Tag hypothetisch

Ärzte und Patienten sollten wissen wann, trotz fehlerfreier Behandlung, eine Arzthaftung wegen eines Aufklärungsversäumnisses

…. in Betracht kommt.

Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, müssen Ärzte einholen

  • die Einwilligung des Patienten

und falls ein Patient einwilligungsunfähig ist,

  • die Einwilligung eines hierzu Berechtigten,
  • soweit nicht eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Maßnahme gestattet oder untersagt.

Ohne wirksame Patienteneinwilligung,

  • die eine vorherige Aufklärung nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 BGB voraussetzt und
  • die jederzeit und ohne Angabe von Gründen formlos widerrufen werden kann,

darf ein ärztlicher Eingriff ausschließlich dann durchgeführt werden, wenn

  • eine durchzuführende Maßnahme unaufschiebbar ist,
  • die Einwilligung dafür nicht (mehr) rechtzeitig eingeholt werden kann und
  • die Durchführung der unaufschiebbaren Maßnahme demmutmaßlichen Willen des Patienten entspricht (vgl. § 630d BGB).

Liegt kein solcher Ausnahmefall,

  • in dem eine unaufschiebbare Maßnahme ohne Einwilligung durchgeführt werden darf,

vor und ist der Patient nicht

  • rechtzeitig vor einem Eingriff

von dem Arzt

  • nach Maßgabe von § 630e Absatz 1 bis 4 BGB

aufgeklärt worden,

  • also beispielsweise
    • nicht hinreichend verständlich über die Art und den Umfang des vorgenommenen Eingriffs sowie
    • eine mögliche Eingriffsalternative (§ 630e Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB)
  • bzw.
    • nicht in der erforderlichen Art und Weise über eine bei einem Fehlschlagen der geplanten und dann möglicherweise erforderlich werdende (vorhersehbare) Operationserweiterung
  • oder
    • ist eine ursprünglich geplante Operation in erweiterter und von der erteilten Patienteneinwilligung nicht mehr gedeckten Form fortgesetzt worden, ohne eine mögliche Unterbrechung vorzunehmen, um zunächst die Einwilligung des Patienten zu dem erweiterten Eingriff einzuholen,

haftet der Arzt,

  • weil dann keine wirksam erteilte Patienteneinwilligung in Bezug auf den vorgenommen Eingriff vorliegt (§ 630d Abs. 2 BGB),
  • auch dann, wenn ihm kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden kann,

aus

  • 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der §§ 630a ff. BGB und/oder
  • 823 Abs. 1 BGB

für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachteiligen Folgen, sofern

  • er sich nicht auf den Einwand der sogenannten hypothetischen Einwilligung berufen kann (§ 630h Abs. 2 Satz 2 BGB).

Behauptet der Arzt, dass der Patient auch dann,

  • wenn er vor dem vorgenommenen Eingriff ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre,

in die Maßnahme eingewilligt hätte,

  • trifft ihn die Beweislast dafür,

allerdings erst dann, wenn

Bei nur relativer Indikation einer Operation müssen Ärzte die Patienten umfassend über echte Alternativen aufklären

…. wenn sie sich nicht schadensersatz- und/oder schmerzensgeldzahlungspflichtig machen wollen.

Mit Urteil vom 15.12.2017 – 26 U 3/14 – hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm darauf hingewiesen, dass bei Bestehen einer nur relativen Indikation zur Vornahme eines operativen Eingriffs,

  • beispielsweise wenn wegen fehlender neurologischer Ausfallerscheinungen nur eine relative Indikation für eine Operation an der Lendenwirbelsäule besteht,

der operative Eingriff,

  • wegen unzureichender Aufklärung des Patienten und damit mangels wirksamer Einwilligung,

dann widerrechtlich erfolgt, wenn der Patient nicht dezidiert darüber aufgeklärt worden ist, dass auch

  • alternativ konservativ behandelt bzw.
  • die konservative Behandlung als echte Behandlungsalternative fortgesetzt werden kann.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • die Wahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arztes sei,

dem Patienten aber, wenn es mehrere Behandlungsmöglichkeiten gebe, damit dieser eine echte Wahlmöglichkeit habe,

  • durch eine entsprechend vollständige Aufklärung die Entscheidung überlassen werden müsse,
  • auf welchem Weg die Behandlung erfolgen solle und auf welches Risiko er sich einlassen wolle,

wobei je weniger dringlich sich der Eingriff – nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht – in zeitlicher und sachlicher Hinsicht darstelle, desto weitgehender Maß und Genauigkeitsgrad der Aufklärungspflicht seien,

  • so dass bei einer nur relativ indizierten Operation regelmäßig auch eine Aufklärung über die Möglichkeit einer abwartenden Behandlung oder das Nichtstun geboten sei.

Von einer

  • hypothetischen Einwilligung des Patienten in die Operation

könne in einem solchen Fall, so der Senat weiter, dann nicht ausgegangen werden, wenn

  • der Patient glaubhaft machen könne, dass er sich bei umfassender Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt zwischen den Behandlungsalternativen befunden hätte und
  • dem Arzt der Nachweis, dass der Patient sich gleichwohl für den operativen Eingriff entschieden hätte, nicht gelingt.