Tag Sachverständigengutachten

Mit einem vom Zivilgericht eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten muss sich keine Partei begnügen

Vielmehr hat,

  • wenn in einem Zivilprozess auf Anordnung des Gerichts von einem Sachverständigen ein schriftliches Gutachten erstellt worden ist,

jede Partei einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen,

  • die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält,
  • zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann und

dass das Erscheinen des Sachverständigen dazu vom Gericht angeordnet wird.

  • Darauf, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher nachvollziehbar dargetan worden ist, kommt es nicht an.

Entspricht das Gericht dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens in mündlicher Verhandlung nicht, verletzt es den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör.

Darauf hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 30.05.2017 – VI ZR 439/16 – hingewiesen.

Übrigens:
Ein Antrag auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens kann nach § 411 Abs. 4 i.V.m. § 296 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur dann als verspätet zurückgewiesen werden, wenn hierfür eine wirksame richterliche Frist gesetzt war (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2005 – V ZR 241/04 – und Urteil vom 22.05.2001 – VI ZR 268/00 –).

Wichtig zu wissen für Betroffene die die Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens beantragen wollen

…. beispielsweise zum Beweis dafür, dass es sich bei ihnen nicht um die Person handelt, die auf einem anlässlich einer Geschwindigkeits- oder Abstandsmessung gefertigten Messfoto abgebildet ist.

Ein Betroffener, dem vorgeworfen wird, die auf einem Messperson abgebildete Person zu sein, die mit einem Kraftfahrzeug eine Geschwindigkeitsüber- oder Abstandsunterschreitung begangen hat

  • und der durch einen Antrag auf Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens unter Beweis stellen will,
  • dass er zur Tatzeit nicht der Führer des Tatfahrzeugs war,

genügt den an einen förmlichen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen an eine hinreichend bestimmte Beweisbehauptung nicht,

  • wenn er lediglich die Negativtatsache „unter Beweis“ stellt,
  • nicht Fahrer des Tatfahrzeugs zur Tatzeit gewesen zu sein.

Denn damit wird nur das von dem Betroffenen erhoffte Beweisziels „unter Beweis“ gestellt.

  • Den Schluss aber, ob die auf dem Messfoto abgebildete Person der Betroffene bzw. nicht der Betroffene ist, hat allein das Gericht auf der Grundlage der erhobenen Beweise zu ziehen.

Ein Betroffener muss deshalb,

  • wenn es ein nach den Regeln des Strengbeweisverfahrens zu behandelnder Beweisantrag sein soll,

Angaben machen auch

  • entweder dazu, welche bestimmte („verwechselungsgeeignete“) Person anstelle des Betroffenen das Fahrzeug zur Tatzeit geführt hat bzw. auf dem Beweisfoto abgebildet ist oder
  • aber wenigstens dazu, welche bestimmten morphologischen oder sonstigen Merkmale des Erscheinungsbilds, die eine Identität des Betroffenen mit der auf dem Messfoto abgebildeten Person ausschließen, durch das beantragte Gutachten ermittelt werden sollen.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg mit Beschluss vom 17.03.2017 – 3 Ss OWi 264/17 – hingewiesen.

BGH entscheidet was Mieter, wenn sie wegen eines Mangels die Miete mindern möchten, darlegen müssen und was nicht

Beanstandet der Mieter einer Wohnung gegenüber dem Vermieter beispielsweis eine fortwährend bestehende unzumutbare Lärmbelästigung und kürzt er wegen dieses Mangels die Miete nach § 536 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), muss er

  • den Mietmangel, also die Lärmbelästigung, der er sich in seiner Wohnung ausgesetzt sieht,
  • durch ausreichende Beschreibung der Mangelsymptome darlegen,
    • also z.B. vorbringen, dass fortwährend laute Klopfgeräusche, festes Getrampel, Möbelrücken usw. zu hören sind

und

  • hierfür, wenn es deswegen zu einem Rechtsstreit mit dem Vermieter kommt, Beweis anbieten
  • durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und ggf. auch durch Vernehmung von Zeugen.

