Tag Vermutung

Wer muss was darlegen bzw. beweisen, wenn ein Stellenbewerber wegen Benachteiligung bei einer Bewerbung Zahlung einer Entschädigung verlangt?

Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis (§ 6 Abs. 1 Satz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)), die sich zur Geltendmachung eines Anspruchs auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG darauf berufen, der beklagte Arbeitgeber (vgl. § 6 Abs. 2 AGG) habe gegen ein Benachteiligungsverbot des AGG verstoßen, haben gemäß § 22 AGG Indizien vorzutragen, die eine Benachteiligung nach § 3 AGG wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, also

  • aus rassistischen Gründen oder wegen seiner ethnischen Herkunft,
  • wegen seines Geschlechts,
  • wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung,
  • wegen seiner Behinderung,
  • wegen seines Alters oder
  • wegen seiner sexuellen Identität.

An die Vermutungsvoraussetzungen des § 22 AGG ist dabei kein zu strenger Maßstab anzulegen.
Es genügt, wenn aus den vorgetragenen Tatsachen nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Benachteiligung besteht (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 27.01.2011 – 8 AZR 580/09 –).

Indizien beispielsweise für eine Benachteiligung wegen einer (Schwer-)Behinderung in einer Bewerbungssituation gegenüber einem öffentlichen Arbeitgeber können insbesondere die Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) zu Gunsten schwerbehinderter Menschen sein, namentlich

  • das Unterlassen der Einschaltung der Agentur für Arbeit gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1, 82 Satz 1 SGB IX (Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 03.03.2011 – 5 C 16/10 –) oder
  • das Unterbleiben einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch entgegen § 82 Satz 2 SGB IX,

sofern der Bewerber alle (zulässigen) Einstellungsvoraussetzungen erfüllt (BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 –; Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein, Urteil 18.03.2015 – 3 Sa 371/14 –; Arbeitsgericht (ArbG) Ulm, Urteil vom 02.08.2016 – 5 Ca 86/16 –).

Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt jedoch das Beweismaß des sog. Vollbeweises.

  • Der Arbeitgeber muss demnach dann Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, Urteil vom 17.03.2016 – 8 AZR 677/14 –).

Was man wissen sollte wenn darüber gestritten wird ob ein geschuldeter Geldbetrag zurückgezahlt worden ist

Streiten die Parteien darüber,

  • ob der Beklagte dem Kläger einen von diesem unstreitig erhalten Geldbetrag bereits zurückgezahlt hat oder nicht,

trägt die Beweislast für die erfolgte Rückzahlung der Beklagte.

Wird vom Beklagten zum Beweis dafür, dass er den erhalten Betrag, z.B. den Betrag von 75.000 Euro, bereits zurückgezahlt hat,

  • eine vom Kläger unterzeichnete Quittung über 75.000 Euro vorgelegt,

erbringt diese Quittung als Privaturkunde den „vollen Beweis“ gemäß § 416 Zivilprozessordnung (ZPO)

  • für die Abgabe der in der Urkunde enthaltenen Erklärung nur dann,
  • wenn sie echt ist.

Bestreitet der Kläger

  • die Echtheit der Quittung indem er substantiiert behauptet, dass es sich bei der Namensunterschrift auf der Quittung nicht um seine Unterschrift handelt,

muss der Beklagte wiederum beweisen,

  • entweder die Echtheit der Quittung, also dass die Namensunterschrift auf der Quittung vom Kläger stammt, mit der Folge der Beweiskraft des § 416 ZPO
  • oder aber die tatsächliche Rückzahlung des geschuldeten Geldbetrages.

Räumt der Kläger allerdings ein, dass die Namensunterschrift auf der Quittung von ihm stammt oder steht dies fest und bestreitet er

  • die Echtheit der Urkunde indem er beispielsweise behauptet, der Beklagte habe lediglich 750 Euro zurückgezahlt und auf der von ihm unterschriebenen Quittung über 750 Euro nachträglich an die Zahl „750“ zwei Nullen sowie an die ausgeschriebenen Zahlwörter „sieben/fünf/null“ zweimal das Wort „Null“ angefügt,

greift die Vermutung des § 440 Abs. 2 ZPO ein, nämlich die Vermutung der Echtheit der über der Unterschrift stehenden Erklärung.

Diese Vermutung führt dazu,

  • dass der Kläger in diesem Punkt beweispflichtig ist,
  • nicht aber, dass die Echtheit der Urkunde und damit der darin enthaltenen Erklärung feststeht.

Somit trägt der Kläger in diesem Fall die Beweislast dafür, dass es sich bei der Quittung um eine Fälschung handelt, wofür er

  • nicht nur äußere Mängel der Urkunde im Sinne von § 419 ZPO anführen,
  • sondern auch den Beweis der Fälschung antreten kann durch Antrag auf Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 27.07.2016 – XII ZR 125/14 – hingewiesen.