Gemäß § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer
- dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und
- unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Demnach ist Voraussetzung für eine fristlose Kündigung
- zunächst, dass der Sachverhalt, auf den die Kündigung gestützt wird, ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist und
wenn dies der Fall ist,
- dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – unzumutbar ist.
Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist also nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteile vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – und vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 –).
Eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen können beispielsweise auch grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, weil sie einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) darstellen (BAG, Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 534/08 – AP BGB § 626 Nr. 226).
Das allein reicht allerdings noch nicht für eine fristlose Kündigung aus.
Vielmehr ist, trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung, bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist, in einer Gesamtwürdigung
- das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses
- gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen,
wobei eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen hat.
Zu berücksichtigen sind insbesondere regelmäßig
- das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und die wirtschaftlichen Folgen -,
- der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers,
- eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie
- die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf.
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht,
- wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind,
- wobei als mildere Reaktion insbesondere die Abmahnung anzusehen ist, wenn schon sie geeignet ist, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen.
Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (BAG, Urteile vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – und vom 25.10.2012 – 2 AZR 495/11 –).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann.
Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.
Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn
- bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder
- es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.
Darauf hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 22.06.2016 – 4 Sa 5/16 – hingewiesen.