Ärztliche Aufklärungspflicht – Umfang und Grenzen.

Ärztliche Aufklärungspflicht – Umfang und Grenzen.

Auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, kann ein Arzt haften, wenn der Patient über mögliche Risiken eines Eingriffs unzureichend aufgeklärt worden ist und deswegen seine Einwilligung in den Eingriff unwirksam war.

Die Eingriffs- und Risikoaufklärung dient der Selbstbestimmung des Patienten. Sie soll ihm das Wissen vermitteln, das er braucht, um sich eigenverantwortlich für oder gegen den ihm angeratenen Eingriff zu entscheiden. Dazu muss er nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –) „im Großen und Ganzen” wissen, worin er einwilligt. Er muss also über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss deshalb eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern.
Dabei hängt die Notwendigkeit zur Aufklärung nicht davon ab, wie oft ein solches Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die es für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung kann die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten deshalb auch dann von Bedeutung sein, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht.

  • Die Aufklärungspflicht beschränkt sich allerdings zum einen auf eingriffstypische, spezifisch mit der Therapie verbundene Risiken.

Sie gilt daher nicht für außergewöhnliche und nicht vorhersehbare Folgen des Eingriffs, die so fern liegen, dass sie weder für die ärztliche Therapieentscheidung noch für die Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung sind.

  • Zum anderen ist nur über bekannte Risiken aufzuklären.

War ein Risiko im Zeitpunkt der Behandlung noch nicht bekannt, besteht keine Aufklärungspflicht.
War es dem behandelnden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft, aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt die Haftung des Arztes mangels schuldhafter Pflichtverletzung.

  • Wenn sich ein Risiko verwirklicht, über das der Arzt nicht aufklären musste und auch nicht aufgeklärt hat, kann sich die Haftung aber daraus ergeben, dass es an der notwendigen Grundaufklärung fehlt, weil der Patient nicht auf das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko hingewiesen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2001 – VI ZR 353/99 –).

Ist die Einwilligung eines Patienten wegen unzureichender Risikoaufklärung unwirksam kann sich der Arzt damit verteidigen, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte.
Ein solcher Einwand der hypothetischen Einwilligung als Verteidigungsmittel ist grundsätzlich beachtlich (BGH, Urteile vom 15.03.2005 – VI ZR 313/03 –; vom 10.10.2006 – VI ZR 74/05 – und vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07 –).

  • Die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte, trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt.
  • Wenn der Arzt sich auf eine hypothetische Einwilligung beruft, muss der Patient jedoch darlegen, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre. Dabei kommt es allein auf seine persönliche Entscheidungssituation aus damaliger Sicht und nicht darauf an, ob ein „vernünftiger“ Patient dem entsprechenden ärztlichen Rat gefolgt wäre.
  • Nur wenn der Patient einen solchen Entscheidungskonflikt zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, muss der Arzt den ihm obliegenden Beweis führen.

 

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 09.04.2014 – 7 U 124/12 – hingewiesen und in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall entschieden, dass ein Patient vor Durchführung einer Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten im Rahmen der Grundaufklärung über das zwar seltene, aber eingriffstypische, nämlich spezifisch mit der Art des Eingriffs verbundene Risiko von Infektionen aufgeklärt, nicht aber ausdrücklich darauf hingewiesen werden muss, dass sich eine solche Infektion in äußerst seltenen Fällen zu einer Sepsis mit schwerwiegenden und sogar tödlichen Folgen entwickeln kann.
Ein solcher Verlauf wäre zwar mit einer denkbar schweren Belastung verbunden. Er ist aber so außergewöhnlich und fernliegend, dass er weder für die ärztliche Therapieentscheidung noch für die Selbstbestimmung des Patienten von Bedeutung ist. Denn zum einen kann sich jede Infektion zu einer Sepsis mit potentiell tödlichen Folgen entwickeln. Dieses allgemeine Risiko ist bei der Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten nicht erhöht und insofern auch nicht eingriffsspezifisch. Zum anderen handelt es sich bei der Ligatur und Sklerosierung von Hämorrhoidalknoten um seit langem etablierte, häufig durchgeführte und insgesamt komplikationsarme Standardeingriffe, bei denen nur selten eine Infektion auftritt. Dass eine solche Infektion zu septischen Komplikationen führt, ist trotz der Häufigkeit dieser Eingriffe nur ganz vereinzelt belegt, und mit dem Risiko, dass diese Komplikationen auch auf andere Weise entstehen können, war bei dem von dem Arzt verwendeten Verödungsmittel nicht zu rechnen.
Über eine derart fernliegende Gefahr der Ausbildung einer tödlich verlaufenden Sepsis braucht der Patient nicht aufgeklärt zu werden. 

 


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