Tag Erwerbsfähigkeit

Was Selbständige wissen sollten, wenn sie Ersatz des ihnen entgangenen Gewinns (Verdienstausfallschaden) vom Schädiger verlangen wollen

…. beispielsweise weil sie bei einem Verkehrsunfall eine Verletzung erlitten haben, die sie bei ihrer selbständigen Tätigkeit (zeitweise oder dauerhaft) beeinträchtigt.

Der Ausfall der Arbeitskraft als solcher ist kein Vermögensschaden.
Einem in seiner Arbeitsfähigkeit Geschädigten entsteht ein gegebenenfalls zu ersetzender Vermögensschaden erst dann, wenn sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit konkret und sichtbar ausgewirkt hat.

  • Das muss sich allerdings nicht im Verlust bisher bezogener Einnahmen zeigen, sondern kann auch dadurch sichtbar werden, dass ohne die Schädigung zu erwartende, gegebenenfalls auch gesteigerte Gewinne nicht gemacht werden konnten.

Daher bedarf es bei selbständig Tätigen zur Beantwortung der Frage,

  • ob diese einen Verdienstausfallschaden (§§ 842, 249 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) erlitten haben,

der Prüfung,

  • wie sich das von ihnen betriebene Unternehmen ohne den Unfall voraussichtlich entwickelt hätte.

Im Rechtsstreit kommen dem Geschädigten dabei die Darlegungs- und Beweiserleichterungen nach § 252 BGB, § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) zugute.

  • Nach § 252 Satz 2 BGB gilt nämlich alsentgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte und
  • nach § 287 Abs. 1 ZPO entscheidet, wenn unter den Parteien streitig ist, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse beläuft, hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, wobei
    • es dem Ermessen des Gerichts überlassen bleibt, obund inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen ist und
    • das Gericht (auch) den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen kann.

Diese Erleichterungen ändern jedoch nichts daran, dass

  • es im Rahmen der notwendigen Prognose des entgangenen Gewinns im Sinn des § 252 Satz 2 BGB
  • ebenso wie für die Ermittlung des Erwerbsschadens nach § 287 ZPO,

konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte,

  • in der Regel unter Anknüpfung an die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsergebnisse
  • in den letzten Jahren vor dem Unfall

darlegen und zur Überzeugung des Gerichts nachweisen muss.

Darauf und dass

  • an die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbständigen dabei aber keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden dürfen,

hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 19.09.2017 – VI ZR 530/16 – hingewiesen.

Was Bezieher von Verletztenrente bei neuer prothetischer Versorgung wissen sollten

Hat ein durch einen Arbeitsunfall Verletzter eine neue mikroprozessorgesteuerte Beinprothese erhalten, rechtfertigt dies allein es nicht, die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung herabzusetzen.

Das hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 20.12.2016 – B 2 U 11/15 R – in einem Fall entschieden, in dem

  • ein Unfallverletzter nach der Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels von dem Unfallversicherungsträger mit einer Prothese versorgt und
  • ihm zunächst eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 vom Hundert bewilligt,

dem Unfallverletzten aber,

  • nachdem er anstelle der bisherigen Prothese eine mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese (sogenanntes C‑Leg) erhalten hatte,
  • wegen dadurch bedingter deutlicher Funktionsverbesserung des linken Beines,

nur noch eine geringere Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom Hundert gewährt worden war.

Dass die Versorgung mit der neuen Prothese den Unfallversicherungsträger nicht zur Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente berechtigte, hat der Senat damit begründet, dass

  • die Höhe der Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der u.a. die dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls ausgeglichen werden, sich aus den Berechnungsfaktoren Jahresarbeitsverdienst und Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergibt,
  • die Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Praxis von medizinischen Sachverständigen anhand sogenannter MdE‑Tabellen eingeschätzt wird und

die heranzuziehende MdE‑Tabelle keine Differenzierung nach der Qualität der jeweiligen Oberschenkelprothese vornimmt (Quelle: Pressemitteilung des BSG vom 20.12.2016 – Nr. 28/16 –).

Was Unterhaltsberechtigte und Unterhaltsverpflichtete (die Erwerbsminderungsrente beziehen) wissen sollten

Unterhaltspflichtig gegenüber einem gemäß § 1602 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bedürftigen Verwandten in gerader Linie (vgl. § 1601 BGB) ist nach § 1603 Abs. 1 BGB nur nicht, wer

  • bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist,
  • den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren.

Ob ein Unterhaltspflichtiger leistungsfähig ist bestimmt sich in erster Linie nach dem von ihm erzielten bzw. nach dem ihm möglichen und in zumutbarer Weise erzielbaren Einkommen (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 09.07.2003 – XII ZR 83/00 –).

Die Darlegungs- und Beweislast für eine mangelnde oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit trägt der Unterhaltspflichtige.

Dies gilt ebenfalls für ein von ihm geltend gemachtes Fehlen einer realen Beschäftigungschance (BGH, Beschlüsse vom 22.012014 – XII ZB 185/12 – und vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 –).

  • Zugerechnet werden darf einem Unterhaltspflichtigen allerdings auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist (BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 39/11 –).
  • Für den Unterhalt einsetzbar sind sodann im Rahmen von § 1603 Abs. 1 BGB die erzielten bzw. erzielbaren Beträge, die den angemessenen eigenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen (angemessener Selbstbehalt) übersteigen.

Wer sich gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit berufen will,

Bezieht ein Unterhaltspflichtiger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), so setzt dies grundsätzlich voraus, dass er wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Das zeitliche Leistungsvermögen von täglich drei Stunden entspricht der Grenze für eine Vermittlung durch die Agentur für Arbeit (§ 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III: 15 Stunden wöchentlich; vgl. auch § 138 Abs. 3 Satz 1 SGB III).
Nach demselben Maßstab erfolgt auch die Abgrenzung zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II und der Grundsicherung für Erwerbsgeminderte nach dem Sozialgesetzbuch XII (§ 8 Abs. 1 SGB II, § 41 Abs. 3 SGB XII).

  • Erfüllt ein Unterhaltspflichtiger die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, so ergibt sich daraus mithin, dass er nicht drei Stunden oder mehr arbeitstäglich erwerbstätig sein kann und dass er einer Vermittlung durch die Agentur für Arbeit nicht zur Verfügung steht.
  • Eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht.

Das stimmt mit der vom Gesetz für Renten wegen voller Erwerbsminderung in voller Höhe vorgesehenen Hinzuverdienstgrenze nach § 96 a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI (entsprechend der Geringverdienertätigkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV; derzeit 450 €) überein.

Dementsprechend trägt der Unterhaltspflichtige nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür,

  • dass er keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag,
  • sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung (sog. Mini-Job) gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 18.01.2012 – XII ZR 178/09 – zur Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Ehegatten).

Das gilt bereits im Rahmen der Leistungsfähigkeit nach § 1603 Abs. 1 BGB.
Denn dem Unterhaltspflichtigen obliegt die Ausschöpfung seiner Leistungsfähigkeit auch außerhalb der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB bereits im Rahmen seiner allgemeinen Verpflichtung nach § 1603 Abs. 1 BGB.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 09.11.2016 – XII ZB 227/15 – hingewiesen.