Tag Demenz

Angehörige und Betreuer von in einem Pflegeheim untergebrachten dementen Patienten sollten wissen, dass

…. und warum Bettgitter und Fixierungen auch zu Verletzungsgefahren führen können.

Mit Urteil vom 27.10.2020 – 3 O 5/19 – hat das Landgericht (LG) Köln in einem Fall, in dem eine 94-jährige 

  • an fortgeschrittener Demenz leidende, in den Pflegegrad V eingestufte 

Frau in einer Kurzzeitpflegeinrichtung nachts zweimal 

  • aus ihrem Bett aufgestanden und jeweils 

gestürzt war,

  • bei ihrem ersten Sturz eine Platzwunde, 
  • bei dem zweiten Sturz neben einer Oberschenkelhalsfraktur eine Gehirnblutung erlitten hatte, 
  • operiert werden musste und 
  • danach in deutlich höherem Umfang als vorher pflegebedürftig sowie schließlich verstorben war,

entschieden, dass der Träger der Einrichtung der Tochter, von der Klage erhoben und behauptet worden war, dass 

  • der Tod ihrer Mutter auf ihren zweiten Sturz zurückzuführen gewesen,  
  • die bei ihrer Mutter bestehende Sturzgefahr verkannt oder aber nicht richtig darauf reagiert worden sei und 
  • Bettgitter hätten angebracht, das Bett tiefer eingestellt, ihre Mutter im Bett fixiert, aber auf jeden Fall engmaschiger hätte beobachtet werden müssen,

kein Schmerzensgeld zahlen muss.

Grund für die Klageabweisung war, dass das LG, das hierzu einen Pflegesachverständigen angehört hatte, 

  • einen Pflegefehler bzw. ein Pflegeversäumnis nicht hatte feststellen können, 

vielmehr 

  • die Pflegekräfte in der Einrichtung alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hatten und 
  • das Anbringen von Bettgittern oder eine Fixierung bei der 94-Jährigen sogar kontraindiziert gewesen wäre.

Denn die Sturzgefahr, so das LG, hätte 

  • sowohl durch eine Fixierung, 
  • als auch durch Bettgitter 

noch erhöht werden können,

  • durch eine Fixierung, bei der es übrigens auch zu Strangulationen kommen kann, deshalb, weil die dadurch erzwungene Unbeweglichkeit zu einem Muskelabbau und dieser wiederum zu einer fortschreitenden motorischen Verunsicherung führt

und 

  • durch Bettgitter deswegen, weil demente Patienten, denen die Einsicht in die Sinnhaftigkeit der Maßnahme fehle, den Seitenschutz zu überklettern versuchen und dann die Gefahr von Stürzen sogar aus größerer Höhe besteht (Quelle: Pressemitteilung des LG Köln).

Hinweis:
Zum Umfang der von einem Pflegeheim zu treffenden Sicherungsmaßnahmen gegenüber demenzkranken Bewohnern vgl. aber auch Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 21/18 –).

OLG Oldenburg entscheidet, wann ein Pflegeheim einen Heimvertrag wegen Verhaltens des Bewohners kündigen kann

…. und wann nicht.

Mit Urteil vom 28.05.2020 – 1 U 156/19 – hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg in einem Fall, in dem der Träger eines Pflegeheims den mit einer Seniorin, 

  • die 2015 in die Demenzabteilung des Heimes gezogen war,

geschlossenen Pflegeheimvertrag, 

  • nachdem die Seniorin sich seit einem Krankenhausaufenthalt und der medikamentösen Neueinstellung dort viel unruhiger als zuvor zeigte,

mit der Begründung gekündigt hatte, dass

  • die Seniorin ständig umherlaufe, in die Zimmer anderer Bewohner gehe, dort Türen und Fenster öffne und bei der Intimpflege zuschaue, dadurch den Heimfrieden erheblich störe und 
  • sie eine Gefahr für sich und andere darstelle, weil sie aggressiv sei, die Pflegekräfte boxe, ihnen und anderen Bewohnern das Bein stelle sowie sie mit dem Rollator anfahre und sie außerdem nicht mehr richtig esse und trinke,

die Räumungsklage des Heimträgers gegen die Seniorin,

  • wegen Unwirksamkeit der Kündigung,

abgewiesen.

