Tag Umkehr

Was Patienten und Ärzte über die Pflicht des Arztes zur Information der Patienten über die voraussichtlichen Behandlungskosten sowie

…. die möglichen Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Pflicht wissen sollten.

Weiß der behandelnde Arzt,

  • dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten (insbesondere der gesetzlichen oder privaten Krankenkasse) nicht gesichert ist

oder ergeben sich hierfür

  • nach den Umständen hinreichende Anhaltspunkte,

muss der Arzt nach § 630c Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) den Patienten vor Beginn der Behandlung

  • über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung

in Textform informieren,

  • außer der Arzt kann im Streitfall darlegen und ggf. beweisen, dass es dieser Information aufgrund besonderer Umstände – wie etwa der Kenntnis des Patienten von der Unsicherheit der Kostenübernahme – bzw. insbesondere der Unaufschiebbarkeit der Behandlung oder dem ausdrücklichem Verzicht des Patienten, ausnahmsweise nicht bedarf (§ 630c Abs. 4 BGB).

Bei der Beurteilung, ob ein Arzt die Pflicht zur wirtschaftlichen Information der Patientin,

  • die den Zweck hat, den Patienten vor finanziellen Überraschungen zu schützen sowie ihn in die Lage zu versetzen, die wirtschaftliche Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken und
  • deren Verletzung einen Schadensersatzanspruch der Patientin aus § 280 Abs. 1 BGB begründen kann,

erfüllt oder nicht erfüllt hat, ist zu differenzieren zwischen

  • gesetzlich und
  • privat

versicherten Patienten,

  • weil ein Vertragsarzt, der die für den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung maßgeblichen Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (§ 92 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) aus seiner Abrechnungspraxis kennt, regelmäßig wissen wird, ob er für die eigenen Leistungen von der zuständigen Krankenkasse eine Vergütung erhält oder nicht,
  • während bei Patienten mit privater Krankenversicherung bzw. Beihilfeanspruch die Kenntnis vom Umfang des Versicherungsschutzes bzw. der Beihilfe, nachdem sich dieser aus den Bedingungen des konkreten Versicherungsvertrags, der Regulierungspraxis des im Einzelfall zuständigen Versicherers bzw. den Beihilferichtlinien ergibt, grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Patienten liegt.

Allerdings muss ein Arzt

  • auch bei Patienten mit privater Krankenversicherung bzw. Beihilfeanspruch

jedenfalls dann, wenn er

  • ein neue, noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode anwendet,

die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der private Krankenversicherer bzw. die Beihilfestelle die dafür erforderlichen Kosten nicht in vollem Umfang erstatten wird.

Verlangt ein Patient

  • wegen Verletzung der Pflicht zur wirtschaftlichen Information

von dem behandelnden Arzt Ersatz der Behandlungskosten, die

  • von ihm selbst zu tragen und
  • nicht von seinem Krankenversicherer übernommen worden sind,

muss der Patient im Streitfall darlegen und beweisen, dass

  • er sich bei ordnungsgemäßer Information über die voraussichtlichen Behandlungskosten gegen die in Rede stehende medizinische Behandlung entschieden hätte.

Eine Beweislastumkehr erfolgt in einem solchen Fall nicht (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 28.01.2020 – VI ZR 92/19 –).

Patienten und Ärzte sollten wissen, dass und wann es wegen eines nach einer unterlassenen Befunderhebung

…. aufgetretenen Gesundheitsschadens im Arzthaftungsprozess zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten kommen kann.

Stellt die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung, beispielsweise das Unterlassen einer postoperativen Röntgenkontrolle,

  • einen groben Behandlungsfehler dar,

führt dies zu einer Beweislastumkehr

  • hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Fehler und Gesundheitsschaden

zugunsten des Patienten,

  • wenn die grob fehlerhafte unterlassene Befunderhebung generell geeignet war, den eingetretenen Schaden zu verursachen;
  • wahrscheinlich muss der Eintritt eines solchen Erfolgs nicht sein.

