Tag Arbeitsunfall

Was Bezieher von Verletztenrente bei neuer prothetischer Versorgung wissen sollten

Hat ein durch einen Arbeitsunfall Verletzter eine neue mikroprozessorgesteuerte Beinprothese erhalten, rechtfertigt dies allein es nicht, die Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung herabzusetzen.

Das hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 20.12.2016 – B 2 U 11/15 R – in einem Fall entschieden, in dem

  • ein Unfallverletzter nach der Amputation des linken Beines im Bereich des Oberschenkels von dem Unfallversicherungsträger mit einer Prothese versorgt und
  • ihm zunächst eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 70 vom Hundert bewilligt,

dem Unfallverletzten aber,

  • nachdem er anstelle der bisherigen Prothese eine mikroprozessorgesteuerte Oberschenkelprothese (sogenanntes C‑Leg) erhalten hatte,
  • wegen dadurch bedingter deutlicher Funktionsverbesserung des linken Beines,

nur noch eine geringere Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 vom Hundert gewährt worden war.

Dass die Versorgung mit der neuen Prothese den Unfallversicherungsträger nicht zur Herabsetzung der bisher gewährten Verletztenrente berechtigte, hat der Senat damit begründet, dass

  • die Höhe der Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung, mit der u.a. die dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund eines anerkannten Arbeitsunfalls ausgeglichen werden, sich aus den Berechnungsfaktoren Jahresarbeitsverdienst und Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergibt,
  • die Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Praxis von medizinischen Sachverständigen anhand sogenannter MdE‑Tabellen eingeschätzt wird und

die heranzuziehende MdE‑Tabelle keine Differenzierung nach der Qualität der jeweiligen Oberschenkelprothese vornimmt (Quelle: Pressemitteilung des BSG vom 20.12.2016 – Nr. 28/16 –).

Wann liegt bei betrieblichen Aktivitäten von gesetzlich Versicherten mehrerer Unternehmen eine „gemeinsame Betriebsstätte“ vor?

Sind an einem Arbeitsunfall gesetzlich Unfallversicherte mehrerer Unternehmen beteiligt, ist Voraussetzung für die Haftungsprivilegierung gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII),

  • also dass die sich aus §§ 104, 105 SGB VII ergebenden Haftungsbeschränkungen greifen (u.a. Haftung nur für eine vorsätzlich Verursachung des Versicherungsfalls) für Unternehmer (§ 104 SGB VII) sowie andere im Betrieb tätige Personen (§ 105 SGB VII),

dass die an dem konkreten Unfallgeschehen Beteiligten

  • vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer „gemeinsamen Betriebsstätte“ verrichten.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 23.09.2014 – VI ZR 483/12 –) erfasst der Begriff der „gemeinsamen Betriebsstätte“ betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen,

  • die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen,
  • miteinander verknüpft sind,
  • sich ergänzen oder
  • unterstützen,

wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt.

Erforderlich ist aber

  • ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf,
  • das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt.

§ 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist nicht schon dann anwendbar, wenn Versicherte zweier Unternehmen auf derselben Betriebsstätte aufeinandertreffen.

  • Eine „gemeinsame Betriebsstätte“ ist nach allgemeinem Verständnis mehr als „dieselbe Betriebsstätte“;
  • das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen erfüllt den Tatbestand der Norm nicht.

Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung.

  • Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solche in der konkreten Unfallsituation, die eine Bewertung als „gemeinsame“ Betriebsstätte rechtfertigt.

Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigenden verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt.

  • Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung mit anderen) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann.

Der Haftungsausschluss knüpft daran an, dass eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigen bei konkreten Arbeitsvorgängen in der konkreten Unfallsituation gegeben ist, die die „gemeinsame Betriebsstätte“ kennzeichnet.

Darauf hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) mit Urteil vom 15.09.2016 – 7 U 117/15 – hingewiesen.

Sind Familienangehörige, wenn sie familienhafte Mithilfe an einem Bauvorhaben leisten, gesetzlich unfallversichert oder nicht?

