Tag Medizinrecht

Auch bei grobem Behandlungsfehler eines Tierarztes kommt es zur Umkehr der Beweislast

Die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere auch bei Befunderhebungsfehlern, sind auch im Bereich der tierärztlichen Behandlung anzuwenden.

Das hat der u.a. für die Arzthaftung einschließlich der Haftung des Tierarztes zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 – entschieden.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • sich sowohl die humanmedizinische als auch die Tätigkeit eines Tierarztes auf einen lebenden Organismus beziehen,
  • bei der tierärztlichen Behandlung – wie in der Humanmedizin – dem für die Beweislastumkehr maßgeblichen Gesichtspunkt, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist, eine besondere Bedeutung zukommt und
  • auch ein grob fehlerhaft handelnder Tierarzt durch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen und dadurch die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten vertieft hat.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 10.05.2016 – Nr. 83/2016 – mitgeteilt.

Das bedeutet:
Steht fest, dass ein Tierarzt bei der Behandlung eines Tieres einen groben Behandlungsfehler oder Befunderhebungsfehler begangen hat und bleibt ungeklärt, ob dieser Fehler ursächlich war für einen Schaden den das Tier erlitten hat, trägt somit der Tierarzt die Beweislast.

Patient muss bei Absage eines OP-Termins keinen Schadensersatz zahlen

Das Amtsgericht (AG) München hat mit Urteil vom 28.01.2016 – 213 C 27099/15 – in einem Fall, in dem in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eines Wahlleistungsvertrages einer Schönheitsklinik für eine Operation geregelt war, dass die Klinik

  • bei Absage oder Verschiebung eines durch den Patienten zugesagten Eingriffstermins stets eine Verwaltungsgebühr von 60 Euro brutto erhebt sowie
  • bei Abwesenheit des Patienten am Eingriffstag oder einer kurzfristigen Absage des Eingriffstermins eine Stornogebühr,
    • die bei Absage weniger als 14 Tage vor dem Eingriff 40%,
    • innerhalb von 7 Tagen vor dem Eingriff 60% und
    • innerhalb von 48 Stunden vor dem Eingriff oder bei Abwesenheit am Eingriffstag 100% des Gesamtrechnungsbetrags brutto beträgt,

entschieden,

  • dass diese AGBs wegen unangemessener Benachteiligung der Patienten unwirksam sind.

Begründet hat das AG dies damit, dass

  • der Patient nach der Regelung in den AGB für den Fall einer Absage innerhalb von 48 Stunden vor dem Eingriff nicht nur 100 Prozent des Bruttobetrags vergüten, sondern auch noch eine Verwaltungsgebühr von 60 Euro zahlen und demnach bei kurzfristiger Absage des Eingriffs mehr bezahlen müsste als er bei Durchführung des Eingriffs zu leisten hätte und
  • außerdem nicht berücksichtigt werde, dass die Klinik bei Absage eines Operationstermins sich Aufwendungen wie Medikamente und Verbrauchsmaterialen, Strom- und Reinigungskosten erspare, die zugunsten des Patienten abzuziehen seien.

Abgesehen davon müsse ein Patient jederzeit die Möglichkeit haben, frei darüber zu entscheiden, ob er einen Eingriff in den Körper oder seine Gesundheit zulassen will und dieses Interesse des Patienten auf körperliche Unversehrtheit ist schützenswerter als das wirtschaftliche Interesse des Behandlers, das demzufolge zurückzutreten hat.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 29.04.2016 – 34/16 – mitgeteilt.

Operation eines Patienten mit Grundleiden unter Überschreitung der erteilten Einwilligung

Wer trägt im Schmerzensgeldprozess die Beweislast dafür, dass postoperative, auf die mangels Einwilligung rechtwidrige Operation zurückzuführende Beschwerden auch ohne den rechtswidrigen Eingriff aufgetreten wären?

Wird bei einem Patienten mit einem Grundleiden eine Operation ausgeführt,

  • die – mangels wirksamer Einwilligung – rechtswidrig ist und
  • die zu Beschwerden (Gesundheitsbeeinträchtigungen) führt,

ist es, wenn der Patient wegen dieser Beschwerden Schmerzensgeld (§ 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) verlangt, Sache der Behandlungsseite zu beweisen,

  • dass der Patient ohne den rechtswidrig ausgeführten Eingriff dieselben Beschwerden haben würde,
  • weil sich das Grundleiden in mindestens ähnlicher Weise ausgewirkt haben würde (Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 13.01.1987 – VI ZR 82/86 –; vom 05.04.2005 – VI ZR 216/03 –).

Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz,

  • wonach der Schädiger zu beweisen hat,
  • dass sich ein hypothetischer Kausalverlauf bzw. eine Reserveursache ebenso ausgewirkt haben würde, wie der tatsächliche Geschehensablauf.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 22.03.2016 – VI ZR 467/14 – hingewiesen und in einem Fall, in dem

  • von einer Patientin, nachdem die zystischen Tumoranteile bei einem bei ihr vorhandenen gutartigen Hirntumor stark zugenommen hatten, die Einwilligung zu einer Fensterung (Drainage) erteilt,
  • von dem Arzt aber unter Hinwegsetzung über die erteilte Einwilligung der Tumor entfernt worden und

es bei der Patientin zu einer postoperativen, kausal auf der Tumorentfernung beruhenden apallischen Schädigung gekommen war, festgestellt,

  • dass die Darlegungs- und Beweislast, dass eine Fensterung der Zyste zu den denselben Beeinträchtigungen geführt hätte, wie die tatsächlich durchgeführte rechtswidrige Operation, die Behandlungsseite trägt.

Ärztliche Aufklärungspflicht bei einer Brustvergrößerung mit Silikonimplantaten

Worüber muss eine Patientin, die eine solche oder eine andere kosmetische Operation wünscht, aufgeklärt werden?

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) muss ein Patient „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt.
Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können.
Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 241/09 –).

  • Je weniger ein ärztlicher Eingriff medizinisch geboten ist, umso ausführlicher und eindrücklicher ist der Patient, dem dieser Eingriff angeraten wird oder den er selbst wünscht, über dessen Erfolgsaussichten und etwaige schädliche Folgen zu informieren.

Das gilt in besonderem Maße für kosmetische Operationen,

  • die nicht, jedenfalls nicht in erster Linie der Heilung eines körperlichen Leidens dienen,
  • sondern eher einem psychischen und ästhetischen Bedürfnis.

Der Patient muss in diesen Fällen darüber unterrichtet werden,

  • welche Verbesserungen er günstigenfalls erwarten kann, und
  • ihm müssen etwaige Risiken deutlich vor Augen gestellt werden,

damit er genau abwägen kann,

  • ob er einen etwaigen Misserfolg des ihn immerhin belastenden Eingriffs und
  • darüber hinaus sogar bleibende Entstellungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen will,
  • selbst wenn diese auch nur entfernt als eine Folge des Eingriffs in Betracht kommen.

Deswegen stellt die Rechtsprechung sehr strenge Anforderungen an die Aufklärung des Patienten vor einer kosmetischen Operation (BGH, Urteil vom 06.11.1990 – VI ZR 8/90 –; Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Urteil vom 29.03.2006 – 3 U 263/05 –; OLG München, Urteil vom 22.04.2010 – 1 U 3807/09 –; OLG Köln, Beschluss vom 02.09.2015 – 5 U 57/15 – ).

Bei einer Brustaugmentation mit Silikonimplantaten ist nach diesen Maßstäben,

  • neben den allgemeinen Operationsrisiken (Blutung, Infektion, Narbenbildung, Kapselfibrose, Folgeoperationen, mögliche Notwendigkeit des Austauschs des Implantats, Gefahr einer Asymmetrie, möglicherweise unbefriedigendes kosmetisches Ergebnis)

insbesondere darüber aufzuklären,

  • dass die Haltbarkeit von Silikonimplantaten begrenzt ist und durchschnittlich etwa 10 bis 15 Jahre beträgt,
  • die tatsächliche Lebensdauer individuell verschieden ist und von der Reaktion der Implantate mit dem umliegenden Gewebe abhängt, die wiederum von seiner Größe, dem Weichteilmantel, der Lage der Implantate und den körperlichen Aktivitäten der Patientin beeinflusst wird,
  • zu den Umständen, die die Lebensdauer der Implantate begrenzen, auch die Risiken einer Implantatruptur mit den Folgen möglicher lokaler Gewebereaktionen, einem Gel-Bleeding oder einer Beschädigung des Implantat durch eine massive Gewalteinwirkung, etwa einen Auto- oder Sportunfall gehören und
  • die begrenzte Lebensdauer von Silikonimplantaten nach 10 Jahren eine regelmäßige engmaschige Kontrolle und gegebenenfalls einen Austausch der Implantate erforderlich macht.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Urteil vom 20.04.2016 – 7 U 241/14 – hingewiesen.