Nur dann, wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, ist eine Umkehr der Beweislast ausgeschlossen.

  • Für die Feststellung der Geeignetheit der grob fehlerhaften unterlassenen Befunderhebung für den Schaden reicht es allerdings nicht aus, dass ein bloß theoretisch denkbarer Zusammenhang, der ohnehin fast nie ausgeschlossen werden kann, im Raum steht.

War die Unterlassung einer gebotenen Befunderhebung dagegen

  • nicht grob fehlerhaft,
  • sondern ist die Unterlassung lediglich als einfache Sorgfaltspflichtverstoß zu bewerten,

führt dies nach § 630h Abs. 5 S. 2 BGB dann zu einer Umkehr der Beweislast

  • hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden,

wenn sich bei Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit – die bei mehr als 50 % angenommen werden kann –

  • ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und
  • sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde.

Darauf hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden mit Urteil vom 29.08.2017 – 4 U 401/17 – hingewiesen.

BGH entscheidet, wann einem selbstständigen Reitlehrer und Pferdeausbilder, der ein Dressurpferd verkauft, die Unternehmereigenschaft fehlt

…. und der Käufer sich ihm gegenüber deshalb nicht auf die Beweislastumkehr des § 476 BGB berufen kann.

Mit Urteil vom 18.10.2017 – VIII ZR 32/16 – hat der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) darauf hingewiesen, dass ein Reitlehrer und Pferdetrainer, der ein Dressurpferd verkauft,

  • ohne Hinzutreten besonderer Umstände,

dann nicht als Unternehmer anzusehen ist,

  • wenn er das Pferd zuvor ausschließlich für private Zwecke erworben und ausgebildet hat und

dass in einem solchen Fall, wenn streitig ist, ob ein Mangel des Pferdes, wie beispielsweise „Rittigkeitsprobleme“ (Lahmheit, Schmerzen, Widersetzlichkeit)

  • bereits bei Übergabe des Pferdes vorhanden war oder
  • erst danach aufgetreten ist, hervorgerufen etwa durch eine falsche reiterliche Behandlung auf Seiten des Käufers,

der Käufer sich deswegen auch nicht auf die Beweislastumkehrvorschrift des § 476 BGB berufen kann,

  • da diese nur für Verbrauchsgüterkäufe, d.h. Verträge durch die ein Verbraucher von einem Unternehmer bewegliche Sachen kauft, gilt.

Begründet hat der Senat die fehlende Unternehmereigenschaft in einem solchen Fall damit, dass ein selbständiger Reitlehrer und Pferdeausbilder, wenn er ein Pferd verkauft,

  • das von ihm zuvor ausschließlich zu privaten Zwecken ausgebildet und trainiert worden ist,

bei dem Verkauf des Pferdes nicht „in Ausübung“ seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt,

  • sondern der Zusammenhang zu seiner beruflichen Tätigkeit allenfalls äußerlicher Natur ist (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 18.10.2017 – Nr. 161/2017 –).

Wer durch Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, die dem Schutz der Gesundheit anderer dienen, geschädigt wurde, sollte wissen

…. dass ihm bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen eine Umkehr der objektiven Beweislast zugute kommen kann.

Zwar trägt grundsätzlich der Geschädigte, der Schadensersatzansprüche geltend macht, die Beweislast für

  • die Pflichtverletzung des Schädigers,
  • die Schadensentstehung und
  • den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden.

In bestimmten Fällen greift jedoch eine Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten ein.

So führt das Vorliegen eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers

  • der geeignet ist, einen Schaden der beim Geschädigten tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen,

im Arzthaftungsrecht regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast

  • für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden,

wobei ein Behandlungsfehler dann als grob zu bewerten ist, wenn ein Arzt

  • eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und
  • einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Diese Beweisgrundsätze gelten entsprechend

  • bei grober Verletzung sonstiger Berufs- oder Organisationspflichten,

sofern diese, ähnlich wie beim Arztberuf,

  • dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen,

weil,

  • wer eine besondere Berufs- oder Organisationspflicht hat, andere vor Gefahren für Körper und Gesundheit zu bewahren,
  • grob vernachlässigt,

nach Treu und Glauben die Folgen der Ungewissheit, ob der Schaden abwendbar war, nicht dem Geschädigten aufbürden kann.

