Tag Grundrecht

BVerfG erläutert, wonach sich beurteilt, ob eine ehrverletzende Äußerung als strafbare Beleidigung

…. angesehen werden kann. 

Mit Beschluss vom 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19 – hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darauf hingewiesen, dass,

  • da Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) Jedem das Recht gibt, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, 

strafrechtliche Verurteilungen 

  • wegen Beleidigung (§ 185 Strafgesetzbuch (StGB)) 

in das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingreifen und die Anwendung dieser Strafnorm daher eine  

  • der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung 

und darauf aufbauend im Normalfall, unter Berücksichtigung 

  • der konkreten Umständen des Falles und 
  • der Situation, in der die Äußerung gefallen ist,

einer abwägenden Gewichtung der Beeinträchtigungen bedarf, die 

  • der persönlichen Ehre auf der einen und 
  • der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite 

drohen.

Danach ist eine ehrbeeinträchtigende Äußerung, 

  • abgesehen von den Fällen, in denen die Äußerung 
    • die Menschenwürde einer konkreten Person antastet oder 
    • sich als Formalbeleidigung oder 
    • als Schmähung darstellt und deswegen eine solche Abwägung ausnahmsweise entbehrlich sein kann,   

nur dann eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige (§ 193 StGB) Beleidigung, wenn die Grundrechtsabwägung ergibt, dass 

  • das Gewicht der persönlichen Ehre in der konkreten Situation 
  • die Meinungsfreiheit des Äußernden 

überwiegt.

Dabei können zu den zu berücksichtigenden Umständen insbesondere 

  • Inhalt,
  • Form,
  • Anlass und 
  • Wirkung der Äußerung sowie 
  • Person und Anzahl der Äußernden, der Betroffenen und der Rezipienten 

gehören (so auch BVerfG, Beschlüsse vom 19.05.2020 – 1 BvR 2459/19, 1 BvR 2397/19, 1 BvR 1094/19, 1 BvR 362/18 –).

Wann liegt eine Ansammlung vor, wenn nach einer Corona-Bekämpfungs-Verordnung Ansammlungen

…. bußgeldbewehrt verboten sind?

Mit Urteil vom 08.03.2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 – hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz darauf hingewiesen, dass  

  • ein kurzes Zusammentreffen mehrerer Personen zum Austausch von Begrüßungen oder Ähnlichem, 
  • bei dem von vornherein durch die Wahrung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes eine Übertragung der Virusinfektion ausgeschlossen ist,

keine bußgeldbewehrte verbotene „Ansammlung“ 

  • im Sinne einer Corona-Bekämpfungs-Verordnung 

darstellt und in einem Fall einen Betroffenen freigesprochen, dem deswegen ein 

  • Verstoß gegen das in einer Corona-Bekämpfungs-Verordnung angeordnete Ansammlungsverbot 

vorgeworfen worden war, weil er,  

  • als er in Begleitung eines Freundes einen Geldautomaten aufgesucht hatte und 
  • zufällig auf einen Bekannten getroffen war, der seinerseits in Begleitung eines Freundes unterwegs war, 

mit seinem Begleiter und dem anderen Personenpaar, 

  • bei Einhaltung eines Abstandes von 1,5 bis 2 Meter, 

ungefähr ein bis zwei Minuten im Halbkreis 

  • zusammen gestanden war und 
  • sich, um einem dieser Bekannten wegen des Todes der Großmutter zu kondolieren, unterhalten hatte. 