Dialyse bei blinden Patienten

Da im seltenen Fall einer Dislokation (Lageveränderung) der Dialysenadel während einer Dialysebehandlung,

  • wenn Patienten nicht rechtzeitig Alarm auslösen, es zu einem tödlichen Blutverlust kommen kann und
  • man bei blinden Patienten, da diese aufgrund ihrer Erblindung eine Dislokation voraussichtlich nicht bemerken, sich nicht darauf verlassen kann, dass sie rechtzeitig Alarm auslösen,

 

müssen blinde Patienten vor Beginn einer Dialysehandlung über dieses Risiko sowie darüber aufgeklärt werden, dass diese Gefahr durch eine Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms nahezu ausgeschlossen werden kann (Sicherheitsaufklärung),

  • damit sie im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts entscheiden können, ob sie in die gebotene Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms einwilligen.

 

Darauf hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 16.02.2016 – 26 U 18/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem ein aufgrund einer Diabeteserkrankung erblindeter Dialysepatient verstorben war,
  • weil sich bei einer durchgeführten Dialysebehandlung eine der im linken Oberarm befestigte Dialysenadel gelöst hatte und es zu einer Blutung des Patienten gekommen war,

 

die die Dialysepraxis betreibenden Ärzte zur Zahlung von 5.000 Euro Schmerzensgeld und ca. 2.700 Euro Beerdigungskosten an die Erben des Patienten verurteilt.

Die Entscheidung hat der Senat damit begründet, dass die Dialysebehandlung der Ärzte fehlerhaft gewesen sei, weil

  • Bewegungen eines Patienten auch eine ordnungsgemäß befestigte Dialysenadel abrutschen lassen können,
  • eine derartige Dislokation der Nadel zwar eine seltene Komplikation sei, aber in kürzester Zeit zum Tod eines Patienten führen könne und
  • da man sich aufgrund der Erblindung des Patienten nicht habe darauf verlassen können, dass er bei einem Blutverlust rechtzeitig Alarm auslöst, es zur Verhinderung einer Dislokation der Dialysenadel bei dem Patienten geboten gewesen wäre, seinen linken Arm während der Dialysebehandlung zu fixieren.

 

Dadurch, dass eine Fixierung gegen den Willen des Patienten nicht hätte erfolgen können, war die Schadensersatzpflicht im vorliegenden Fall deshalb nicht ausgeschlossen, da, wie der Senat weiter ausgeführt hat,

  • es versäumt worden sei, dem Patienten vor Behandlungsbeginn, die bei eingeschränkten, insbesondere blinden Patienten, zwingend erforderliche Sicherheitsaufklärung darüber zu erteilen, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Dialysenadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen und dieses Risiko durch eine Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms von vorneherein verhindert werden könne,
  • so dass der Patient im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts nicht über seine Einwilligung in die Fixierung habe entscheiden können.

 

Festgestellt hat der Senat aber auch, dass

  • von einer Dialysepraxis eine dauerhafte Überwachung eingeschränkter Patienten aufgrund des damit verbundenen personellen und finanziellen Aufwandes nicht gefordert werden könne,
  • auch bei Patienten, die nicht selbst Alarm auslösen können, in der Regel eine stündliche Kontrolle genüge und
  • nur bei kreislaufinstabilen Patienten eine häufigere Kontrolle stattfinden müsse.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 02.03.2016 mitgeteilt.

 

Patienten haben Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen

Patienten haben Anspruch darauf, dass der Arzt gegen Kostenerstattung lesbare Kopien von den kompletten Patientenunterlagen fertigt und ihnen zur Verfügung stellt bzw. mit ihrem Einverständnis an die Versicherung herausgibt.
Ein Zurückbehaltungsrecht an den Unterlagen wegen einer noch offenen Behandlungsrechnung hat der Arzt nicht.

Das hat das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 06.03.2015 – 243 C 18009/14 – entschieden.

Wie das AG ausgeführt hat, haben Patienten Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen, ohne dass dafür ein besonderes Interesse dargelegt werden muss.
Erfüllt ist der Anspruch auf Herausgabe der Patientenunterlagen in Kopie nur, wenn der Arzt sämtliche Unterlagen in lesbarer Kopie gegen Kostenerstattung zur Verfügung stellt.

Ein Zurückbehaltungsrecht an den Unterlagen wegen einer noch offenen Behandlungsrechnung besteht nicht, da die Patientenunterlagen mitunter gerade die Feststellung eines Behandlungsfehlers ermöglichen sollen, aufgrund dessen die Zahlung der Rechnung durch die Versicherte oder die Klägerin verweigert wird.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 15.01.2016 – 04/16 – mitgeteilt.

 

Weil sie Steißbeinfraktur nicht erkannt und Patientin jeweils fehlerhaft behandelt haben müssen zwei Ärzte Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlen

Weil von zwei Ärzten bei einer 62.jährigen Patientin das Vorliegen einer Steißbeinfraktur nicht erkannt worden war,

  • sondern die Patientin von dem ersten Arzt, an dem sie sich, nachdem sie gestürzt und auf das Steißbein gefallen war, gewandt hatte, trotz anhaltender Beschwerden, ohne eine Fraktur durch bildgebende Verfahren abzuklären, über längere Zeit nur mit schmerzstillenden Infiltrationen behandelt worden war und
  • sie von dem zweiten Arzt, nach der Anfertigung eines MRT der Lendenwirbelsäule und des Iliosakralgelenks lediglich erneut mehrere Injektionen erhalten hatte,

 

müssen die beiden Ärzte u.a. 100.000 Euro Schmerzensgeld an die Patientin sowie ca. 530.000 Euro Schadensersatz an deren Krankenkasse für die Kosten medizinisch notwendiger Folgebehandlungen zahlen.

Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm am 04.12.2015 – 26 U 32/14 und 26 U 33/14 – entschieden, der den Ärzten jeweils grobe Diagnose- und Behandlungsfehler anlastete, aufgrund derer sie jeweils in vollem Umfang haften.

Wie der Senat ausführte, habe der zuerst behandelnde Arzt

  • es unterlassen durch bildgebende Verfahren, die zwar noch nicht bei Behandlungsbeginn, aber nachdem sich die Beschwerden der Patientin nicht dauerhaft verringerten, zwingend erforderlich gewesen wären, einer Fraktur nachzugehen und stattdessen die ursprünglich begonnene kontraindizierte Infiltrationstherapie weitergeführt und

 

von den Mitarbeitern des zweiten Arztes

  • seien weder bei der Auswertung des MRT eine Fraktur bzw. einen Frakturverdacht diagnostiziert, noch auf den zur Kontrolle der Lage von Injektionsnadeln gefertigten CT-Aufnahmen die sichtbare Fraktur erkannt und zudem eine aufgrund der Fraktur kontraindizierte Injektion fehlerhaft in den Frakturspalt gesetzt worden.

 

Dass die beiden Ärzte jeweils in vollem Umfang haften war Folge der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweislastumkehr,

  • weil nicht auszuschließen war, dass die jeweils in ihrem Verantwortungsbereich durchgeführten Injektionen bei der Patientin, die bei ihr aufgetretene Infektion mit dem Staphylococcus aureus Bakterium bewirkt haben, durch die sie multiple Abszesse, ein multiples Organversagen mit zeitweilig lebensgefährlichem Verlauf  erlitten und sich mehrfach Revisionsoperationen hatte unterziehen müssen,
  • so dass beiden die weiteren Folgeschäden der heute noch unter Narbenschmerzen, Mobilisations- und Bewegungseinschränkungen leidenden Patientin zuzurechnen waren.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 11.02.2016 mitgeteilt.

 

Wenn bei Operation an der Halswirbelsäule Speiseröhre wegen unterlassener Überprüfung der Lage verletzt wird

Die im Verlauf einer Operation

  • auch bei fachgerechtem ärztlichen Vorgehen mögliche Verletzung der Speiseröhre

 

ist dann ein Behandlungsfehler,

  • wenn sie durch eine ärztliche Überprüfung der Lage der Speiseröhre während der Operation zu vermeiden gewesen wäre.

 

Darauf hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 23.10.2015 – 26 U 182/13 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem es bei einem 60 Jahre alten Patienten, der sich im Bereich der Halswirbelsäule an der Bandscheibe hatte operieren lassen, bei dem Eingriff mit Cage-Fusion und Prothesenimplantation wegen nicht hinreichender Überprüfung der Lage der Speiseröhre zu deren Verletzung gekommen war, 

 

dem Patienten, der aufgrund der Verletzung der Speiseröhre mehrere Monate mittels einer Magensonde ernährt werden musste und dauerhaft durch Schluckbeschwerden beeinträchtigt sein wird, 20.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

Dabei ist der Senat nach sachverständiger Beratung davon ausgegangen,

  • dass bei derartigen Bandscheibenoperationen das Risiko einer Speiseröhrenverletzung zwar auch bei einem sorgfältigem und regelgerechtem ärztlichen Vorgehen besteht,
  • hier aber aus der Art der Verletzung geschlossen werden konnte, dass es unterlassen wurde vor der Präparation mittels Schere die Lage der Speiseröhre zu überprüfen,
  • eine solche Kontrolle die Schädigung vermieden hätte und
  • dieses Unterlassen als Behandlungsfehler zu bewerten ist, weil das Unterlassen von Kontrollen, die eine ansonsten auch bei sorgfältigem Vorgehen durchaus mögliche Schädigung des Patienten verhindert hätten, ein Abweichen vom medizinischen Standard darstellt.

 

Da der Patient beweisen konnte, dass seine Beeinträchtigungen auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sind, haftete der Arzt.
Sein Fehler ist nämlich vom Senat nur als einfacher und nicht als grober Behandlungsfehler bewertet worden, so dass eine Beweislastumkehr für den Primärschaden dahingehend, dass sich der Arzt entlasten muss, nicht in Betracht kam.

 

Wann muss Auslandskrankenversicherung Kosten für Rücktransport nach Deutschland tragen?

Ein Versicherungsnehmer einer Auslandskrankenversicherung, nach deren Versicherungsbedingungen dem Versicherten die durch einen medizinisch notwendigen Rücktransport aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland entstandenen, den üblichen Fahrpreis übersteigenden Kosten erstattet werden, hat,

  • wenn eine gebotene Notoperation im Ausland nicht gewährleistet ist,

 

Anspruch auf die für den außergewöhnlichen Rücktransport entstandenen Kosten abzüglich der üblicher Rücktransportkosten.

Das hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 30.10.2015 – 20 U 190/13 – entschieden und einen Auslandskrankenversicherer verurteilt, einer Versicherten ca. 21.500 Euro für den Rückflug von Portugal nach Deutschland zu erstatten,

  • weil eine dringend gebotene Notoperation der an einer schweren Bauchfellentzündung mit Sepsis, beginnendem Multiorganversagen und entgleisenden Blutsalzen leidenden und in akuter Lebensgefahr schwebenden Versicherten in einem Hospital in Lissabon am Tag ihrer Einlieferung unterblieben war und
  • sich die Versicherte deshalb am nächsten Morgen nach Deutschland hatte fliegen lassen, wo sie in einer Klinik noch am Nachmittag desselben Tages notfallmäßig operiert worden war.

 

Der Ansicht der beklagten Versicherung, dass sich die Versicherte in Lissabon hätte weiter medizinisch behandeln lassen können und sie, die Beklagte, sofern eine medizinisch notwendige Behandlung dort aufgrund eines Behandlungsfehlers unterblieben sein sollte, hierfür nicht eintrittspflichtig sei, folgte der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm nicht.
Vielmehr muss, wie der Senat ausgeführt hat, der Versicherer der Versicherungsnehmerin deshalb die Transportkosten erstatten, weil

  • nach der durchgeführten Beweisaufnahme feststand, dass die gebotene operative Behandlung der Klägerin im Hospital in Lissabon nicht gewährleistet war und
  • ein dem zugrunde liegender möglicher ärztlicher Behandlungsfehler der dortigen Ärzte die Leistungspflicht der Beklagten weder nach dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck ihrer Versicherungsbedingungen in Frage stellt,
  • nachdem es aus Sicht eines Versicherungsnehmers keinen Unterschied macht, ob eine gebotene Behandlung im Ausland unterbleibt, weil sie dort nicht durchgeführt werden kann oder weil die dortigen Ärzte nicht willens sind, sie durchzuführen.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 27.11.2015 mitgeteilt.