In derartigen Fällen muss der seine Pflichten grob Vernachlässigende daher

  • die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen,
  • die allgemein als geeignet anzusehen sind, einen Schaden nach Art des eingetretenen herbeizuführen.

Beispielsweise muss ein Schwimmmeister,

  • wenn er durch grobe Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht den seiner Obhut anvertrauten Schwimmschüler in eine Gefahrenlage gebracht hat, die geeignet war, den eingetretenen Ertrinkungstod herbeizuführen,

beweisen,

  • dass der Verunglückte auch bei sorgfältiger Überwachung nicht hätte gerettet werden können.

War etwa bei stationärer Krankenhauspflege ein Patient

  • durch Missstände und Versäumnisse außerhalb des engeren Bereichs der ärztlichen Behandlung einer Infektionsgefahr ausgesetzt,
  • die das Maß des Unvermeidlichen erheblich überschritt,

muss im Falle einer Infizierung

  • der Krankenhausträger die Nichtursächlichkeit festgestellter Fehler beweisen,
  • die allgemein als geeignet anzusehen sind, die Infektionsgefahr zu erhöhen.

Ebenfalls greift, wenn der Betreiber eines Hausnotrufs die ihm obliegenden Schutz- und Organisationspflichten grob verletzt bzw. vernachlässigt hat,

  • beispielsweise, dadurch, dass nicht unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt worden ist,
  • obwohl aufgrund des Verhaltens eines Teilnehmers, der die Notruftaste betätigt hat, sich das Vorliegen eines akuten medizinischen Notfalls aufdrängte,

zu Gunsten des Teilnehmers an dem Hausnotruf,

  • wenn dieser wegen eines erlittenen Gesundheitsschadens, z.B. wegen eines erlittenen Schlaganfalls die Notruftaste betätigt hat,

eine Beweislastumkehr ein,

  • soweit es um die Frage geht, ob eingetretene schwerwiegende Folgen dieses Gesundheitsschadens auch bei unverzüglich vermittelter Hilfeleistung eingetreten wären,

Darauf hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 11.05.2017 – III ZR 92/16 – hingewiesen.

Was, wer einen Dienstleistungsvertrag zur Teilnahme am Hausnotruf abschließen will oder abgeschlossen hat, wissen sollte

Ein Hausnotrufvertrag,

  • der beinhaltet, dass das Hausnotrufgerät an eine ständig besetzte Zentrale angeschlossen und
  • von dieser Zentrale im Fall eines Notrufs unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt wird (z.B. durch vereinbarte Schlüsseladressen, Rettungsdienst, Hausarzt, Schlüsseldienst)

ist

  • ein Dienstvertrag im Sinne des § 611 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB),
  • der in erster Linie den Schutz von Leben und Gesundheit der zumeist älteren und pflegebedürftigen Teilnehmer bezweckt.

Dem Teilnehmer an einem Hausnotruf wird geschuldet,

  • zwar kein Erfolg etwaiger Rettungsmaßnahmen,
  • aber die unverzügliche Vermittlung einer angemessenen Hilfeleistung.

Verletzt bzw. vernachlässigt der Betreiber des Hausnotrufs die ihm obliegenden Schutz- und Organisationspflichten grob,

  • beispielsweise, dadurch, dass nicht unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt wird,
  • obwohl aufgrund des Verhaltens eines Teilnehmers, der die Notruftaste betätigt hat, sich das Vorliegen eines akuten medizinischen Notfalls aufdrängte,

greift, wenn der Teilnehmer wegen eines erlittenen Gesundheitsschadens, z.B. wegen eines erlittenen Schlaganfalls die Notruftaste betätigt hat,

  • soweit es um die Frage geht, ob eingetretene schwerwiegende Folgen dieses Gesundheitsschadens auch bei unverzüglich vermittelter Hilfeleistung eingetreten wären,

zu seinen Gunsten eine Beweislastumkehr ein.

Das hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 11.05.2017 – III ZR 92/16 – entschieden.

Danach sind hier, wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage, dieselben Beweisgrundsätze anzuwenden wie im Arzthaftungsrecht,

  • wo grundsätzlich zwar der Geschädigte die Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden trägt,
  • ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, regelmäßig allerdings zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden führt (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 11.05.2017 – Nr. 71/2017).

Was Patienten, die wegen eines Gesundheitsschadens aufgrund behaupteter Hygieneverstöße Schadensersatz verlangen, wissen sollten

Anders als im Bereich des ärztlichen Handelns, in dem grundsätzlich der Patient die Darlegungs- und Beweislast für einen von ihm behaupteten Behandlungsfehler sowie dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Gesundheitsschaden trägt, muss,

  • wenn sich ein durch den Klinikbetrieb oder die Arztpraxis gesetztes Risiko verwirklicht,
  • das von der Behandlungsseite durch sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens voll hätte beherrscht werden können und müssen,

in Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast die Behandlungsseite darlegen und beweisen,

  • dass sie alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen ergriffen hatte, um das Risiko zu vermeiden.

Voll beherrschbare Risiken in diesem Sinne,

  • die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt werden und durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung ausgeschlossen werden können sowie müssen,

sind allerdings abzugrenzen von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind, weil

  • die Vorgänge im lebenden Organismus auch vom besten Arzt nicht immer so beherrscht werden können, dass schon der ausbleibende Erfolg oder auch ein Fehlschlag auf eine fehlerhafte Behandlung hindeuten würden.

Dem von der Behandlungsseite voll beherrschbaren Bereich beispielsweise zuzurechnen sind

  • die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels,
  • die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit oder
  • die vermeidbare Keimübertragung durch an der Behandlung beteiligte Personen,

weil all diesen Fällen gemeinsam ist, dass

Dagegen kommt

  • bei ungeklärter Infektionsquelle

eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko nicht in Betracht.

Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko tritt vielmehr nur dann ein,

  • wenn feststeht, dass der Gesundheitsschaden aus der von der Behandlungsseite vollbeherrschbaren Sphäre hervorgegangen ist (vgl. BGH, Urteile vom 20.03.2007 – VI ZR 158/06 – und vom 17.01.2012 – VI ZR 336/10 –)

und diese Voraussetzung ist nicht erfüllt,

  • wenn nicht feststeht, wo und wann sich ein Patient mit dem nachgewiesenen Erreger infiziert hat,
  • es also möglich ist, dass der Patient selbst Träger des Keims war und dieser in die Wunde des Patienten gewandert oder der Keim durch einen Besucher übertragen worden ist.

Ist die Infektionsquelle (noch) ungeklärt, steht also noch nicht fest, wo und wann sich der Patient mit dem nachgewiesenen Erreger infiziert hat und ist deshalb auch noch keine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast nach den Grundsätzen über das voll beherrschbare Risiko eingetreten,

  • erfüllt der dann zunächst noch als Anspruchssteller primär darlegungsbelastete Patient seine Darlegungslast, wenn

er konkrete Anhaltspunkte für einen Hygienevorstoß der Behandlungsseite vorträgt,

  • wobei er sich dabei darauf beschränken darf, Tatsachen vorzutragen, die die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens der Behandlungsseite aufgrund der Folgen für ihn gestattet (vgl. BGH, Urteile vom 08.06.2004 – VI ZR 199/03 – und vom 24.02.2015 – VI ZR 106/13 –),
  • beispielsweise, dass er als frisch Operierter neben einen Patienten gelegt worden war, der unter einer offenen, mit einem Keim infizierten Wunde im Kniebereich litt und sein „offenes Knie“ allen Anwesenden zeigte.