Danach war, wie der Senat ausgeführt hat,

  • da ein Heimvertrag von Seiten des Heimes nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann (vgl. § 12 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)), wenn dem Heim ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist,

abzuwägen,

  • die Interessen des alten Menschen, einen Umzug und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden und 
  • die Interessen des Heimes, sich von dem Vertrag zu lösen 

und habe diese Abwägung, unter Berücksichtigung, dass 

  • dem Heim die Demenzerkrankung der alten Dame bereits bei deren Einzug bekannt gewesen sei,
  • gewisse Verhaltensauffälligkeiten daher hinzunehmen seien, 
  • es vorliegend zu Sach- oder gar Körperschäden nicht gekommen und
  • auch Maßnahmen, die Seniorin von dem geschilderten Verhalten abzuhalten, von dem Heim noch nicht ergriffen worden waren,

ergeben, dass sich das behauptete Verhalten der alten Dame 

  • in einem Rahmen bewege, 

der von dem Betreiber eines Pflegeheims 

  • von Bewohnern einer Demenzabteilung 

noch hingenommen werden müsse (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg). 

Übrigens:
Hingewiesen wird auch auf unsere Blogs, 

OLG Karlsruhe entscheidet wann Träger eines Pflegeheim beim Sturz eines (demenzkranken) Bewohners

…. wegen Verletzung der Überwachungs- bzw. Aufsichtspflicht haften und wann nicht.

Mit Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 21/18 – hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe in einem Fall, in dem eine 83jährige an Demenz erkrankten Bewohnerin eines Pflegeheims,

  • bei der bisher keine Anhaltspunkte für ein Sturzrisiko ersichtlich waren,

bei dem Versuch,

  • bei einem Toilettengang

ohne Hilfe aufzustehen, gestürzt war

  • und dabei eine Oberschenkelhalsfraktur erlitten hatte,

entschieden, dass der Träger des Pflegeheims für die Sturzfolgen nicht haftet.

Begründet hat der Senat dies damit, dass den Pflegekräften des Heims keine Verletzung der Sorgfaltsplichten vorgeworfen werden könne.

Zwar seien, so der Senat, Pflegeheime verpflichtet Bewohner nach Möglichkeit vor Stürzen zu bewahren, jedoch richte sich der Umfang der zu treffenden Sicherungsmaßnahmen danach,

  • ob und inwieweit sich ein Sturzrisiko absehen lasse

und sei insbesondere vor einer lückenloser Überwachung während des Toilettengangs stets abzuwägen,

  • ob diese Beeinträchtigung der Intimsphäre zum Schutz des Bewohners vor einem Sturz auch tatsächlich notwendig ist,

so dass, solange Anhaltspunkte für eine Sturzgefahr bei einem Bewohner

  • weder bei der allgemeinen Fortbewegung im Heim,
  • noch während des Toilettengangs

ersichtlich sind, eine lückenlose Beaufsichtigung auch von Demenzkranken nicht gewährleistet werden muss (Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe).

Wichtig zu wissen für Senioren, die in Demenz- oder Senioren-Wohngemeinschaften leben und für deren Angehörige

…. bzw. deren Betreuer.

Mit Urteil vom 20.08.2019 – L 5 KR 402/19, L 5 KR 403/19, L 5 KR 404/19 – hat der 5. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) entschieden, dass Bewohner von Senioren- und Demenzwohngruppen grundsätzlich

  • einen Anspruch auf Leistungen der medizinischen Behandlungspflege gegenüber ihrer Krankenkasse

haben auch für

  • ärztlich verordnete Maßnahmen der sog. einfachsten medizinischen Behandlungspflege, die grundsätzlich auch von medizinischen Laien geleistet werden könnten,

wie beispielsweise

  • das Messen von Blutzucker,
  • das Verabreichen von Medikamenten,
  • das Anziehen von Kompressionsstrümpfen

und dass dieser Anspruch nur entfallen könnte, wenn

  • aufgrund eines Vertrages, z.B. des Betreuungsvertrages der Wohngruppe,

diese Leistungen ausdrücklich im Rahmen der Betreuung zu erbringen sind (Quelle: Pressemitteilung des LSG München).

Krankenkasse muss gesetzlich versicherten Demenzerkranken stationäre Reha-Maßnahme zahlen, wenn

…. hinsichtlich der konkret-individuellen Rehabilitationsziele (wie beispielsweise: Verlangsamung des Krankheitsprogresses, körperliche und geistige Aktivierung)

  • Behandlungsbedürftigkeit,
  • Rehabilitationsfähigkeit (aufgrund ausreichender physischer und psychischer Belastbarkeit; erforderlicher Mobilität, ausreichender Motivation, Motivierbarkeit) und
  • eine positive Rehabilitationsprognose besteht (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).

