Tag Beweislastumkehr

Unterlässt ein Arzt bei einem Patienten eine erforderliche Darmspiegelung und erkennt er deshalb einen Darmkrebs

…. bei dem Patienten nicht, liegt ein grober Behandlungsfehler vor, der einen Anspruch des Patienten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld begründen kann.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig mit Urteil vom 28.02.2019 – 9 U 129/15 – hingewiesen und in einem Fall, in dem

  • ein Arzt bei einer Patientin, trotz zum Teil heftiger Blutungen aus dem Anus lediglich Hämorrhoiden und eine Analfissur diagnostiziert hatte, ohne eine Darmspiegelung zu machen

und

  • der Darmkrebs bei der Patientin erst neun Monate später entdeckt worden war, als sich diese wegen eines anderen Leidens im Krankenhaus befand,

der Patientin ein Schmerzensgeld von 70.000 Euro sowie Schadensersatz zugesprochen.

In dem Unterlassen der hier erforderlichen Darmspiegelung sah der Senat einen groben Behandlungsfehler, mit der Folge, dass zugunsten der Patientin eine Beweislastumkehr eingriff,

  • sie also nicht beweisen musste, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und ihren gesundheitlichen Folgen bestanden hat
  • sondern der Arzt hätte beweisen müssen, dass die um neun Monate verspätete Diagnose nicht für den weiteren Krankheitsverlauf der Patientin ursächlich geworden ist (Quelle: Pressemitteilung des OLG Braunschweig vom 11.04.2019).

Erleidet ein Badegast bei einem Badeunfall in einem Frei- oder Hallenbad einen Gesundheitsschaden

…. haftet der Badbetreiber, wenn

  • die mit der Aufsicht im Bad betrauten Personen schuldhaft ihre Überwachungs- und Rettungspflichten verletzt haben und
  • diese Pflichtverletzung ursächlich für die bei dem Badegast eingetretenen Gesundheitsschäden war.

Eine Verletzung der Badeaufsichtspflicht liegt vor, wenn

  • der Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser nicht fortlaufend beobachtet sowie mit regelmäßigen Kontrollblicken daraufhin überwacht worden ist, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten,
  • der Beobachtungsort von den mit der Aufsicht betrauten Personen dazu nicht so gewählt worden ist, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht werden kann bzw. die hierzu erforderlichen Standortwechsel nicht vorgenommen worden sind oder
  • in Notfällen nicht für rasche und wirksame Hilfeleistung gesorgt worden ist.

Ob bei Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung

  • diese auch ursächlich für den Gesundheitsschaden eines Badegastes war,

hängt davon ab,

  • wie lange es bei pflichtgemäßem Verhalten der mit der Badeaufsicht beauftragten Personen gedauert hätte,
    • die Notlage des Badegastes zu erkennen sowie
    • diesen zu retten und
  • ob, wenn die Rettung des Badegastes in dieser Zeit erfolgt wäre,
    • die bei dem Badegast eingetretenen Gesundheitsschäden vermieden worden wären.

Dass eine Verletzung der Badeaufsichtspflicht vorgelegen hat und diese ursächlich für die bei ihm eingetretene Gesundheitsschäden war, muss grundsätzlich der Badegast beweisen.

  • Ist der Pflichtenverstoß der mit der Badeaufsicht beauftragten Personen allerdings als grob fahrlässig zu bewerten, geht es zu Lasten des Badbetreibers, wenn sich die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Gesundheitsschäden nicht beweisen lässt (Beweislastumkehr).

Darauf hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 23.11.2017 – III ZR 60/16 – hingewiesen (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 28.11.2017 – Nr. 189/2017 –).

Wichtig für Ärzte und Patienten zu wissen: Nach einer Gipsschienenbehandlung kann das Übersehen eines Kompartmentsyndroms

…. im Rahmen der Nachsorge ein grober Behandlungsfehler sein, der Ansprüche auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld begründet.

