Tag Gefährdungshaftung

Was Hundehalter und die, die mit deren Hunden gefälligkeitshalber Gassi gehen, wissen sollten

Mit Urteil vom 09.09.2020 – 22 O 718/19 – hat das Landgericht (LG) Coburg in einem Fall, in dem eine Frau von dem Hund ihres Nachbarn, 

  • einem normalerweise sehr ruhigen und lieben Labrador, den sie aus Freude daran fast täglich unentgeltlich an der Leine spazieren führte, 

bei einem Spaziergang mit dem Hund, vom Hund umgerissen worden und mit der Schulter auf den Bordstein gestürzt war, 

  • weil sie, als der Hund unterwegs unvermittelt einer Katze nachlief, vor Schreck die Leine nicht gleich losgelassen hatte, 

entschieden, dass für die, ihre bei dem Sturz erlittenen Verletzungen, 

  • der Nachbar als Hundehalter nach § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haftet,

die Frau sich jedoch 

  • nach § 254 Abs. 1 BGB ein Mitverschulden von 50 % anspruchskürzend anrechnen lassen muss.

Begründet hat das LG dies damit, dass ursächlich für den Sturz der Frau und ihre dabei erlittenen Verletzungen das unberechenbare tierische Verhalten des Hundes, 

  • d.h. die von einem Hund ausgehende Tiergefahr 

war, für die derjenige, der das Tier hält 

  • nach § 833 Satz 1 BGB 

einzustehen hat und allein das freiwillige tatsächliche Übernehmen eines Hundes zum Ausführen gefälligkeitshalber, ohne Rechtsbindungswillen gegenüber dem Hundehalter, wie hier, 

  • weder die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Ausschlusses der Gefährdungshaftung rechtfertigt, 
  • noch als (vertragliche) Inobhutnahme des Hundes i.S.v.§ 834 BGB anzusehen ist.

Ein Mitverschulden an ihrem Sturz und den Folgen ist der Frau nach Auffassung des LG deshalb vorzuwerfen, weil 

  • bei der Ausführung eines Hundes stets mit einer vom Jagdtrieb eines Tieres gesteuerten unerwarteten Reaktion gerechnet werden muss und 

sie nicht die nötige Konzentration und Sorgfalt gezeigt hat, um rechtzeitig auf diese durch 

  • einen festen Stand oder 
  • das Loslassen der Leine 

reagieren zu können.

Was bei einem Unfall zwischen Auto und Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) Führer und Halter der Fahrzeuge wissen sollten

Bei einem E-Scooter,

  • der über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) verfügt,

handelt es sich um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne von § 1 eKFV,

  • d.h. um ein Kraftfahrzeug mit elektrischem Antrieb und 
  • einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h, 

so dass gemäß § 8 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Vorschrift des § 7 Abs. 1 StVG, 

  • nach der, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, 
  • der Kraftfahrzeughalter, unabhängig von einem Verschulden, dem Verletzten den entstandenen Schaden zu ersetzen hat,

nicht gilt.

Darauf hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Münster vom 09.03.2020 – 8 O 272/19 – hingewiesen.

Das bedeutet, will nach einem streitigen Unfallhergang 

  • zwischen einem Auto und einem E-Scooter, 

der Eigentümer des Autos den ihm entstandenen Schaden ganz oder zumindest teilweise ersetzt haben, muss er,

  • nachdem für einen bei dem Betrieb eines E-Scooters entstandenen Unfallschaden 
    • weder der Halter des E-Scooters verschuldensunabhängig aus § 7 Abs. 1 StVG,
    • noch der E-Scooter-Fahrer aus § 18 StVG haftet,

gem. § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nachweisen, dass das Unfallereignis 

  • (zumindest teilweise) auf ein mindestens für den Unfall (mit)ursächliches fahrlässiges Verhalten des E-Scooter-Fahrers 

zurückzuführen ist,

Anders ist dies, wenn der E-Scooter-Fahrer seinen Schaden ersetzt haben möchte. 

Für den 

  • dem E-Scooter-Fahrer

entstandenen Schaden haften

  • der Halter des Autos verschuldensunabhängig aus § 7 Abs. 1 StVG sowie
  • der Fahrer des Autos aus vermutetem Verschulden gemäß § 18 StVG.  

Hinweis:

Dazu, wer wann haftet, wenn es 

  • auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg 

zu einer Kollision zwischen 

  • einem Fußgänger und einem Elektrokleinstfahrzeug (Segway) 

kommt, vgl. Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Beschluss vom 16.04.2019 – 12 U 692/18 –.

