Tag sittenwidrig

Wichtig zu wissen für Arbeitnehmer die Anspruch auf Insolvenzgeld und von ihrem Arbeitgeber

…. ein sittenwidrig niedriges Arbeitsentgelt erhalten haben.

Mit Urteil vom 07.09.2018 – S 15 AL 101/14 – hat das Sozialgericht (SG) Mainz entschieden, dass Arbeitnehmer, denen ihr Arbeitgeber ein sittenwidriges niedriges Arbeitsentgelt gezahlt hat,

  • was dann der Fall ist, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 des in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreicht hat,

nach einer Insolvenz ihres Arbeitgebers Insolvenzgeld von der Bundesagentur für Arbeit (BA)

  • auf Grundlage des tariflichen Lohnes

verlangen können.

Begründet hat das SG dies damit, dass eine sittenwidrige niedrige Vergütungsabrede nicht Grundlage für die Bemessung der Höhe des Insolvenzgeldes sein kann, das für die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis normalerweise dann in Höhe des seitens des Arbeitsgebers geschuldeten Nettoarbeitsentgelts zu zahlen ist, wenn der Arbeitgeber seinen Zahlungspflichten aufgrund seiner Insolvenz nicht mehr (vollständig) nachkommen konnte (Quelle: Pressemitteilung des SG Mainz vom 18.09.2018).

Was Sozialleistungsbezieher, die als Abkömmlinge eines Erblassers nach dessen Tod einen Pflichtteilsanspruch haben werden, wissen sollten

Die Abtretung des Pflichtteilanspruchs zur gerichtlichen Geltendmachung durch den Sohn kann sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn

  • der Pflichtteilsberechtigte vom Jobcenter Sozialleistungen bezieht und
  • die Abtretung des Pflichtteilsanspruchs dazu dient,
    • das erwartete Erbe dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zu entziehen und
    • zu vermeiden, dass keine Sozialleistungen mehr gezahlt werden.

Das hat das Landgericht (LG) Coburg mit Urteil vom 11.10.2016 – 11 O 392/15 – entschieden und in einem solchen Fall,

  • in dem der Pflichtteilsanspruch eines Sozialleistungsbeziehers von diesem auf den Sohn übertragen und
  • der Pflichtteilsanspruch vom Sohn gegen die Erben geltend gemacht worden war,

die Klage des Sohnes abgewiesen, weil nach Auffassung des Gerichts

  • durch die Übertragung des Pflichtteilsanspruchs auf den Sohn einzig und allein vermieden werden sollte, dass der Vater den Erlös aus der Erbschaft für seinen Lebensunterhalt verwenden müsste und dann keine Sozialleistungen mehr erhalten würde,
  • was, so das LG, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht (Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 23.01.2017 – Nr. 1/2017 –).

Wann kann ein Erbverzicht sittenwidrig und damit unwirksam sein?

Gemäß § 2346 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) können

  • Verwandte sowie der Ehegatte des Erblassers durch Vertrag mit dem Erblasser,
  • der gemäß § 2348 BGB der notariellen Beurkundung bedarf,

auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten.

Der Verzichtende ist in diesem Fall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte.
Er hat dann auch kein Pflichtteilsrecht mehr, sofern es nicht vom Erbverzicht ausgenommen wird.

Ein solcher Erbverzicht ist als Verfügungsgeschäft grundsätzlich wertneutral, kann aber dann nichtig sein, wenn

  • er gegen eine Abfindung erklärt wird,
  • Abfindungsvereinbarung und Erbverzicht nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Geschäftswillen der Parteien als ein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 139 BGB verknüpft sein sollen und
  • sich aus der gebotenen Gesamtwürdigung mit der dem Verzicht zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarung eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB ergibt,
    • was insbesondere der Fall ist, wenn die getroffenen Vereinbarungen ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden ausweisen.

