Tag sekundäre

Dieselgate: BGH entscheidet, dass bei Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung Fahrzeug- bzw. Motorenhersteller

…. im Schadensersatzprozess eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage trifft, 

  • wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen hat und 
  • ob der Vorstand hiervon Kenntnis bzw. dies billigend in Kauf genommen hatte.

Mit Urteil vom 29.06.2021 – VI ZR 566/19 – hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf hingewiesen, dass der 

  • Grundsatz,

dass derjenige, der einen Anspruch geltend macht (Anspruchsteller), die 

  • volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen 

trägt und bei der Inanspruchnahme einer 

  • juristischen Person, 
    • beispielsweise einer Aktiengesellschaft (AG),

auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dementsprechend auch 

  • darzulegen und 
  • zu beweisen 

hat, dass von einem 

  • verfassungsmäßig berufenen Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht 

worden sind, eine 

  • Einschränkung

dann erfährt, wenn ein primär darlegungsbelasteter Anspruchsteller 

  • keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen 

und auch 

  • keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, 

während der Prozessgegner 

  • alle wesentlichen Tatsachen kennt und 
  • es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen.

Dies bedeutet für die Fälle, in denen beispielsweise ein Käufer eines VW Diesel gegen die VW AG 

  • wegen Ausstattens des von ihm erworbenen Fahrzeugs mit einer illegalen, die Einhaltung der zulässigen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber im normalen Straßenverkehr, bewirkenden Abschalteinrichtung, 

Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB geltend macht, dass, nachdem der Fahrzeugkäufer 

  • keine nähere Kenntnis davon hat, wer die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bei der VW AG getroffen hat und 
  • ob ihr Vorstand hiervon Kenntnis hatte

und für ihn auch 

  • keine Möglichkeit besteht, dies zu ermitteln, 

während die verklagte VW AG 

  • alle diese wesentlichen Tatsachen kennt und 
  • es ihr unschwer möglich und aufgrund des an den Tag gelegten sittenwidrigen Verhaltens auch zumutbar ist, hierzu nähere Angaben zu machen, 

von dem anspruchsstellenden Fahrzeugkäufer im Schadensersatzprozess nicht verlangt werden kann, näher vorzutragen,

  • welche konkrete bei der AG tätige Person das entsprechende sittenwidrige Verhalten an den Tag gelegt hat,

sondern, 

  • wenn konkrete Anhaltspunkte von ihm für seine Behauptung vorgetragen sind, dass die Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in den Fahrzeugen der VW AG, ohne dies gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt offenzulegen, zumindest mit Billigung vormaliger Vorstände der VW AG getroffen worden ist,

hierzu die VW AG eine sekundäre Darlegungslast trifft, 

  • im Rahmen derer es ihr auch obliegt, zumutbare Nachforschungen zu unternehmen, 

mit der Rechtsfolge, dass, 

  • sollte die VW AG ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügen, 

die Behauptung des Fahrzeugkäufers 

  • nach § 138 Abs. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) 

als zugestanden gilt.

Wichtig zu wissen für Patienten, die einen Arzt wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld

…. verklagen möchten sowie für Ärzte gegen die ein Haftungsprozess, beispielsweise wegen eines Hygieneverstoßes, geführt wird.

Mit Beschluss vom 18.02.2020 – VI ZR 280/19 – hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf hingewiesen, dass im Arzthaftungsprozess,  

  • also wenn ein Patient Ärzte oder eine Klinik nach ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld in Anspruch nimmt, 

an die Substantiierungspflichten,

  • d.h. an den Sachvortrag, anhand dessen das Gericht beurteilen können muss, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge, also an den Anspruch auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld erfüllt sind, 

nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind, da 

  • von Patienten keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann,
  • Patienten die genaue Einsicht in das Behandlungsgeschehen und das nötige Fachwissen zur Erfassung und Darstellung des Konfliktstoffs fehlt und 
  • sie nicht verpflichtet sind, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. 

Der Patient darf sich deswegen beschränken auf den Vortrag, der 

  • die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite 
  • aufgrund der Folgen für ihn 

gestattet.