Ein solcher Vortrag, wenn er die Vermutung eines fehlerhaften Verhaltens des Arztes aufgrund der Folgen für den Patienten gestattet, genügt, um eine erweiterte Darlegungslast der Behandlungsseite auszulösen, die dann

  • die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Maßnahmen trifft, die sie ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die Hygienebestimmungen eingehalten wurden (vgl. auch Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 06.06.2013 – 1 U 319/13 –).

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 16.08.2016 – VI ZR 634/15 – hingewiesen.

Bei Behandlungsfehlern von Tierärzten gelten dieselben Beweislastverteilungsgrundsätze wie bei Humanmedizinern

Bei einer veterinärmedizinischen Behandlung finden bei einem groben Behandlungsfehler, insbesondere auch bei einem Befunderhebungsfehler, die für die humanmedizinische Behandlung entwickelten Grundsätze zur Beweislastumkehr Anwendung.

Das heißt, bei der Behandlung eines Tieres durch einen Tierarzt führt ein grober Behandlungsfehler,

  • der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen,

ebenso wie in der Humanmedizin, regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast

  • für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Schaden.

Das hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 – entschieden.

Begründet hat der Senat dies damit, dass der Vergleich der Funktionen von Humanmedizin und veterinärmedizinischer Behandlung es rechtfertigt, die im Bereich der Humanmedizin entwickelten Grundsätze zur Beweislastverteilung auch im Bereich der Veterinärmedizin anzuwenden.

Danach muss ein Tierarzt, dem bei der Behandlung eines Tieres

  • ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist,
  • der geeignet war, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen,

beweisen,

  • dass der Behandlungsfehler nicht ursächlich für den Schaden gewesen ist,

wenn er von dem Eigentümer des Tieres auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Verletzung von Pflichten aus dem tierärztlichen Behandlungsvertrag in Anspruch genommen wird.

Wer muss beweisen, ob ein ärztlicher Fehler ursächlich für einen Gesundheitsschaden war?

Hat es sich bei dem ärztlichen Fehler, der dem Arzt unterlaufen ist,

  • um einen groben Behandlungsfehler gehandelt und
  • war dieser geeignet bei dem behandelten Patienten einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen,

muss regelmäßig der Arzt beweisen,

  • dass der Behandlungsfehler nicht ursächlich für den Gesundheitsschaden des Patienten gewesen ist.

Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt nämlich regelmäßig zur Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 27.04.2004 – VI ZR 34/03 –; vom 16.11.2004 – VI ZR 328/03 –; vom 08.01.2008 – VI ZR 118/06 – und vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 –).

Dasselbe gilt, wenn

  • ein Befunderhebungsfehler vorgelegen hat und
  • bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt.

Auch dann muss der Arzt beweisen, dass der Befunderhebungsfehler nicht ursächlich für den Gesundheitsschaden gewesen ist.
Bei einem Befunderhebungsfehler tritt nämlich eine Beweislastumkehr hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität auch dann ein, wenn bereits die Unterlassung einer aus medizinischer Sicht gebotenen Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (vgl. BGH, Urteile vom 13.01.1998 – VI ZR 242/96 –; vom 29.09.2009 – VI ZR 251/08 –; vom 13.09.2011 – VI ZR 144/10 –; vom 02.07.2013 – VI ZR 554/12 –; vom 21.01.2014 – VI ZR 78/13 –; vom 24.02.2015 – VI ZR 106/13 – und vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 –).

Aber auch in Fällen,

  • in denen die Unterlassung der Befunderhebung nicht grob fehlerhaft war,

muss der Arzt dann beweisen, dass die Unterlassung der Befunderhebung nicht ursächlich für den Gesundheitsschaden gewesen ist, wenn

  • sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte,
  • sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellt und
  • diese Fehler generell geeignet sind, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen,
    • wobei der Eintritt eines solchen Gesundheitsschadens nicht wahrscheinlich zu sein braucht.
    • Nur wenn jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, ist nicht der Arzt, sondern der Patient beweispflichtig.