Darauf hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 08.11.2016 – 10 U 36/15 – hingewiesen und einen zwischen Vater und seinem gerade 18 Jahre alt gewordenen Sohn am 29.10.2013 vereinbarten umfassenden notariell beurkundeten Erb-, Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchsverzicht für sittenwidrig und damit nichtig erklärt,

  • bei dem der Sohn als Gegenleistung für den Verzicht einem Sportwagen erhalten sollte,
  • jedoch unter der aufschiebenden Bedingung, dass er
    • sein 25. Lebensjahr vollendet sowie
    • seine Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2017 und
    • seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis zum 31.12.2021 jeweils mit der Note 1 bestanden hat.

Was, wer sich aus der Wohnung ausgesperrt hat und einen Schlüsselnotdienst rufen muss, wissen sollte

Ein Werkvertrag mit dem Schlüsseldienst wird regelmäßig bereits in dem Zeitpunkt geschlossen, in dem dieser – meist fernmündlich – den Auftrag zum Tätigwerden erhält.

  • Wird zu diesem Zeitpunkt – wie auch sonst bei kleineren Handwerkerleistungen nicht ungewöhnlich – eine Vergütung nicht ausdrücklich vereinbart, gilt die übliche Vergütung als vereinbart (§ 632 Abs. 2 2. Alt. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) und
  • das ist der Betrag, der nach Auffassung der beteiligten Verkehrskreise für eine nach Art, Güte und Umfang gleiche Leistung gewährt zu werden pflegt (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 26.10.2000 – VII ZR 239/98 –).

Eine später dann einseitig verlangte höhere Vergütung ist nicht geschuldet.

  • Ist bei Beauftragung oder später eine Vergütung vereinbart worden und ist diese überhöht, kann der zwischen den Parteien geschlossene Werkvertrag wegen Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein.
  • Ist das der Fall kann von dem beauftragten Schlüsseldienst gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB die Rückerstattung geleisteter Zahlungen verlangt werden, soweit sie den tatsächlichen Wert der geleisteten Arbeit übersteigen (Amtsgericht (AG) Bonn, Urteil vom 03.12.2009 – 2 C 237/08 –).

Sittenwidrig ist ein Vertrag dann, wenn

  • ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung sowie
  • eine verwerfliche Gesinnung besteht,
    • wobei bei einem besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das vorliegt, wenn der Wert der Leistung „knapp“ doppelt so hoch ist wie der der Gegenleistung (vgl. BGH, Urteil vom 29.06.2007 – V ZR 1/06 –), eine tatsächliche Vermutung für ein Handeln aus verwerflicher Gesinnung besteht,
    • die in der Regel eine weitere Prüfung subjektiver Voraussetzungen entbehrlich macht und die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründet.

Dementsprechend sind in der Vergangenheit Verträge für sittenwidrig erklärt worden,

  • in dem ein mit der Türöffnung beauftragter Schlüsselnotdienst das 3,5 fache dessen berechnet hatte, was für eine solche Leistung ortsüblich und angemessen war (AG Bonn, Urteil vom 03.12.2009 – 2 C 237/08 –) bzw.
  • in dem ein Schlüsseldienstanbieter für eine gewöhnliche Türöffnung an einem Werktag zur üblichen Geschäftszeit ein Vergütung verlangt hatte, die den Durchschnittspreis entsprechend der Preisempfehlung des Bundesverbandes Metall (BVM) um mehr als 100% und sogar fast um 200% überschritt (AG Bergisch Gladbach, Urteil vom 16.12.2013 – 68 C 404/13 –).

Auch kann

  • bei Vorliegen einer Zwangslage, d.h. einer ernsten Bedrängnis, in der der Geschädigte auf die Leistung angewiesen ist, der Straftatbestand des Wuchers nach § 291 Abs. 1 S. 1 Ziff. 3 Strafgesetzbuch (StGB) und
  • sofern bereits die Vornahme der Türöffnung selbst von der Akzeptierung eines überhöhten Preises abhängig gemacht wird – ggf. zusätzlich – der Straftatbestand der Nötigung nach § 240 StGB

erfüllt sein (vgl. dazu Oberlandesgericht (OLG) Köln, Urteil vom 22.11.2016 – 1 RVs 210/16 –).