Mit Urteil vom 13.06.2017 – 26 U 59/16 – hat der 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm entschieden, dass

  • nach einer (beispielsweise unfallbedingten) Gipsschienenbehandlung eines Patienten der mit der Nachsorge betraute Hausarzt die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms in Betracht ziehen muss, falls der Patient hierfür typische Beschwerden schildert,
    • wie für die zugrunde liegende Verletzung atypische vorhandene Schmerzen und/oder Schwellungen bzw. Störungen der Beweglichkeit

und

  • es als grober Behandlungsfehler gewertet werden kann, wenn der Hausarzt die zielführenden Symptome nicht abklärt bzw. den Patienten nicht in chirurgische Behandlung überweist,

so dass einem Patienten,

  • der wegen des Nichtausschlusses dieser Erkrankung aus den §§ 611, 280, 823, 253 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Ansprüche gegen den Hausarzt auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld gelten macht,

auch eine Beweislastumkehr zugute kommen kann.

Diese Beweislastumkehr erfasst den Primärschaden und alle Folgeschäden, die die konkrete Ausprägung des Fehlers darstellen:

  • Rechtsgutsverletzung (Primärschaden) ist in einem solchen Fall die gesundheitliche Befindlichkeit, die dadurch entstanden ist, dass die Befundung auf ein Kompartmentsyndrom und in der Folge dieses Umstandes die Behandlung unterblieben ist.

Nur dann, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, wäre eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ausnahmsweise ausgeschlossen.

In dem dem Urteil zugrunde liegendem Fall ist einem Patienten,

  • dessen rechter Unterarm, weil von seinem Hausarzt die Möglichkeit eines Kompartmentsyndroms behandlungsfehlerhaft zu spät in Betracht gezogen worden war, hatte amputiert werden müssen,

vom OLG unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro zugesprochen worden.

Was Käufer und Verkäufer wissen sollten, wenn beim Verbrauchsgüterkauf Streit über die Sachmängelhaftung besteht

Legt der Käufer bei einem Verbrauchsgüterkauf dar und weist er im Streitfall nach, dass

  • sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Mangelzustand gezeigt hat,
  • der – unterstellt er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde,

wird nach § 476 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vermutet,

  • dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat.

Der Käufer hat also in einem solchen Fall lediglich darzulegen und zu beweisen,

  • dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte und
  • dass diese Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung offenbar geworden ist.

Nicht beweisen muss der Käufer dagegen,

  • den Grund für die Vertragswidrigkeit,
  • dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist und
  • auch nicht, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Für den Verkäufer hat die Verschiebung der Beweislast nach § 476 BGB beim Verbrauchsgüterkauf zur Folge, dass er den Nachweis zu erbringen hat,

  • dass die aufgrund eines binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang eingetretenen mangelhaften Zustands eingreifende gesetzliche Vermutung nicht zutrifft,
  • dass bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs – zumindest ein in der Entstehung begriffener – Sachmangel vorgelegen habe.

Der Verkäufer muss also darzulegen und nachzuweisen, dass ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs noch nicht vorhanden war,

  • weil der Sachmangel seinen Ursprung in einem Handeln oder Unterlassen nach diesem Zeitpunkt hat, also auf eine nachträgliche Ursache (Bedienungsfehler) zurückzuführen ist und
  • ihm damit nicht zuzurechnen ist.

Gelingt dem Verkäufer diese Beweisführung – also der volle Beweis des Gegenteils der vermuteten Tatsachen – nicht hinreichend, greift zu Gunsten des Käufers die Vermutung des § 476 BGB auch dann ein,

  • wenn die Ursache für den mangelhaften Zustand oder der Zeitpunkt ihres Auftretens offengeblieben ist,
  • also letztlich ungeklärt geblieben ist, ob überhaupt ein vom Verkäufer zu verantwortender Sachmangel vorlag.

Daneben verbleibt dem Verkäufer noch die Möglichkeit, sich darauf zu berufen und nachzuweisen, dass das Eingreifen der Beweislastumkehr des § 476 BGB ausnahmsweise bereits deswegen ausgeschlossen sei,

  • weil die Vermutung, dass bereits bei Gefahrübergang im Ansatz ein Mangel vorlag,
  • mit der Art der Sache oder eines derartigen Mangels unvereinbar ist.

Auch kann der Käufer im Einzelfall gehalten sein, Vortrag zu seinem Umgang mit der Sache nach Gefahrübergang zu halten.

Das hat der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 12.10.2016 – VIII ZR 103/15 – entschieden und seine Rechtsprechung damit in Einklang gebracht mit den Erwägungen in dem zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 04.06.2015 – C-497/13 – (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 12.10.2016 – Nr. 180/2016 –).