Dazu, ob bzw. wann es sich um ein als Arbeitsunfall anzuerkennendes Ereignis handeln kann, wenn beispielsweise der Schwiegervater in seiner Freizeit seinem Schwiegersohn beim Neubau einer Garage gemeinsam mit anderen Helferdienste leistet und bei der Ausführung der Arbeiten verunfallt, hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 14.6.2016 – L 9 U 842/16 – ausgeführt, dass

  • nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) „Beschäftigte“ sowie
  • nach § 2 Abs. 2 SGB VII solche Personen, die „wie Beschäftigte“ tätig werden,

kraft Gesetzes unfallversichert sind wenn sie einen Arbeitsunfall erleiden.

Ein Arbeitsunfall liegt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vor,

  • bei einem Unfall eines Versicherten
  • infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).

Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass

  • die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang),
  • diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und
  • das Unfallereignis wesentlich einen Gesundheitserstschaden des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 29.11.2011 – B 2 U 10/11 R -; vom 18.01.2011 – B 2 U 9/10 R – und vom 18.11.2008 – B 2 U 27/07 R -).

Ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII liegt vor, wenn

  • der Versicherte zu dem Arbeitgeber in einem persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis gestanden hat (BSG, Urteil vom 24.03.1998 – B 2 U 21/97 R -).

Kennzeichnend hierfür sind

  • die Eingliederung in das Unternehmen des Arbeitgebers,
  • das damit verbundene Weisungs- und Direktionsrecht des Unternehmers,
  • dessen Anordnungsrechte bezüglich Arbeit, Zeit und Ort der Arbeitsausübung,
  • Vereinbarungen bezüglich Vergütung, Kündigungsfristen und Urlaub.

Fehlte es an diesen Kriterien liegt ein Beschäftigungsverhältnis nicht vor.

Wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird tätig (sog. Wie-Beschäftigung), wer eine Verrichtung ausübt, die einer Ausübung einer Beschäftigung vergleichbar ist (BSG, Urteil vom 15.06.2010 – B 2 U 12/09 R -).
§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII erfasst tatbestandlich Tätigkeiten,

  • die ihrer Art nach zwar nicht sämtliche Merkmale der Ausübung einer Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII aufweisen,
  • in ihrer Grundstruktur aber einer solchen ähneln.

Es muss eine

  • ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende,
  • dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers (vgl. § 136 Abs. 3 SGB VII) entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert verrichtet werden,
    • die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte und regelmäßig verrichtet wird,
    • die in einem fremden Unternehmen dafür eingestellt sind (vgl. BSG, Urteile vom 27.03.2010 – B 2 U 5/11 R -; vom 15.06.2010 – B 2 U 12/09 R – und vom 13.09.2005 – B 2 U 6/05 R -).

Dabei reicht es nicht aus,

  • dass eine Tätigkeit einem fremden Unternehmen objektiv nützlich und ihrer Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist.

Vielmehr kommt es auf die objektiv arbeitnehmerähnliche Handlungstendenz an, die vom bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist (vgl. BSG, Urteile vom 05.07.2005 – B 2 U 22/04 R – und vom 26.06.2007 – B 2 U 35/06 R -).

  • Verfolgt eine Person mit einem Verhalten, das ansonsten einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnelt, in Wirklichkeit wesentlich allein eigene Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftlicher Zweckbestimmung und somit nicht wie im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern wie ein Unternehmer eigenwirtschaftlich tätig und steht daher auch nicht nach § 2 Abs. 2 SGB VII wie ein Beschäftigter unter Versicherungsschutz (vgl. BSG, Urteile vom 05.07.2005 – B 2 U 22/04 R – und vom 26.06.2007 – B 2 U 35/06 R -).

Auch kann eine der Ausübung einer Beschäftigung ähnliche Tätigkeit unter Umständen zu verneinen sein, wenn die Verrichtung wegen und im Rahmen einer Sonderbeziehung zum Unternehmer erfolgt.

  • Eine „Sonderbeziehung“ liegt vor bei Verwandtschaft oder bei einer Gefälligkeit für Bekannte bzw. Freunde.

Jedoch sind auch dann, wenn eine solche „Sonderbeziehung“ besteht, alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen.
Dabei kann sich ergeben, dass die konkrete Verrichtung

  • außerhalb dessen liegt, was für enge Verwandte, Freunde oder Bekannte getan wird oder
  • nicht wegen der Sonderbeziehung vorgenommen wird.