Dazu, dass auch eine nicht grob fehlerhafte Unterlassung der Befunderhebung zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen vgl. BGH, Urteile vom 13.02.1996 – VI ZR 402/94 –; vom 27.04.2004 – VI ZR 34/03 –; vom 13.09.2011 – VI ZR 144/10 –; vom 02.07.2013 – VI ZR 554/12 –; vom 21.01.2014 – VI ZR 78/13 –; vom 24.02.2015 – VI ZR 106/13 – und vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 –).

Diese Grundsätze über die Beweislastumkehr für den Kausalitätsbeweis, die von der Rechtsprechung entwickelt und vom Gesetzgeber in § 630h Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) übernommen worden sind, finden allerdings grundsätzlich nur Anwendung,

  • soweit durch den Fehler des Arztes
  • unmittelbar verursachte haftungsbegründende Gesundheitsverletzungen (Primärschäden) in Frage stehen.

Für den Kausalitätsnachweis für Folgeschäden (Sekundärschäden),

  • die erst durch die infolge des Behandlungsfehlers eingetretene Gesundheitsverletzung entstanden sein sollen,

gelten sie nur dann, wenn

  • der Sekundärschaden eine typische Folge des Primärschadens ist.

Die haftungsbegründende Kausalität betrifft

  • die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Rechtsgutsverletzung,
  • also für den so genannten Primärschaden des Patienten im Sinne einer Belastung seiner gesundheitlichen Befindlichkeit.

Dagegen betrifft die haftungsausfüllende Kausalität

  • den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rechtsgutsverletzung (dem Primärschaden) und weiteren Gesundheitsschäden.

Bei einer unterlassenen oder unzureichenden Befunderhebung ist Rechtsgutsverletzung (Primärschaden), auf die sich die haftungsbegründende Kausalität ausrichtet,

  • nicht die nicht rechtzeitige Erkennung einer bereits vorhandenen behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung,
  • sondern die infolge der unterlassenen oder unzureichenden Befunderhebung entstandene gesundheitliche Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung,
    • wobei zu dieser gesundheitlichen Befindlichkeit in ihrer konkreten Ausprägung auch ein dadurch etwa geschaffenes oder erhöhtes Risiko des Patienten einen weiteren Schaden zu erleiden, gehört (BGH, Urteil vom 02.07.2013 – VI ZR 554/12 -).

Auch bei grobem Behandlungsfehler eines Tierarztes kommt es zur Umkehr der Beweislast

Die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere auch bei Befunderhebungsfehlern, sind auch im Bereich der tierärztlichen Behandlung anzuwenden.

Das hat der u.a. für die Arzthaftung einschließlich der Haftung des Tierarztes zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 – entschieden.

Begründet hat der Senat dies damit, dass

  • sich sowohl die humanmedizinische als auch die Tätigkeit eines Tierarztes auf einen lebenden Organismus beziehen,
  • bei der tierärztlichen Behandlung – wie in der Humanmedizin – dem für die Beweislastumkehr maßgeblichen Gesichtspunkt, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers besonders verbreitert oder verschoben worden ist, eine besondere Bedeutung zukommt und
  • auch ein grob fehlerhaft handelnder Tierarzt durch einen schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen und dadurch die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten vertieft hat.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 10.05.2016 – Nr. 83/2016 – mitgeteilt.

Das bedeutet:
Steht fest, dass ein Tierarzt bei der Behandlung eines Tieres einen groben Behandlungsfehler oder Befunderhebungsfehler begangen hat und bleibt ungeklärt, ob dieser Fehler ursächlich war für einen Schaden den das Tier erlitten hat, trägt somit der Tierarzt die Beweislast.