Genügt der Sachvortrag des Patienten diesen maßvollen Anforderungen und ist es der Behandlungsseite möglich und zumutbar den Sachverhalt näher aufzuklären, muss die Beklagtenseite, 

  • nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast, 

auf die Behauptungen des Patienten substantiiert, 

  • d.h. mit näheren Angaben erwidern, 

wenn das Bestreiten der Beklagtenseite nach § 138 Abs. 2 und 3 Zivilprozessordnung (ZPO) beachtlich sein soll, wobei sich die Anforderungen an diese Darlegungslast der Behandlungsseite 

  • weitgehend nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt, 
  • sich richten nach der Art des im Raum stehenden Vorwurfs und 
  • im Wechselspiel zu der Tiefe des primären Vortrags des Patienten stehen. 

Beispielsweise ist, 

  • wenn der Behandlungsseite Hygieneverstöße vorgeworfen werden, die zu einer Infektion des Patienten geführt haben, 

der Patient nicht verpflichtet, 

  • mögliche Entstehungsursachen der Infektion zu ermitteln oder 
  • konkrete Anhaltspunkte für einen Hygieneverstoß vorzutragen. 

Vielmehr liegt ein schlüssiger Sachvortrag des Patienten bereits dann vor, wenn er 

  • vorgenommene Behandlungen oder 
  • Vorgänge

schildert, bei denen die Möglichkeit der Infektion bestanden hat, denn 

  • sowohl die Existenz möglicher Infektionsquellen etwa in Gestalt weiterer Patienten oder verunreinigter Instrumente, 
  • als auch die Maßnahmen, welche die Behandlungsseite im Allgemeinen und – bei Vorliegen konkreter Gefahrenquellen – im Besonderen zur Einhaltung der Hygienebestimmungen und zur Infektionsprävention unternommen hat, 

entziehen sich in aller Regel der Kenntnis des Patienten, 

  • während die Behandlungsseite ohne weiteres über die entsprechenden Informationen verfügt. 

In einem solchen Fall obliegt es, 

  • wenn die primäre Darlegung des Sachverhalts durch den Patienten den insoweit geltenden maßvollen Anforderungen genügt,

deshalb der Beklagtenseite konkret zu den von ihnen ergriffenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Hygiene und zum Infektionsschutz bei der Behandlung des Patienten vorzutragen, etwa 

  • durch Vorlage von Desinfektions- und Reinigungsplänen sowie der einschlägigen Hausanordnungen und Bestimmungen des Hygieneplanes. 

Aufgabe des Gerichts ist es danach,  

  • zu prüfen, ob der Vortrag der Beklagtenseite ihrer sekundären Vortragslast genügt und 
  • gegebenenfalls in die Beweisaufnahme einzutreten. 

Wichtig zu wissen für Internetanschlussinhaber die wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 06.10.2016 – I ZR 154/15 – in einem Fall, in dem ein Rechteinhaber den Inhaber eines Internetanschlusses,

  • weil über diesen eine Urheberrechtsverletzung begangen worden war,

nach § 97 Urheberrechtsgesetz (UrhG) in Anspruch genommen und der Anschlussinhaber

  • die Begehung der Urheberrechtsverletzung bestritten sowie
  • vorgetragen hatte, dass
    • seine Ehefrau über einen eigenen Computer Zugang zu seinem Internetanschluss habe, ohne nähere Einzelheiten zu Zeitpunkt und Art der Internetnutzung durch seine Ehefrau mitzuteilen und
    • auf seinem Computer keine Filesharing-Software vorhanden sei (vgl. BGH, Urteil vom 11.06.2015 – I ZR 75/14 – dazu, dass der Anschlussinhaber im Rahmen des Vortrags zu Umständen, die seine eigene Internetnutzung betreffen, auch zu der Angabe verpflichtet sein kann, ob auf dem von ihm genutzten Computer Filesharing-Software vorhanden ist),

entschieden, dass

  • der Internetanschlussinhaber dadurch seiner sekundären Darlegungslast genügt hat und
  • es somit wieder Sache des Rechteinhabers als Anspruchsteller sei, die für eine Haftung des Internetabschlussinhabers als Täter der Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen.

Begründet hat der Senat dies damit, dass,

  • auch unter Berücksichtigung des für den Rechteinhaber sprechenden Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und des Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) der zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) der Annahme weitergehender Nachforschungs- und Mitteilungspflichten entgegen stehe und
  • es aufgrund dessen dem Inhaber eines privaten Internetanschlusses nicht zumutbar sei,
    • die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können oder
    • die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen.