Tag Opfer

Opferrente nach dem OEG i.V.m. dem BVG wegen eines Schockschadens nach einer Gewalttat kann auch

…. noch nach Jahren erfolgreich beantragt werden.

Mit Urteil vom 17.12.2020 – L 10 VE 79/17 – hat der 10. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen in einem Fall, in dem zu Weihnachten 2004 der Vater einer Frau 

  • von ihrem psychisch kranken Bruder mit der Axt erschlagen worden war, 

und die Frau 

  • bei Erhalt der Nachricht vom Vatermord einen schweren Schock mit Blackout erlitten hatte,

aber nicht zum Arzt gegangen war, sondern erst 

  • sechs Jahr später 

Opferrente beantragt hatte, 

  • nach Einholung eines umfassenden medizinischen Gutachtens,

bei der Tochter des Ermordeten das Vorliegen einer 

  • posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) 

als Folge des 

  • aufgrund der Übermittlung der Nachricht vom gewaltsamen Tod des Vaters 

erlittenen Schocks anerkannt und festgestellt, dass ihr 

  • wegen dieser erlittenen gesundheitlichen Schädigung 

Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. § 30 ff. Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu bewilligen sind.

Danach sind auch 

  • Sekundäropfer

in den Schutzbereich des § 1 Abs. 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) einbezogen, wenn, 

  • ebenso wie bei Primäropfern, 

ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen 

  • dem Schädigungstatbestand und 
  • der schädigenden Einwirkung i.S. einer engen, untrennbaren Verbindung beider Tatbestandselemente 

besteht. 

Sekundäropfer müssen dabei,

  • durch Wahrnehmung des das Primäropfer schädigenden Vorgangs, also durch Wahrnehmung des Vatermordes oder 
  • durch eine sonstige Kenntnisnahme davon 

geschädigt worden sein, darüber hinaus müssen 

  • die psychischen Auswirkungen der Gewalttat beim Sekundäropfer 

bei wertender Betrachtung aufgrund 

  • zeitlicher, örtlicher und/oder personaler Nähe bzw. 
  • enger personaler Beziehung zum Primäropfer 

mit der Gewalttat so eng verbunden sein, dass beide eine natürliche Einheit bilden und der (Schock)Schaden muss 

  • unmittelbar auf dem schädigenden Vorgang als solchem 

beruhen, 

  • d.h. es darf nicht zu einer initialen Schädigung erst aufgrund von Ereignissen gekommen sein, die das Primäropfer nach Abschluss des schädigenden Vorgangs erfasst haben (Quelle: Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen).

Führt bei einem Vergewaltigungsopfer ein Deal im Strafverfahren zugunsten des Täters zu einer weiterer Traumatisierung

…. kann dies als Folgeschaden der Tat nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) anzuerkennen sein.

Darauf hat das Landessozialgericht (LSG) Stuttgart mit Urteil vom 07.12.2017 – L 6 VG 6/17 – hingewiesen und in einem Fall, in dem eine Frau

  • nachts auf dem Heimweg vergewaltigt worden war,
  • sie aufgrund dessen in der Folge unter einer, nach § 30 Absatz 1 Satz 3 Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit einem Schädigungsfolgengrad (GdS) von 20 zu bemessenden, posttraumatischen Belastungsstörung litt

und sich diese posttraumatische Belastungsstörung bei ihr dadurch verstärkt hatte,

  • dass sie im Strafverfahren nicht angehört und der Täter aufgrund eines rechtlich zulässigen sog. „Deals“ zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt sowie aus der Untersuchungshaft entlassen worden war,

das Landesversorgungsamt verurteilt,

  • dem Vergewaltigungsopfer gemäß § 31 Absatz 1 BVG eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 30 zu zahlen.

Begründet hat das LSG dies damit, dass,

  • nach § 1 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG erhält,
  • wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat und

der hiernach erforderliche Ursachenzusammenhang (Kausalität) zwischen dem vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff und der gesundheitlicher Schädigung vorliegt,

  • wenn bei einem Vergewaltigungsopfer ein Deal im Strafverfahren zugunsten des Täters und eine fehlende Aufarbeitung und Genugtuung für das Opfer für eine hinzugetretene Verschlechterung des Gesundheitszustands verantwortlich sind,

da es ohne die Vergewaltigung nicht zu den sich anschließenden weiteren traumatisierenden Erlebnissen im Strafprozess gekommen wäre (Quelle: Pressemitteilung des LSG Stuttgart vom 18.12.2017).