Im Prozess obliegt es dann dem Gericht

Über eine hinreichend genaue Beschreibung der Mangelerscheinungen („Mangelsymptome“) hinaus, muss der Mieter

  • die Lärmbelästigung weder durch detaillierte „Lärmprotokolle“ konkretisieren (BGH, Urteil vom 20.06.2012 – VIII ZR 268/11 –),
  • noch das Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung (oder einen bestimmten Minderungsbetrag) vortragen und
  • auch die Ursache der Mangelsymptome nicht bezeichnen, d.h. er muss sich nicht dazu äußern,
    • ob die Lärmquelle einer bestimmten anderen Wohnung zuzuordnen ist,
    • ob der als unzumutbar empfundene Lärm auf einem unangemessenen (nicht mehr sozialadäquaten) Wohnverhalten anderer Bewohner des Hauses beruht oder
    • auf einem mangelhaften Schallschutz (Nichteinhaltung der zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden Schallschutzvorschriften) bzw.
    • auf einer Kombination dieser Ursachen (BGH, Beschluss vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 –).

Benennt der Mieter gleichwohl die aus seiner Sicht bestehende Lärmursache, darf vom Gericht daraus nicht der Schluss gezogen werden, der Mieter wolle Mängelrechte nur für den Fall geltend machen, dass ausschließlich diese Ursache und nicht eine andere zutrifft.

Darauf hat der VIII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 21.02.2017 – VIII ZR 1/16 – hingewiesen.

Was Betroffene, denen eine mit einem standardisierten Messverfahren festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wird, wissen sollten

Wird eine Geschwindigkeitsmessung mit Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten durchgeführt, die von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden sind, spricht man von einem standardisierten Messverfahren.

  • Mit der Zulassung durch die PTB erklärt diese zugleich im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass bei dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.

Eine Zulassung erfolgt nur, wenn das Messgerät umfangreiche Testreihen erfolgreich durchlaufen hat, bei denen die PTB das Messgerät auch unter atypischen Verkehrsszenarien auf seine Störungsresistenz prüft.
Die Art der Verwendung und der zulässige Verwendungsaufbau werden von der PTB bei der Zulassung vorgegeben.

  • Ist ein Messgerät von der PTB zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist der Bußgeldrichter grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgeräts, enthoben.
  • Die Zulassung durch die PTB ersetzt diese Prüfung.

Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss.

  • Ist die Messung im Rahmen der Zulassung erfolgt, kann der Bußgeldrichter daher grundsätzlich von der Richtigkeit der Messung ausgehen.
  • Nur wenn im Einzelfall konkrete Tatsachen dem Gericht gegenüber vorgetragen werden, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit des zur Verhandlung stehenden konkreten Messergebnisses aufkommen lassen, kann der Bußgeldrichter sich veranlasst sehen, diese Zweifel durch die Bestellung eines Sachverständigen nach §§ 73 ff Strafprozessordnung (StPO) zu verifizieren, der dann die konkrete Messung zu überprüfen hat.

Die rechtliche Bedeutung der Zulassung durch die PTB muss von Betroffenen beachtet werden, die eine Geschwindigkeitsmessung beanstanden möchten, weil sie diese für fehlerhaft halten.

  • Will ein Betroffener nämlich behaupten, dass die möglichen Fehler in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware liegen und somit eine Vielzahl von Messvorgängen an unterschiedlichen Orten und Zeiten betreffen, muss er, um Zweifel an der Richtigkeit einer Messung beim Bußgeldrichter aufkommen zu lassen, darlegen, dass ein Phänomen vorliegt, das bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt worden ist, weil seinem Vorbringen ansonsten grundsätzlich die Zulassung durch die PTB als antizipiertes Sachverständigengutachten entgegensteht.
  • Dagegen kann, ohne dass dem die PTB Zulassung entgegensteht, die Fehlerhaft einer Messung mit Tatsachen begründet werden, die zur Folge hätten, dass die Messung nicht (mehr) im Rahmen der Zulassung erfolgt ist,