Tag fahrlässige Tötung

OLG Oldenburg entscheidet: Blendung durch die tiefstehende Sonne entschuldigt einen Autofahrer im Falle eines Unfalls nicht

Mit Beschluss vom 19.03.2020 – 1 W 60/20 – hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg in einem Fall, in dem ein links abbiegender Autofahrer mit zwei entgegenkommenden Motorradfahrern,

  • weil er diese wegen der tiefstehenden Abendsonne übersehen hatte,   

kollidiert war und die beiden Motorradfahrer dabei tödlich verletzt worden waren, die Staatsanwaltschaft,

  • die das Verfahren gegen den Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung mit der Begründung eingestellt hatte, es sei nicht auszuschließen, dass 
    • der Autofahrer, der zum Zeitpunkt des Unfalls gegen die tiefstehende Sonne habe blicken müssen, die Motorradfahrer wegen der Sonnenblendung nicht habe erkennen und 
    • deswegen den Unfall nicht habe vermeiden können,

auf Beschwerde der Hinterbliebenen der Motorradfahrer 

  • gegen die Einstellung des Verfahrens und deren Antrag nach § 172 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) hin, 

angeordnet, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Autofahrer 

  • wegen tateinheitlich begangener zweifacher fahrlässiger Tötung nach § 222 Strafgesetzbuch (StGB) 

erheben muss. 

Nach Auffassung des Strafsenats darf ein Autofahrer 

  • nicht einfach „blind“ weiterfahren, ohne eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen,

sondern muss, wenn es nicht anders geht, 

  • so lange warten, bis er wieder richtig sehen kann, was vor ihm ist bzw.
  • am Fahrbahnrand anhalten, bis sich seine Augen an die Blendung gewöhnt haben (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg).

Wovon hängt es ab, ob einem Auto-Raser, der den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers verursacht hat, vorgeworfen werden kann, dass

…. er mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt und folglich

  • ein vorsätzliches Tötungsdelikts (Mord oder Totschlag) begangen hat und
  • nicht (nur) eine fahrlässige Tötung.

Bei einer riskanten Fahrweise im Straßenverkehr,

  • die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt ist,

ist,

  • sofern die riskante Fahrweise des Täters ursächlich für einen tödlichen Unfall war, bei dem ein anderer Verkehrsteilnehmers ums Leben gekommen ist,

in rechtlicher Hinsicht bedingter Tötungsvorsatz dann gegeben, wenn der Täter,

  • nicht erst zu einem Zeitpunkt zu dem er keine Möglichkeit zur Vermeidung des Unfalls mehr besaß,
  • sondern bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem er den Unfall noch hätte vermeiden können,

den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers

  • als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seiner Fahrweise erkannt (Wissenselement) und
  • dies gebilligt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Verkehrsteilnehmers abgefunden hatte, mochte ihm dies auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter

  • mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung (d.h. mit dem Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers) nicht einverstanden war und
  • ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut hatte, dass dies nicht eintreten wird.

Ob nach diesen rechtlichen Maßstäben in dem jeweiligen Einzelfall

  • das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Täter angenommen werden kann oder
  • (lediglich) ein bewusst fahrlässiges Handeln,

hängt davon ab, welche Schlussfolgerungen

  • in Bezug auf das Wissens- und das Willenselement des Täters

bei Berücksichtigung

  • der Persönlichkeit des Täters,
  • seiner psychischen Verfassung bei der Fahrt,
  • seiner Motivation sowie auch
  • aller Tatumstände, wie
    • die konkrete Verhaltensweise,
    • die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und
    • die mit der Vornahme der fremdgefährdenden Handlung einhergehende Eigengefährdung des Täters.

in einer Gesamtschau gezogen werden können (vgl. Bundesgerichtshofs (BGH), Urteil vom 01.03.2018 – 4 StR 399/17 –).