Mit dieser Begründunghat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 17.07.2018 – L 11 KR 1154/18 – in einem Fall

  • in dem die behandelnden Fachärzte für Neurologie bei einer 78-jährigen an Alzheimer leidenden Versicherten eine stationäre Reha-Maßnahme in einem speziell auf Alzheimer-Patienten ausgerichteten Therapiezentrum zur voraussichtlich günstigen Beeinflussung des Krankheitsverlaufs befürwortet sowie beantragt hatten und
  • die Versicherte, nachdem die Gewährung der Reha-Maßnahme von der Krankenkasse abgelehnt worden war, sich die Reha-Maßnahme selbst beschafft und in Begleitung ihres Ehemannes einen vierwöchigen Aufenthalt im Alzheimer-Therapiezentrum durchgeführt hatte,

die Krankenkasse verurteilt,

Erben sollten wissen, dass sie auch die Steuerschulden des Erblassers erben und in welchen Fällen sie verpflichtet sein können

…. die Einkommensteuererklärung des Erblassers zu berichtigen, wenn sie keine Steuerhinterziehung begehen wollen.

Als Gesamtrechtsnachfolger schulden die Erben eines Erblassers dessen (hinterzogene) Steuern.

  • Mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht nämlich gemäß § 1922 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben über und nach § 1967 BGB haften die Erben für die Nachlassverbindlichkeiten.

Dieses hierin für den Erbfall statuierte Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge beschränkt sich nicht auf den Bereich des Zivilrechts, sondern erstreckt sich auch auf das öffentliche Recht und damit auch auf das Steuerrecht.

  • Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung (AO) gehen bei Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger über und
  • nach § 45 Abs. 2 Satz 1 AO haben mehrere Erben für die in der Person des Erblassers entstandene Steuerschuld wie für Nachlassverbindlichkeiten nach bürgerlichem Recht, d.h. als Gesamtschuldner (§§ 1967, 2058 BGB), einzustehen, so dass
    • jeder Erbe die Steuer in voller Höhe schuldet, in der sie in der Person des Erblassers entstanden ist und
    • es dem Finanzamt im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens freisteht, an welche Gesamtschuldner es sich halten will.

Auch ist ein Erbe, der vor oder nach dem Erbfall erfährt,

  • dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung aufgrund einer Demenzerkrankung geschäftsunfähig i.S. des § 104 Nr. 2 BGB und seine Steuererklärung aus diesem Grund unwirksam war oder
  • dass die Steuern des Erblassers (aufgrund unrichtiger bzw. unvollständiger Angaben des Erblassers) zu niedrig festgesetzt wurden,

nach § 153 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet,

  • die (unwirksame) Einkommensteuererklärung des Erblassers zu berichtigen.

Unterlässt er dies, kann eine Steuerhinterziehung vorliegen.

Darauf hat der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) mit Urteil vom 29.08.2017 – VIII R 32/15 – hingewiesen (Quelle: Pressemitteilung des BFH vom 07.02.2018).

Was Senioren, die ein Hausnotrufsystem schon haben bzw. sich anschaffen wollen, wissen sollten

Ein Hausnotrufsystem ist für Senioren ein Hilfsmittel, das

  • einer selbstständigen Lebensführung und
  • der Pflegeerleichterung dient.

Eine private Pflegeversicherung ist deshalb in der Regel verpflichtet sich entsprechend der vertraglichen Bestimmungen an den Kosten hierfür zu beteiligen.

Das gilt auch,

  • wenn es sich bei den Versicherten um an Demenz erkrankte Senioren handelt,
  • die in der Alltagskompetenz nicht so erheblich eingeschränkt sind, dass die Nutzung eines Hausnotrufes nicht mehr möglich ist.

Das hat die 18. Kammer des Sozialgerichts (SG) Detmold mit Urteil vom 15.09.2016 – S 18 P 123/13 – im Fall einer privat pflegeversicherten Seniorin entschieden,

  • die trotz ihrer Demenz und trotz der mangelhaften Orientierung hierdurch,
  • noch in der Lage war, eigenständig in einer altersgerechten Wohnanlage zu leben.

Danach darf,

  • solange nicht sicher feststeht, dass ein Versicherter die Vorteile eines Hilfsmittels nicht nutzen kann,

seine Versorgung mit dem Hilfsmittel von der Versicherung nicht mit der Begründung verweigert werden,