen einem Platz in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers und einer Betreuung in einer privaten Einrichtung und

sich,

  • falls der Träger der öffentlichen Jugendhilfe es versäumt einen Betreuungsplatz nachzuweisen,

aus einer entsprechenden Anwendung des § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ein Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz in einer Kindertageseinrichtung dann ergeben kann, wenn

  • der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung rechtzeitig über den Bedarf in Kenntnis gesetzt hat,
  • die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung vorgelegen haben und
  • die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.

Jedoch muss, auch wenn eine Selbstbeschaffung zulässig war, der Träger der öffentlichen Jugendhilfe

  • nur diejenigen Aufwendungen für einen selbstbeschafften Betreuungsplatz übernehmen,
  • die der Leistungsberechtigte im Falle des rechtzeitigen Nachweises nicht hätte tragen müssen.

Das bedeutet:
Hätte der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Erfüllung seiner Nachweispflicht auch den selbst beschafften Betreuungsplatz von sich aus nachweisen können und

  • der Leistungsberechtigte somit also auch in diesem Fall die Kosten hierfür selbst tragen müssen,

hängt die Frage, ob ein Anspruch der Leistungsberechtigten auf (teilweise) Übernahme der Aufwendungen für einen selbstbeschafften Platz besteht, davon ab,

Wichtig zu wissen für Eltern die einen Betreuungsplatz für ihr unter dreijähriges Kind suchen

Mit Beschluss vom 20.07.2017 – 6 L 1177/17 – hat das Verwaltungsgericht (VG) Münster im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes angeordnet, dass die Stadt Münster einem im Februar 2016 geborenen und im Innenstadtbereich Münster wohnenden Kind

  • einen Betreuungsplatz zur frühkindlichen Förderung mit dem Betreuungsumfang von 45 Stunden wöchentlich in einer Kindertageseinrichtung,
  • die in nicht mehr als 15 Minuten von der elterlichen Wohnung erreichbar ist.

zur Verfügung stellen muss.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes war von den beiden in Vollzeit erwerbstätigen Eltern des Kindes für ihr Kind gestellt worden, nachdem

  • sie ab April oder spätestens August 2017 einen Platz für ihr Kind in der Kindertagesbetreuung für 45 Stunden wöchentlich gesucht sowie
  • ihr Kind im sogenannten Kita-Navigator angemeldet,
  • dort das Kind bei insgesamt 14 Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen vorgemerkt hatten und

ihnen Ende Mai 2017 vom Jugendamt mitgeteilt worden war,

  • dass das aktuelle Platzangebot bedauerlicherweise nicht ausreiche, um für alle vorgemerkten Kinder Plätze zuzusagen und
  • in der Folgezeit von den Eltern insgesamt drei Stellen der Kindertagespflege („Tagesmutter“), die das Jugendamt angeboten hatte, abgelehnt worden waren.

Erfolg hatte der Antrag deshalb, weil

  • unter dreijährige Kinder einen Anspruch auf frühkindliche Förderung
    • in einer öffentlich geförderten Tageseinrichtung oder
    • in Tagespflege haben,
  • der Träger der Jugendhilfe seine Verpflichtung zur Förderung der Kinder zwar gleichermaßen
    • mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in einer Kindertagesstätte und
    • mit dem Nachweis eines zumutbaren Platzes in der Kindertagespflege erfüllen kann,
  • er grundsätzlich aber verpflichtet ist, den Leistungsberechtigten auch die ihren Wünschen entsprechende Betreuungsform zu vermitteln,
  • dieses Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nur dann seine Grenze findet, wenn keine Plätze in der gewünschten Betreuungsform vorhanden sind und

der Träger der Jugendhilfe, den ihm obliegenden Nachweis der Erschöpfung der Kapazitäten,

  • der voraussetzt, dass ein sachgerecht ausgestaltetes und durchgeführtes Verfahren zur Vergabe der städtischen Kindergartenplätze stattgefunden hat,

nicht hatte führen können.

Abgesehen davon war es auch so, dass die angebotenen Kindertagespflegestellen

  • entweder nicht die Arbeitszeiten der Eltern abdeckten oder
  • für sie nicht in zumutbarer Zeit erreichbar waren und

deshalb das Jugendamt die Eltern nicht auf diese hätte verweisen dürfen (Quelle: Pressemitteilung des VG Münster vom 21.07.2017).