Wie Opfer von Gewalt und Nachstellungen schnell und effektiv Schutz erlangen können

Kann eine Person (im Folgenden: Antragstellerin) durch Vorlage einer Versicherung an Eides Statt und durch Vorlage eines ärztlichen Attestes glaubhaft machen, dass eine andere Person (im Folgenden: Antraggegner) vorsätzlich und widerrechtlich

  • ihren Körper, ihre Gesundheit oder ihre Freiheit verletzt hat (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (GewSchG)),
  • ihr mit einer Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit gedroht hat (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GewSchG),
  • in ihre Wohnung oder ihr befriedetes Besitztum eingedrungen ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a GewSchG) oder
  • sie dadurch unzumutbar belästigt hat, dass er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt hat (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b GewSchG),

kann auf ihren Antrag das Gericht gemäß §§ 214, 49 ff. des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) im Wege der einstweiligen Anordnung (ohne mündliche Erörterung)

  • vorläufige Schutzmaßnahmen nach § 1 oder § 2 des Gesetzes zu ihrem zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (GewSchG) anordnen,
  • wie beispielsweise dem Antragsgegner untersagen,
    • die Wohnung der Antragstellerin im Hause …… zu betreten,
    • sich der Wohnung der Antragstellerin bis auf eine Entfernung von weniger als 200 Metern zu nähern,
    • Verbindung zur Antragstellerin aufzunehmen, weder persönlich noch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln aller Art, wie Telefon, Internet, Briefe, E-Mails, SMS auch nicht unter Einschaltung dritter Personen,
    • ein Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen und sich der Antragstellerin zu nähern, sie anzusprechen, ihr zu folgen, ihr hinterher zu rufen, sie zu bedrohen, sie zu belästigen, sie zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln,
    • anzuordnen, dass der Antragsgegner, sollte es zu einem zufälligen Zusammentreffen kommen, sofort einen Abstand von 50 Metern herzustellen,
  • für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die getroffenen gerichtlichen Anordnungen dem Antragsgegner androhen,
    • ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je ….. € einen Tag Ordnungshaft,
    • die unmittelbare Festsetzung von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu insgesamt 2 Jahren (§ 96 Abs. 1 S. 3 FamFG, 890 Zivilprozessordnung (ZPO)) sowie,
    • dass die Antragstellerin zur Beseitigung einer jeden andauernden Zuwiderhandlung einen Gerichtsvollzieher zur Durchsetzung hinzuziehen kann und dieser gemäß § 96 Abs. 1 FamFG i. V. m. §§ 758 Abs. 3, 759 ZPO befugt ist, sich zur Durchsetzung der Polizei zu bedienen und
  • den Antragsgegner darauf hinweisen, dass jede Zuwiderhandlung gegen eine der getroffenen Anordnungen mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden kann (§ 4 GewSchG),

wenn die angeordneten Schutzmaßnahmen zur Abwendung weiterer bzw. künftiger Verletzungen erforderlich sind (vgl. Amtsgericht (AG) Bremen, Beschluss vom 25.08.2016 – 71 F 4936/16 EAGS –).

Wann liegt wegen gemeinschaftlicher Begehung mit einem anderen Beteiligten eine gefährliche Körperverletzung vor?

Wer vorsätzlich eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, ist schuldig der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) und wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wird die Körperverletzung begangen,

  • durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
  • mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
  • mittels eines hinterlistigen Überfalls,
  • mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung oder
  • mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich,

liegt eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB vor, die mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren und in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird.

  • Gemeinschaftliche Begehungsweise mit einem anderen Beteiligten setzt dabei weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft voraus.
  • Ausreichend ist vielmehr schon das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung der Körperverletzung (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 03.09.2002 – 5 StR 210/02 – sowie Beschluss vom 08.03.2016 – 3 StR 524/15 –).

Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Qualifikationstatbestandes, wonach durch ein solches Zusammenwirken – nicht anders als durch mittäterschaftliche Begehung – eine verstärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer begründet wird (vgl. BGH, Urteil vom 03.09.2002 – 5 StR 210/02 –).

Allerdings ist eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungsform regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe

  • die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters – physisch oder psychisch (vgl. BGH, Urteil vom 22.12.2005 – 4 StR 347/05 –) – bewusst in einer Weise verstärkt,
  • welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist.

Dies wird in der Regel vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz mehrerer Personen auf der Verletzerseite

  • insbesondere auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird,
  • dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 21.04.2016 – 2 StR 394/15 – hingewiesen.

Wer Opfer einer Körperverletzung geworden ist, ist, wenn der Täter ein Erwachsener oder Heranwachsender war, befugt, sich durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Gericht dem Strafverfahren gegen den Täter als Nebenkläger anzuschließen.
Ferner kann der Verletzte unter Vorlage der erforderlichen Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragen, ihm für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe zu gewähren und er kann, auch wenn er sich dem Verfahren nicht als Nebenkläger anschließt, im Strafverfahren wegen der Tat Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen den Täter geltend machen.