Tag Zwangsbehandlung

OLG Frankfurt spricht in psychiatrischer Klinik geschlossen Untergebrachter Schadensersatz sowie Schmerzensgeld zu

…. wegen Fixierung und Zwangsmedikationen ohne gesonderter richterlicher Genehmigung.

Mit Urteil vom 16.07.2019 – 8 U 59/18 – hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt in einem Fall, in dem eine psychisch kranke Frau

  • nach ihrer gerichtlich genehmigten geschlossenen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik im Raum Frankfurt,

während ihres gut zweiwöchigen Aufenthalts dort gegen ihren Willen

  • ohne gerichtliche Genehmigung

teilweise nicht nur kurzzeitig fixiert und mit Medikamenten therapeutisch zwangsbehandelt worden war, das Land Hessen verurteilt,

  • der Frau ein Schmerzensgeld i.H.v. 12.000 Euro zu zahlen sowie
  • ihr sämtliche aus der Fixierung und Zwangsmedikationen entstandenen und noch entstehenden Schäden zu ersetzen.

Denn, so das OLG, die Fixierungen und die Zwangsbehandlungen der damals untergebrachten Frau seien,

  • wegen Fehlens der eigenständigen richterlichen Genehmigungen, die es dazu jeweils bedurft hätte,

rechtswidrig gewesen.

Dass die Fixierungen und die Zwangsbehandlungen der Untergebrachten

  • jeweils einer eigenständigen richterlichen Genehmigung bedurft hätten,

hat das OLG damit begründet, dass es sich bei der Fixierung einer Patientin von nicht nur kurzfristiger Dauer, auch dann,

  • wenn eine Patientin gegen ihren Willen mit richterlicher Genehmigung geschlossen untergebracht sei,

um eine nicht schon von der richterlichen Unterbringungsanordnung abgedeckte Freiheitsentziehung handle,

und dass bei einer medizinischen Behandlung einer Untergebrachten gegen ihren natürlichen Willen,

  • auch wenn die Behandlung zum Zweck der Heilung erfolgt,

nicht gedeckt von der richterlichen Unterbringungsanordnung in die körperliche Unversehrtheit der Patientin eingegriffen werde (Pressemitteilung des OLG Frankfurt).

Wann kann gegen den Willen eines Betreuten seine geschlossene Unterbringung erfolgen

… zur Durchführung einer Heilbehandlung.

Gegen seinen Willen kann ein Betreuter geschlossen, d.h., mit Freiheitsentzug verbunden, unterbracht werden nur

  • mit gerichtlicher Genehmigung,
  • die vom Betreuer beantragt werden muss,

außer, mit dem Aufschub der Unterbringung ist Gefahr verbunden. In diesem Fall ist von dem Betreuer nachträglich unverzüglich die Genehmigung beim Betreuungsgericht beantragen (§ 1906 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).

Erteilen darf das Betreuungsgericht die Genehmigung für eine solche geschlossene Unterbringung nur

  • wenn und solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist,

weil

  • auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten
    • die (akute) Gefahr besteht,
    • dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB) oder
  • zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens
    • eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist,
    • die bzw. der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und
    • der Betreute auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Genehmigungsfähig nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB

  • zur Durchführung einer Heilbehandlung

ist eine Unterbringung allerdings nur dann, wenn

  • eine erfolgversprechende Heilbehandlung durchgeführt werden kann.

Dies setzt, neben der Erfolgsaussicht der Heilbehandlung,

  • entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betroffenen
  • oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung

voraus.

Die Genehmigung einer Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist daher möglich, wenn

  • von vornherein zumindest nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Betreute in der Unterbringung behandeln lassen wird,
    • sein natürlicher Wille also nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht,
    • er aber die Notwendigkeit der Unterbringung nicht einsieht,
  • Davon kann solange ausgegangen werden, wie sich die Weigerung des Betreuten, sich behandeln zu lassen, nicht manifestiert hat.

Ist hingegen auszuschließen, dass der Betreute

  • eine Behandlung ohne Zwang vornehmen lassen wird,
  • sich also bei einer geschlossenen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik freiwillig behandeln lassen und insbesondere die erforderlichen Medikamente einnehmen wird,
    • beispielsweise, weil er bei seiner richterlichen Anhörung deutlich zum Ausdruck gebracht hat, eine Behandlung abzulehnen bzw.
    • dem eingeholten Sachverständigengutachten zu entnehmen ist, dass es dem Betreuten an jeglicher Behandlungsbereitschaft fehlt,

liegt der Unterbringungsgrund des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur vor und ist demzufolge auch die Genehmigung der Unterbringung zur Durchführung der Heilbehandlung nur zulässig, wenn

  • die Voraussetzungen für die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme (Zwangsbehandlung) im Sinn des § 1906 Abs. 3 BGB vorliegen

und

  • diese nach § 1906 Abs. 3a BGB rechtswirksam genehmigt wird bzw. ist,

weil nur dann für die eine Freiheitsentziehung rechtfertigende Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betreuten eine rechtliche Grundlage besteht.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 31.05.2017 – XII ZB 342/16 – hingewiesen.

Was Betreuer wissen müssen, wenn nicht geschlossen untergebrachte Betreute ärztlich zwangsbehandelt werden sollen

Ärztliche Behandlungen gegen den natürlichen Willen eines Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung deren Notwendigkeit nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können,

  • waren bisher ausschließlich auf der Grundlage des § 1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und damit nur bei nach 1906 Abs. 1 BGB freiheitsentziehend untergebrachten Betreuten möglich,

während

  • außerhalb einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB ärztliche Zwangsmaßnahmen (ambulante Zwangsmaßnahmen) mangels gesetzlicher Rechtsgrundlage für unzulässig erachtet wurden (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 11.10.2000 – XII ZB 69/00 –).

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat nunmehr mit Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – entschieden, dass

  • es mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar ist, dass für Betreute, denen schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen und die die Notwendigkeit der erforderlichen ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, sofern sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind,
  • der Gesetzgeber deshalb verpflichtet ist, unverzüglich eine Regelung für diese Fallgruppe zu treffen und bis zu einer solchen Regelung

1906 Absatz 3 BGB auch auf stationär behandelte Betreute anzuwenden ist, die sich einer ärztlichen Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können.