 

Wegen zu spät erkannter Hautkrebserkrankung mit tödlichem Ausgang muss ein Arzt 100.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Erkennt ein Hautarzt aufgrund eines als grob zu bewertenden Behandlungsfehlers die Hautkrebserkrankung einer Patientin nicht rechtzeitig, kann dem Arzt eine bis zum Tod führende Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patientin zuzurechnen sein.

Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 27.10.2015 – 26 U 63/15 – entschieden und einen Hautarzt zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 100.000 Euro verurteilt.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall war, nachdem eine 55-jährigen Patientin im August 2009 den beklagten Hautarzt aufgesucht hatte, um die Verfärbung eines Zehnnagels nach einer Stoßverletzung abklären zu lassen,

  • von dem Beklagten die Entnahme einer Nagelprobe zur histologischen Untersuchung nicht selbst durchgeführt, sondern dies der Patientin überlassen worden,
  • eine weitere dermatologische Behandlung in der Folgezeit unterblieben, nachdem die durchgeführte Untersuchung lediglich einen bakteriell infizierten Nagel ausgewiesen und der Beklagte der Patientin das Befundergebnis fernmündlich mitgeteilt hatte,
  • im folgenden Jahr von einem anderen Hautarzt, den die Patientin wegen der nicht zurückgebildeten Verfärbung des Zehnnagels konsultiert hatte, eine Hautkrebserkrankung festgestellt worden und
  • die Patientin, nach dem Befall von Lunge und Lymphknoten mit Metastasen im Dezember 2013 den Folgen ihrer Krebserkrankung erlegen.

 

Dass er, der noch von der Patientin gegen den Beklagten wegen ärztlicher Behandlungsfehler erhobenen und von ihrem Ehemann, als ihrem Erben fortgeführten Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 100.000 Euro, nach Anhörung eines Sachverständigen stattgegeben hat, hat der 26. Zivilsenat des OLG Hamm damit begründet,

  • dass bei der Patientin das Vorliegen eines Nagelhämatoms, eines Melanoms und einer Pilzerkrankung in Betracht gekommen ist,
  • das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Melanom daher sicher hätte abgeklärt werden müssen, da ein Melanom – als ohne rechtzeitige Behandlung tödlich verlaufende Hautkrebserkrankung – die gefährlichste und schwerwiegendste Erkrankung darstellte,
  • der die Patientin behandelnde Beklagte dies unterlassen hat,
  • der Bericht der Patientin von einem Stoßereignis und damit einer naheliegenden Ursache für ein Hämatom, den Beklagten nicht von der Pflicht entbunden hat, die notwendige umfassende Differenzialdiagnostik durchzuführen,
  • die durchgeführte histologische Befundung unzureichend gewesen ist, weil die  Nagelprobe von dem behandelnden Hautarzt selbst an repräsentativer Stelle hätte entnommen werden müssen und die Entnahme der Probe nicht, wie geschehen, der Patientin überlassen werden durfte,
  • dass dem Beklagten darüber hinaus vorzuwerfen ist, die Patientin nach der telefonischen Übermittlung des histologischen Befundes nicht hinreichend deutlich auf die Notwendigkeit der Wiedervorstellung zum Ausschluss des Melanomverdachts hingewiesen zu haben,
  • die fehlerhafte Probeentnahme und der unterlassene Hinweis der Wiedervorstellung – bei einem Melanomverdacht – als grob behandlungsfehlerhaft zu bewerten ist und zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich der zurechenbaren Folgen führt, die der Patientin bei der Bewertung der auf das Fehlverhalten zurückzuführenden Schäden zugute komme und
  • dass, abgesehen von der Amputation des Zehengrundgliedes, die in jedem Fall medizinisch notwendig gewesen wäre und damit dem Beklagten nicht anzulasten ist , das weitere Geschehen mit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis zum Tode dem Beklagten zuzurechnen sei, da eine hypothetische Chance bestanden hat, dass nach der Amputation eine vollständige Heilung eingetreten wäre (Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 24.11.2015).