Was man wissen sollte, wenn man sich in der Straßenbahn bei einem Bremsmanöver des Straßenbahnführers verletzt hat

Verletzt sich ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn haftet der Straßenbahnbetreiber dem Fahrgast gegenüber auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld

  • aus §§ 823, 831, 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bzw. §§ 611 ff., 280, 278, 249 ff. BGB, wenn
    • eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit des Straßenbahnführers vorgelegen hat,
    • also das Bremsmanöver verkehrsbedingt nicht zwingend erforderlich war,
  • aber auch aus – verschuldensunabhängiger – Gefährdungshaftung nach §§ 1 Abs. 1 Haftpflichtgesetz (HaftpflichtG), 249 ff. BGB
    • für die bei dem Betrieb der Straßenbahn erlittenen Verletzungen,
    • sofern der Unfall nicht durch höherer Gewalt verursacht worden ist (vgl. § 1 Abs. 2 HaftpflichtG).

Allerdings kann,

  • auch wenn danach eine Haftung des Straßenbahnbetreibers dem Grunde nach gegeben ist,

den Fahrgast ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkendes anspruchsminderndes Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB) treffen und

Welche Anforderungen an Passagiere einer Straßenbahn im Rahmen des zu prüfenden Mitverschuldens zu stellen sind, ist stets eine Einzelfallfrage und anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Falles zu beurteilen.

Ein bei der Entstehung des Schadens mitwirkendes Verschulden liegt aber beispielsweise dann vor, wenn ein Fahrgast sich, entgegen der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen, im Fahrzeug keinen festen Halt verschafft.

Ob stets ein Festhalten mit beiden Händen erforderlich ist, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich gesehen.
Erforderlich ist jedoch zumindest, dass der Fahrgast verkehrsangepasste Sicherheitsvorkehrungen zur Verschaffung eines sicheren Halts und zur Vermeidung von Sturzereignissen ergreift.
Insbesondere im Stadtverkehr muss ein Fahrgast dabei auch mit plötzlichen Bremsmanövern jederzeit rechnen und diese bei der Wahl der Sicherheitsvorkehrungen in Rechnung stellen.

  • Kommt ein Fahrgast bei einem Bremsmanöver der Straßenbahn zu Fall, spricht bereits der erste Anschein dafür, dass er sich nicht ausreichend festgehalten hatte.

Berücksichtigung finden kann im Rahmen des Mitverschuldens aber auch, ob ein vorhandener Sitzplatz ohne zwingende Notwendigkeit frühzeitig verlassen wurde (so LG Köln, Urteil vom 14.02.2017 – 25 O 160/16 –).

Was Kraftfahrer und Fußgänger im Fall einer Kollision auf einem Fußgängerüberweg wissen sollten

Kommt es bei einem Verkehrsunfall zur Kollision

  • zwischen einem Fußgänger,
    • der einen Fußgängerüberweg (Zeichen 293 der Anlage 2 zu § § 41 Abs. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)) im Dunkeln und bei Annäherung eines Kraftfahrzeugs überquert,
  • und einem Kraftfahrzeug,
    • dessen Fahrer und Halter nach § 26 Abs. 1 StVO Fußgängern, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn hätte ermöglichen und wenn nötig warten müssen,
    • aber die Bevorrechtigung des Fußgängers missachtet hat und der den Unfall bei einer der Verkehrssituation angepassten Fahrweise und rechtzeitiger Reaktion wegmäßig hätte vermeiden können,

darf der Schadensersatzanspruch des Fußgängers,

  • den im Gegensatz zum Fahrzeughalter keine Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) trifft,

gem. § 9 StVG, § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur gekürzt werden, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 19.08.2014 – VI ZR 308/13 –).

Ein Mitverschulden des Fußgängers liegt beispielsweise vor, wenn

  • für diesen das herannahende Fahrzeug ausreichend lange sichtbar war,
  • so dass er bei Beachtung des Fahrverhaltens des Fahrzeugführers (ungebremste Weiterfahrt) und bei entsprechendem Verzicht auf die Überquerung des Zebrastreifens den Unfall hätte vermeiden können.

Auch an Fußgängerüberwegen dürfen Fußgänger nämlich ihren Vorrang weder erzwingen, noch achtlos auf den Überweg treten.
Besonders im Dunkeln hat der Überwegbenutzer den Fahrverkehr mit Sorgfalt zu beachten und bei erkennbarer Gefährdung durch nahe Fahrzeuge abzuwarten.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) München mit Urteil vom 16.09.2016 – 10 U 750/13 – hingewiesen.