Dass in einem solchen Fall 

  • keine verbotene „Ansammlung“ 

vorliegt, hat der Bußgeldsenat damit begründet, dass, wenn eine Corona-Bekämpfungs-Verordnung 

  • „Ansammlungen“ verbietet und 
  • bei einem Verstoß dagegen ein Bußgeld vorsieht, 

der Begriff der „Ansammlung“ 

  • zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Eingriffs in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz)

einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf, die das öffentliche Interesse daran, 

  • eine weitere Ausbreitung des Infektionsgeschehens zu verhindern, 

in einen angemessenen und vernünftigen Bezug zu den Bedürfnissen und unantastbaren Rechten der Bürger setzt und hiervon ausgehend, 

  • damit nicht die rein zufällige gleichzeitige Anwesenheit mehrerer Personen, wie sie beispielsweise beim Einkaufen des täglichen Lebensbedarfs oder bei einem Spaziergang entstehen kann, zur Ordnungswidrigkeit wird, 

maßgebend für die Beurteilung, ob eine „Ansammlung“ vorliegt, zum einen ist, 

  • ob dem Zusammentreffen die Absicht zugrunde liegt, sich für einen längeren als nur flüchtigen Moment gemeinsam an einem bestimmten Ort aufzuhalten

sowie zum anderen, 

  • ob bei dem Zusammentreffen der durch die Verordnung vorgegebene Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Personen eingehalten wird (Quelle: Pressemitteilung des OLG Koblenz). 

VGH Baden-Württemberg kippt das baden-württembergische Beherbergungsverbot wegen Unverhältnismäßigkeit und

…. setzt es mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug.   

Mit Beschluss vom 15.10.2020 – 1 S 3156/20 – hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg § 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Wirtschafts- und Sozialministeriums, der, 

  • sofern kein negativer Coronatest vorgelegt werden kann, der nicht älter als 48 Stunden ist, 

die Beherbergung von Gästen untersagt, die sich in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert 

  • von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner in den vorangehenden sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) 

überschritten wurde,

  • wegen voraussichtlicher Verfassungswidrigkeit,

mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt.  

Begründet hat der VGH dies damit, dass das Beherbergungsverbot in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eingreife, nachdem von der Landesregierung das Bestehen eines besonders hohen Infektionsrisikos im Zusammenhang mit der Beherbergung, 

  • dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsse, 

schon nicht dargelegt worden sei und trotz steigender Fallzahlen in Deutschland Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben auch nicht bekannt, sondern  

  • aktuelle „Treiber“ der Pandemie 

die Feiern in größeren Gruppen oder die Aufenthalte in Bereichen seien, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge nicht eingehalten würden (Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim).

Corona-Pandemie: Hessischer VGH kippt die für 27.04.2020 vom Land Hessen angeordnete Schulpflicht für Viertklässler

…. der Grundschulen und setzt die Anordnung vorläufig außer Vollzug.

Mit unanfechtbarem Beschluss vom 24.04.2020 – 8 B 1097/20.N – hat der 8. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH)

  • auf Antrag einer Schülerin der vierten Jahrgangsstufe einer Grundschule

in einem Eilverfahren entschieden, dass

  • § 3 Abs. 1 Nr. 2a) der Verordnung des Landes Hessen zur Bekämpfung des Corona-Virus vom 16.04.2020,

mit dem für Schülerinnen und Schüler der vierten Jahrgangsstufe der Grundschule,

  • im Gegensatz zu den Schülerinnen und Schülern der übrigen Jahrgangsstufen, die dem Unterricht nach § 33 Nr. 3 des Infektionsschutzgesetzes bis zum 03.05.2020 der Schule fernbleiben müssen,

ab dem 27.04.2020 eine Schulpräsenzpflicht angeordnet wurde, vorläufig außer Vollzug gesetzt wird.

Begründet hat der Senat diese Entscheidung,

  • die zur Folge hat, dass Viertklässler am 27.04.2020 zu Hause bleiben können,

damit, dass die Schülerinnen und Schüler der vierten Jahrgangsstufe

  • im Vergleich

zu der übrigen überwiegenden Zahl der Schülerinnen und Schüler,

  • denen aus Gründen des Infektionsschutzes der Schulbesuch bis zum 03.05.2020 gänzlich untersagt sei und
  • die sich somit keinem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen müssten,

ohne hinreichenden Grund ungleich behandelt und dadurch

  • in ihrem Grundrecht aus Art 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) auf Gleichbehandlung

verletzt würden (Quelle: Pressemitteilung des VGH Kassel).