Tag Willen

BVerwG entscheidet, dass, ohne krankheitsbedingte Notlage, kein Anspruch auf Zugang zu Betäubungsmitteln zum

…. Zweck der Selbsttötung besteht und nur in extremen Ausnahmesituationen

  • für schwer und unheilbar Erkrankte

der Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht verwehrt werden darf.

Mit Urteil vom 28.05.2019 – 3 C 6.17 – hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Fall, in dem Eheleute,

  • weil sie wünschten, dass ihr Leben zu einem Zeitpunkt enden solle, in dem sie noch handlungsfähig und von schweren Erkrankungen verschont sind,

zum Zweck einer gemeinsamen Selbsttötung jeweils 15 g Natrium-Pentobarbital erwerben wollten und ihnen die Erlaubnis für diesen Erwerb,

  • die sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) benötigten,

vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nicht erteilt worden war, entschieden, dass

  • das BfArM die Erlaubnis zu Recht versagt hat.

Begründet hat das BVerwG dies damit, dass gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG die Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zu versagen ist, wenn sie nicht mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen,

  • die Erlaubniserteilung damit voraussetze, dass die Verwendung des beantragten Betäubungsmittels eine therapeutische Zielrichtung habe, also dazu diene, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern,

und

  • 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG danach, mangels Vereinbarkeit mit dem Ziel des Betäubungsmittelgesetzes, die menschliche Gesundheit und das Leben zu schützen, die Erteilung einer Erwerbserlaubnis zum Zweck der Selbsttötung grundsätzlich ausschließe (Quelle: Pressemitteilung des BVerwG vom 28.05.2019).

Nur schwer und unheilbar kranken Personen,

  • die ihren Willen (noch) frei bilden und entsprechend handeln können,
  • die wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und
  • denen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung stehe,

dürfe im Lichte der Verfassung,

  • da das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auch das Recht umfasse zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben beendet werden soll,

vom Staat der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel das ihnen eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht, nicht verwehrt werden (BVerwG, Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 –).

BGH entscheidet: Ärzte, die das Leben und Leiden eines Patienten gegen dessen Willen künstlich verlängert haben, können

…. von den Erben des Patienten nicht auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden.

Selbst falls in einem solchen Fall die Weiterbehandlung medizinisch sinnlos war und dem Arzt somit eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, besteht,

  • wie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.04.2019 – VI ZR 13/18 – entschieden hat,

ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes deswegen nicht, weil, wenn ein

  • beispielsweise durch künstliche Ernährung

ermöglichter Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber steht,

  • wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod,

die Verfassungsordnung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG))

  • auch dann, wenn der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag,
  • mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben gehabt hätte,

es aller staatlichen Gewalt, einschließlich der Rechtsprechung, verbietet, in dem (Weiter)Leben

  • als höchstrangigem und absolut erhaltungswürdigem Rechtsgut

einen immateriellen Schaden zu sehen.

Nicht erstattungsfähig sollen nach der Entscheidung aber auch die

  • durch das Weiterleben bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen

sein, da es, so der Senat, Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen

  • weder sei, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern,
  • noch diese Pflichten dazu dienten, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 02.04.2019).

Hinweis:
Auch wenn Ärzte in Fällen wie dem obigen

  • zivilrechtlich nicht haften

können Sie sich

  • wegen Körperverletzung strafbar machen,

wenn sie bewusst eine bindende Patientenverfügung (vgl. § 1901a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) missachten, in der ein Patient festgelegt hat, welche ärztlichen Maßnahmen in bestimmten Lebens- und Behandlungssituationen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen.

Wann kann gegen den Willen eines Betreuten seine geschlossene Unterbringung erfolgen

… zur Durchführung einer Heilbehandlung.

Gegen seinen Willen kann ein Betreuter geschlossen, d.h., mit Freiheitsentzug verbunden, unterbracht werden nur

  • mit gerichtlicher Genehmigung,
  • die vom Betreuer beantragt werden muss,

außer, mit dem Aufschub der Unterbringung ist Gefahr verbunden. In diesem Fall ist von dem Betreuer nachträglich unverzüglich die Genehmigung beim Betreuungsgericht beantragen (§ 1906 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).

Erteilen darf das Betreuungsgericht die Genehmigung für eine solche geschlossene Unterbringung nur

  • wenn und solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist,

weil

  • auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten
    • die (akute) Gefahr besteht,
    • dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder
  • zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens
    • eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist,
    • die bzw. der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und
    • der Betreute auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Genehmigungsfähig nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB

  • zur Durchführung einer Heilbehandlung

ist eine Unterbringung allerdings nur dann, wenn

  • eine erfolgversprechende Heilbehandlung durchgeführt werden kann.

Dies setzt, neben der Erfolgsaussicht der Heilbehandlung,

  • entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betroffenen
  • oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung

voraus.

Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn

  • von vornherein zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird,
    • sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht,
    • er aber die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht,
  • Davon kann solange ausgegangen werden, wie sich die Weigerung des Betreuten, sich behandeln zu lassen, nicht manifestiert hat.

Ist hingegen auszuschließen, dass der Betreute

  • eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird,
  • sich also bei einer geschlossenen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik freiwillig behandeln lassen und insbesondere die erforderlichen Medikamente einnehmen wird,
    • beispielsweise, weil er bei seiner richterlichen Anhörung deutlich zum Ausdruck gebracht hat, eine Behandlung abzulehnen bzw.
    • dem eingeholten Sachverständigengutachten zu entnehmen ist, dass es dem Betreuten an jeglicher Behandlungsbereitschaft fehlt,

liegt der Unterbringungsgrund des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur vor und ist demzufolge auch die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn

  • die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme (Zwangsbehandlung) im Sinn des § 1906 Abs. 3 BGB vorliegen

und

  • diese nach § 1906 Abs. 3a BGB rechtswirksam genehmigt wird bzw. ist,

weil nur dann für die eine Freiheitsentziehung rechtfertigende Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betreuten eine rechtliche Grundlage besteht.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 31.05.2017 – XII ZB 342/16 – hingewiesen.

OLG Stuttgart entscheidet: Kein Schadensersatz wegen der bei einem Sturz von einer Bierbank erlittenen Verletzungen

Obwohl eine Frau im Festzelt auf dem Cannstatter Wasen beim Tanzen auf der Bierbank an ihrem Tisch deshalb von der Bierbank gestürzt war,

  • weil ein ebenfalls mit dem Rücken zu ihr auf der Bierbank an seinem Tisch tanzender Mann an ihren Rücken gestoßen war,

erhält die Frau von dem Mann weder Schadensersatz noch Schmerzensgeld.

Ihre Klage gegen den Mann auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 4000 € wegen der bei dem Sturz erlittenen Verletzungen ist vom 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart mit Urteil vom 13.03.2017 – 13 U 165/16 – abgewiesen worden.

Grund für die Klageabweisung war, dass

  • Ursache und Verlauf des Anstoßes an die Klägerin nicht geklärt werden und

dem Beklagten seine Einlassung nicht widerlegt werden konnte, dass

  • er selbst „mehr oder weniger von der Bierbank gezogen“ worden und hierbei infolge des Verlusts des Gleichgewichts mit dem Rücken gegen die Frau gefallen sei.

Damit fehlte es aber, so der Senat, am Nachweis einer für eine Haftung nach § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erforderlichen Verletzungshandlung des Beklagten, weil hierfür nur menschliches Verhalten in Betracht kommt, das

  • der Steuerung durch Bewusstsein und Willen unterliegt und
  • insofern grundsätzlich beherrschbar ist.

Dass der Beklagte zum Tanzen auf eine Bierbank gestiegen war erachtete das OLG übrigens deshalb nicht als vorwerfbar, weil

  • eine Vielzahl anderer Gäste ebenfalls auf den Bierbänken getanzt hatten,
  • damit die Gefahr, dass Gäste auf einer wackelnden Bierbank das Gleichgewicht verlieren und stürzen können, von Anfang an für alle Personen – die Klägerin eingeschlossen – bestanden hat sowie erkennbar war und

eine über diese allgemeine Gefahr hinausgehende Gefährdung durch den Beklagten geschaffen worden war (Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 13.04.2017).

BVerwG entscheidet: In extremen Ausnahmesituationen darf Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht verwehren werden

Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG)

  • eines schwer und unheilbar kranken Patienten,
  • der seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann,

auch das Recht umfasst zu entscheiden,

  • wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben beendet werden soll,

darf ihm vom Staat in extremen Einzelfällen der Zugang zu einem verkehrs- und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel nicht verwehrt werden, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 02.03.2017 – 3 C 19.15 – in einem Fall entschieden, in dem eine Frau beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels beantragt hatte, weil sie

  • seit einem Unfall im Jahr 2002 unter einer hochgradigen, fast kompletten Querschnittslähmung litt,
  • vom Hals abwärts gelähmt war,
  • künstlich beatmet werden musste,
  • aufgrund häufiger Krampfanfälle starke Schmerzen hatte sowie
  • auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen war und

wegen dieser von ihr als unerträglich und entwürdigend empfundenen Leidenssituation den Wunsch hatte, aus dem Leben zu scheiden.

Wie das BVerwG ausgeführt hat, müsse im Lichte des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts eine Ausnahme

  • von den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, nach denen es grundsätzlich nicht möglich sei, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben,

für schwer und unheilbar kranke Patienten gemacht werden, wenn

  • sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und
  • ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht.

Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt und deshalb die Erlaubnis zu erteilen ist, hat das BfArM nach der Entscheidung des BVerwG zu prüfen (Quelle: Pressemitteilung des BVerwG vom 02.03.2017 – Nr. 11/2017 –).