Tag Härte

LG Berlin entscheidet: Jedenfalls über 80 Jahre alte Wohnungsmieter können allein unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter

…. der Kündigung ihres Vermieters widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen.

Mit Urteil vom 12.03.2019 – 67 S 345/18 – hat die 67. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Berlin in einem Fall,

  • in dem ein Vermieter zwei über 80 Jahre alten Mietern wegen Eigenbedarfs gekündigt hatte und
  • von den beiden Mietern der Kündigung unter Verweis auf ihr hohes Alter widersprochen worden war,

die von dem Vermieter erhobene Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung abgewiesen.

Mit Blick auf den durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und das Sozialstaatsprinzip verkörperten und garantierten Wert- und Achtungsanspruch alter Menschen entsprechend weit auszulegenden § 574 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können danach jedenfalls über 80 Jahre alte Mieter

  • sich berechtigt darauf berufen, dass der Verlust der Wohnung auf Grund ihres hohen Alters für sie eine „Härte“ bedeuten würde und
  • eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses beanspruchen.

Wie die Kammer weiter ausgeführt hat, gebiete ein als Härtegrund eingewandtes hohes Alter des Mieters,

  • bei nicht auf einer Pflichtverletzung des Mieters beruhenden Kündigungen,

auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters, in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses.

Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters komme grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn

  • der Vermieter, in ihrer Bedeutung für ihn über ein gewöhnliches „berechtigtes Interesse“ zur Kündigung hinausgehende besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne,
  • die ein den Interessen des betagten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründet und eine Beendigung des Mietverhältnisses aus seiner (des Vermieters) Sicht berechtigterweise als geradezu notwendig erscheinen lässt.

Übrigens:
Wie alt Mieter sein müssen, um sich auf den Härtegrund „hohen Alters“ berufen können, hat das LG nicht entschieden und musste es auch nicht entscheiden, weil jedenfalls das Lebensalter eines über 80-Jährigen als hoch anzusehen ist (Quelle: Pressemitteilung des Kammergerichts (KG) Berlin vom 12.03.2019).

Gewalttätigkeiten gegen den Ehepartner kann Grund für eine Scheidung schon vor Ablauf des Trennungsjahres sein

Ist eine Ehe gescheitert,

  • d.h. besteht die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr und
  • kann nicht erwartet werden, dass die Ehegatten sie wiederherstellen,

kann die Ehe auf Antrag eines Ehepartners geschieden werden, allerdings,

  • sofern die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben,

vor Ablauf diesessogenannten Trennungsjahres nur dann, wenn

  • die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 1565 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)).

Eine solche Härte, die einem Ehepartner ein Festhalten an der Ehe bis zum Ablauf des Trennungsjahres unzumutbar macht, kann,

  • worauf der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 26.94.2018 – 4 UF 44/18 – hingewiesen hat,

vorliegen, wenn

  • ein Ehepartner gegenüber dem anderen, der den Scheidungsantrag gestellt hat, in der Vergangenheit häufig aggressiv sowie gewalttätig geworden ist und
  • durch dieses Verhalten die Grundlage eines weiteren Zusammenlebens der Eheleute zerstört hat (Quelle: Presseinformation des OLG Oldenburg vom 17.09.2018).

Was Vermieter und Mieter wissen sollten, wenn dem Mieter ordentlich gekündigt worden ist

Wird ein Wohnraummietverhältnis von dem Vermieter berechtigt ordentlich gekündigt, kann der Mieter nach § 574 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

  • der Kündigung widersprechen und
  • die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen,

wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn

  • eine Härte bedeuten würde,
  • die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist,

wobei sich allerdings, um als tauglicher Härtegrund in Betracht zu kommen,

  • die Konsequenzen, die für den Mieter mit einem Umzug verbunden wären, deutlich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten abheben müssen.

Ist vom Mieter ein tauglicher Härtegrund vorgebracht worden,

  • darf das Gericht sich im Räumungsprozess nicht darauf beschränken, das Vorbringen des Mieters zu den Härtegründen formal als wahr zu unterstellen und anschließend zu dem Ergebnis zu gelangen, dass diese Härten keinesfalls Vorrang gegenüber den Interessen der Vermieterseite verdienen,

sondern muss sich das Gericht inhaltlich mit der in dem Mietervortrag zum Ausdruck kommenden existenziellen Bedeutung der Beibehaltung der bisherigen Wohnung in der gebotenen Weise auseinanderzusetzen,

  • weil erst dann das Gericht in der Lage ist, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gew

Das bedeutet, macht ein Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen geltend, muss sich das Gericht

  • bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe

ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen,

  • welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind,
  • insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen können und
  • mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.