Dann kann sie den Tatbestand der „Wie-Beschäftigung“ erfüllen (BSG, Urteil vom 27.03.2012 – B 2 U 5/11 R -).

Je enger jedoch der Verwandtschaftsgrad ist, desto eher wird die Tätigkeit allein aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses durchgeführt (BSG, Urteile vom 26.10.1978 – 8 RU 14/78 – und vom 18.11.1997 – 2 BU 52/97 -).

  • Insbesondere kann die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern bzw. umgekehrt als engstes verwandtschaftliches Gemeinschaftsverhältnis selbst bei einem erheblichen Umfang der Tätigkeit der Leistung das Gepräge geben, sodass kein Versicherungsschutz besteht (BSG, Urteil vom 25.10.1989 – 2 RU 4/89 -).

Dies gilt namentlich bei der unentgeltlichen Mitarbeit von nahen Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft leben (BSG, Urteil vom 20.04.1993 – 2 RU 38/92 -).

Wie ist das mit dem Unfallversicherungsschutz bei Beschäftigten in einem „home office“?

Um keinen Arbeitsunfall handelt es sich, wenn eine Angestellte, die aufgrund einer Dienstvereinbarung mit ihrem Arbeitgeber in einem gesonderten Raum im Dachgeschoss ihrer Wohnung an einem Telearbeitsplatz arbeitet,

  • den Arbeitsraum verlässt, um sich in der Küche einen Stock tiefer ein Glas Wasser zu holen und
  • auf dem Weg dorthin auf der Treppe stürzt und sich dabei verletzt.

Das hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteil vom 05.07.2016 – B 2 U 2/15 R – entschieden.

Begründet hat der Senat das damit, dass die Angestellte sich,

  • da sie den Weg von der Arbeitsstätte zur Küche nicht zurückgelegt hat, um ihre versicherte Beschäftigung auszuüben, sondern um Wasser zum Trinken zu holen,

zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg befunden hat, sondern einer typischen eigenwirtschaftlichen, nicht versicherten Tätigkeit nachgegangen ist.

Dieses vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehende Unfallrisiko nicht der gesetzlichen Unfallversicherung zuzurechnen, sei, so der Senat, auch sachgerecht, weil

  • die arbeitsrechtliche Vereinbarung von Arbeit in einem sog. „home office“ zwar zu einer Verlagerung von den Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt,
  • eine betrieblichen Interessen dienende Arbeit „zu Hause“ einer Wohnung aber nicht den Charakter der privaten, nicht versicherten Lebenssphäre nimmt,
  • so dass, nachdem den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung es außerhalb der Betriebsstätten ihrer Mitglieder (der Arbeitgeber) kaum möglich ist, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen, die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken auch nicht der Arbeitgeber, sondern der Versicherte selbst zu verantworten hat (Quelle: Pressemitteilung des BSG Nr. 15/16 vom 05.07.2016).

Wer während des Urlaubs eines Bekannten dessen Hund betreut ist nicht gesetzlich unfallversichert

Betreut man den Hund eines Bekannten wird man regelmäßig nicht wie ein Beschäftigter tätig und ist man demzufolge auch nicht gesetzlich unfallversichert.

Darauf hat das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 12.04.2016 – L 3 U 171/13 – hingewiesen und entschieden, dass kein gesetzlich versicherter Arbeitsunfall vorliegt, wenn

  • eine Person auf Bitte eines Bekannten die Betreuung des Hundes des Bekannten während des mehrwöchigen Urlaubs des Bekannten übernimmt und
  • von dem Hund beim Spielen mit dem Tier gebissen wird.

Danach handelt es sich in einem solchen Fall, so das LSG, jedenfalls dann, wenn dem Hundebetreuer bei der Betreuung des Tieres weitgehend freie Hand gelassen wird,

  • nicht um eine abhängige Beschäftigung oder eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit, so dass der Hundebetreuer weder als Beschäftigter des Hundebesitzers noch als sog. Wie-Beschäftigter gesetzlich unfallversichert ist, sondern

um eine selbstständige Geschäftsbesorgung oder selbstständige Dienstleistung (Quelle: Pressemitteilung des LSG Darmstadt vom 03.05.2016 – Nr. 6/2016 –).