Tag Rohmessdaten

VerfGH Rheinland-Pfalz entscheidet – im Gegensatz zum VerfGH des Saarlandes -, dass eine Verurteilung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung

…. auch dann auf das Messergebnis eines Messgeräts gestützt werden kann, wenn das Gerät die Rohmessdaten nicht dauerhaft abspeichert.  

Mit Beschluss vom 22.07.2022 hat der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) Rheinland-Pfalz die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen zurückgewiesen, die er gegen ein Urteil erhoben hatte, mit dem er 

  • wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 70 km/h, 
  • gemessen mit dem von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassenen mobilen Messgerät des Typs PoliScan Speed M1,

verurteilt worden war und mit der er gerügt hatte, dass bei seiner Verurteilung sein Recht

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Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Betroffenen im Bußgeldverfahren durch die Entscheidung, dass

…. bei Verfahren wegen – mittels eines sog. standardisierten Messverfahrens festgestellter – Geschwindigkeitsüberschreitung ein Recht auf Zugang u.a. auch 

  • zu der außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Lebensakte des verwendeten Messgeräts und 
  • den sog. Rohmessdaten besteht, 

wenn 

  • der Betroffene selbst ermitteln will, ob Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vorliegen. 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 – entschieden, dass im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung Betroffene bzw. ihre Verteidiger,

  • zur Ermöglichung einer eigenständigen Überprüfung des Messvorgangs, um – ggf. – bei Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses die Annahme des standardisierten Messverfahrens erschüttern zu können,

 ein Recht auf Zugang zu Informationen, unter anderem 

  • der Lebensakte des verwendeten Messgeräts, 
  • dem Eichschein und 
  • den sogenannten Rohmessdaten in unverschlüsselter Form, 

auch dann haben, wenn diese nicht 

  • Teil der Bußgeldakte 

sind.

Danach folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Recht, 

  • Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden, 

wenn 

  • diese der Betroffene bzw. sein Verteidiger verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf und 
  • der Zugang zu diesen Informationen im Bußgeldverfahren frühzeitig gegenüber der Bußgeldstelle und mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG geltend gemacht wird.

Für Betroffene bzw. ihre Verteidiger bedeutet das, dass sie mit Hilfe dieses Anspruchs auf Zugänglichmachung zu den außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen 

  • die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messergebnisses haben, 
  • ggf. dabei ermittelte Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses vor Gericht darlegen und sie so 

die – ansonsten bei standardisierten Messverfahren ohne konkrete Anhaltspunkte für Messfehler im Regelfall nicht gegebene – Amtsermittlungspflicht des Gerichts auslösen können, die Beweisaufnahme von Amts wegen zu erstrecken 

  • auf die Beiziehung weiterer Unterlagen, 
  • Daten oder 
  • auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Autofahrer sollten wissen, dass, wenn sie mit einem Gerät des Typs TraffiStar S 350 geblitzt worden sind, die

…. Geschwindigkeitsmessung unverwertbar ist vor saarländischen Gerichten bzw. sein kann vor Gerichten anderer Bundesländer, mit der Folge,

  • dass eine Verurteilung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht gestützt werden kann lediglich
    • auf das dokumentierte Messergebnis und
    • das Lichtbild des aufgenommenen Kraftfahrzeugs sowie seines Fahrers.

Mit Urteil vom 05.07.2019 – Lv 7/17 – hat der Verfassungsgerichtshof (VerfGH) des Saarlandes in einem Fall, in dem ein Betroffener, nachdem ihm aufgrund einer  Geschwindigkeitsmessung,

  • durchgeführt mit einem durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) zugelassenem Gerät des Typs TraffiStar S 350 der Firma Jenoptik, das
    • die Geschwindigkeit auf der Grundlage von Laserimpuls-Laufzeitmessungen misst, indem der Laserscanner für die sich im Erfassungsbereich der Laserimpulse befindenden Objekte genaue Entfernungs- und Winkelinformationen liefert, die die Berechnung der Entfernungsänderung des Objekts über die Zeit erlauben allerdings
  • die sog. Rohmessdaten – obwohl dies ohne größeren Aufwand technisch möglich wäre – nicht aufzeichnet,

eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen worden war, das Messergebnis nachträglich durch ein Sachverständigengutachten überprüfen lassen wollte, dies jedoch,

  • wegen der fehlenden Aufzeichnung der Rohmessdaten,

nicht möglich war, entschieden, dass, sofern

  • ein Betroffener, auch ohne einen auf der Hand liegenden Einwand – etwa sich aus dem Lichtbild offenkundig ergebende Unklarheiten – vortragen zu können, beantragt, ein Messergebnis zu überprüfen und
  • Rohmessdaten – mangels Speicherung – für eine solche zuverlässige nachträgliche Kontrolle des konkreten Messergebnisses aber nicht zur Verfügung stehen,
    • wie bei dem Gerät TraffiStar S 350,

eine mit einem solchen Gerät erfolgte Geschwindigkeitsmessung, auch dann, wenn es sich dabei um ein standartisiertes Messverfahren handelt,

  • wegen Verletzung des grundrechtlich geschützten Rechts auf effektive Verteidigung,
    • zu der auch gehört, eigenverantwortlich nachforschen zu können,
    • ob es bislang nicht bekannte Zweifel an der Tragfähigkeit eines Vorwurfes gibt,

unverwertbar ist.

Was beachtet werden muss:
Gebunden an diese Entscheidung des VerfGH Saarbrücken sind nur die Gerichte des Saarlandes im konkreten Fall, vorbehaltlich einer abweichenden späteren Entscheidung eines Bundesgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts.
Hingewiesen hat der VerfGH Saarbrücken allerdings, dass er in gleich gelagerten Fällen abweichende Entscheidungen saarländischer Gerichte korrigieren wird.