Darauf hat der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/15 – hingewiesen (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 15.03.2017 – Nr. 36/2017 –).

Betroffene sollten wissen, wann ein im Bußgeldbescheid festgesetztes Regelfahrverbot wegfallen kann

Ist in einem Fall,

  • in dem gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) oder gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV bei begangenen Ordnungswidrigkeiten nach § 24 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) die Anordnung eines Fahrverbots (§ 25 Abs. 1 S. 1 StVG) in der Regel in Betracht kommt,
  • von der Bußgeldbehörde im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot festgesetzt und
  • gegen den Bußgeldbescheid vom Betroffenen Einspruch eingelegt worden,

darf der Bußgeldrichter, falls er den Betroffenen wegen der entsprechenden Ordnungswidrigkeit verurteilt, das Fahrverbot nur dann wegfallen lassen,

  • wenn entweder die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen ergibt, dass bestimmte besondere Umstände vorliegen nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots bei dem Betroffenen nicht bedarf, wie beispielsweise bei einem sog. „Augenblicksversagen“, wie es auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterlaufen kann oder
  • wenn die Anordnung eines Fahrverbots eine für den Betroffenen – durch andere Maßnahmen nicht kompensierbare – Härte ganz außergewöhnlicher Art bedeuten würde und demzufolge unverhältnismäßig wäre.

Eine Härte ganz außergewöhnlicher Art kann beispielsweise vorliegen,

  • oder wenn ein Betroffener krankheitsbedingt auf die Kfz-Nutzung angewiesen ist.

Beruft sich ein Betroffener auf das Vorliegen einer solchen Härte ganz außergewöhnlicher Art, muss er entsprechende Tatsachen dafür vortragen und Beweismittel hierfür anbieten (OLG Bamberg, Beschluss vom 29.10.2012 – 3 Ss OWi 1374/12 – und Beschluss vom 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 – zum Absehen vom Fahrverbot wegen krankheitsbedingter Angewiesenheit auf Kfz-Nutzung).

Nicht immer müssen Wohnungsmieter geplante Modernisierungsmaßnahmen dulden

Soll Mieter wegen der vorzunehmenden Arbeiten aus der Wohnung ausziehen kann dieser Umstand der Duldungspflicht entgegenstehen.

Plant ein Vermieter umfassende Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen mit einer Bauzeit von zwölf Monaten muss ein Mieter diese dann nicht dulden, wenn er

  • aufgrund des Umfangs der in Aussicht genommenen Arbeiten
  • monatelang nicht in seiner Wohnung verbleiben kann.

Darauf hat die 65. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Berlin mit Urteil vom 17.02.2016 – 65 S 301/15 – in einem Fall hingewiesen, in dem ein Vermieter den Mieter einer großen Wohnung mit ca. 166 m² auf Duldung von umfangreichen Arbeiten in Anspruch nehmen wollte.

Zwar ist, wie die Kammer ausgeführt hat, ein Wohnungsmieter nach §§ 555b, 555c, 555d Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) grundsätzlich verpflichtet, vom Vermieter rechtzeitig angekündigte Modernisierungsmaßnahmen zu dulden.

Wird vom Mieter allerdings wegen der vorzunehmenden Arbeiten

  • nicht nur die Räumung einzelner Zimmer für einen Zeitraum von einigen wenigen Wochen verlangt,
  • sondern das Verlassen seiner gesamten Wohnung für mehrere Monate,

kann dies für den Mieter eine auch unter Würdigung der in § 555d Abs. 2 BGB genannten Interessen und Belange nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten, die, wenn sie vom Mieter innerhalb der Frist des § 555d Abs. 3 BGB geltend gemacht wird, der Duldungspflicht entgegenstehen kann.
Denn das Mietrecht schützt den vertragstreuen Mieter vor einem vollständigen, auch zeitlich beschränkten Entzug der Wohnung, die als privater Rückzugsbereich besondere Bedeutung für ihn hat, weitreichend und erlaubt dies nur im Ausnahmefall (Quelle: Pressemitteilung des Landgerichts Berlin vom 22.04.2016).