Tag Kind

Die einem Erstklässler versetzte Ohrfeige kann durch Notwehr gerechtfertigt sein

Versetzt ein als Schulhofaufsicht eingesetzter Erwachsener einem Erstklässler eine Ohrfeige kann dies,

  • wenn es in der konkreten Situation das einzige angemessene Mittel ist, den Erstklässler und andere den Erwachsenen bedrängende Kinder abzuschrecken und ihre Angriffe auf ihn zuverlässig zu beenden,

nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB) durch Notwehr gerechtfertigt sein.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 02.06.2016 – III-1 Ws 63/16 – hingewiesen und einen an einer Ganztagesschule als Schulhofaufsicht beschäftigten Ein-Euro-Jobber,

  • der wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zum Nachteil eines Erstklässers angeklagt war,

freigesprochen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte der Angeklagte

  • zunächst mit etwa 5 bis 10 Jungen aus der ersten Klasse auf dem Schulhof gespielt,
  • sich aber irgendwann, als ihm das Spiel zu „wild“ wurde, in den hinteren Teil des Hofes zurückgezogen und als die Erstklässler ihn nicht in Ruhe ließen, sondern ihn auch dort, trotz verbaler Einwirkung auf sie, weiter bedrängten, teilweise auf ihn einschlugen sowie in seine Richtung spuckten,

dem, ihm am nächsten befindlichen der beteiligten Erstklässler,

  • zur Abschreckung der anderen und um die auf ihn einstürmenden Kinder loszuwerden,

eine kurzzeitig schmerhafte Ohrfeige versetzt,

  • woraufhin die Kinder, geschockt nach dem Schlag, auch sofort von dem Angeklagten abgelassen hatten.

Das OLG hat den Freispruch des Angeklagten damit begründet, dass die den Erstklässler etwa 10 Minuten lang schmerzende Ohrfeige durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei, weil sie

  • aus objektiver, nachträglicher Sicht,
  • in der konkreten Situation, in der sich der Angeklagte damals befunden habe,
  • die einzige angemessene sowie geeignete Verteidigungshandlung gewesen sei, um den Angriff der Kinder zuverlässig sofort zu beenden.

Anders als die Ohrfeige, so das OLG, hätte,

  • nachdem die Kinder dem Angeklagten auch schon vorher auf dem Schulhof nachgefolgt und seiner Aufforderung aufzuhören, nicht gefolgt seien,

weder die für den Angeklagten bestehenden Möglichkeiten

  • sich entweder in das Schulgebäude zurückzuziehen oder
  • einen hauptamtliche Lehrkraft zu Hilfe zu holen,

die sofortige Beendigung der Angriffe erwarten lassen.

Auch wenn die Angreifer aufgrund ihres Alters schuldunfähig gewesen seien, sei, so das OLG weiter, die einem der schuldunfähigen Kinder erteilte Ohrfeige geboten gewesen.
Zwar sei bei einem von schuldunfähigen Personen, insbesondere von Kindern Angegriffenen das Notwehrrecht unter Umständen dahingehend eingeschränkt, dass, wenn dies ohne substantiellen Rechtsverlust möglich ist,

  • dem Angegriffenen ein Ausweichen zugemutet bzw.
  • von dem Angegriffenen ein Verzicht auf maßlose Gegenwehr gefordert und
  • bei aktiver Gegenwehr die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt wird,
    • im Hinblick auf die durch die Notwehrhandlung verhinderte Rechtsgutsverletzung und
    • die auf Seiten des Angreifers durch die Notwehrhandlung verursachte

Andererseits müsse mit milden Abwehrhandlungen wie im vorliegenden Fall selbst Bagatellangriffen schuldlos Handelnder entgegengetreten werden dürfen, zumal,

  • solange diese keinen ernstzunehmenden Verletzungsrisiken ausgesetzt seien,

kein Grund bestehe,

  • schuldlos handelnden Kindern eine allgemeine „Narrenfreiheit“ zu gewähren.

Was Eltern, deren Kind Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege hat, wissen sollten

Hat ein Kind nach § 24 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege und wird ein entsprechender Bedarf rechtzeitig von den Eltern des Kindes geltend gemacht, ist der Träger der Jugendhife verpflichtet, dem anspruchsberechtigten Kind

  • einen vom Wohnsitz des Kindes aus in vertretbarer Zeit erreichbaren Betreuungsplatz
  • entweder in einer eigenen Kindertageseinrichtung zuzuweisen oder in einer Einrichtung eines anderen Trägers bzw. nach Wahl der Eltern in Kindertagespflege nachzuweisen.

Ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht imstande, einen (zumutbaren) Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen, muss er den Eltern, die einen Betreuungsplatz selbst beschaffen,

  • in der Regel diejenigen Aufwendungen erstatten, welche diese für erforderlich halten durften (was vermeidbare Luxusaufwendungen ausschließt),
  • wobei hiervon etwaige ersparte (fiktive) Kostenbeiträge für einen durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe verschafften Betreuungsplatz abzusetzen sind.

Darauf

  • und dass ein (hier: von der Landeshauptstadt München) angebotener Betreuungsplatz jedenfalls dann nicht in vertretbarer Zeit erreichbar ist, wenn allein der Zeitaufwand der erwerbstätigen Mutter für die Bewältigung des Hin- und Rückwegs bei Nutzung von Bus und U-Bahn im Berufsverkehr zwei Stunden pro Tag beträgt,

hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) mit Urteil vom 22.07.2016 – 12 BV 15.719 – hingewiesen (Quelle Pressemitteilung des BayVGH vom 18.08.2016).

Was getrennt lebende, gemeinsam sorgeberechtigte Eltern wissen sollten, wenn sie die Übertragung des alleinigen Sorgerechts für ihr gemeinsames Kind beantragen

Leben Eltern,

  • denen die elterliche Sorge für ihr Kind gemeinsam zusteht,
  • nicht nur vorübergehend getrennt,

so kann gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) jeder Elternteil beantragen,

  • dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein überträgt.

Dem Antrag ist, sofern nicht die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB vorliegen, stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass

  • die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und
  • die Übertragung auf den Antragsteller

dem Wohl des Kindes am besten entspricht, § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB.

Vor diesem Hintergrund ist eine doppelte Kindeswohlprüfung durchzuführen,

  • die zunächst dahin geht festzustellen, ob die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht.
  • Bejahendenfalls ist zu prüfen, ob die Übertragung gerade auf den Antrag stellenden Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht.

Der Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge setzt voraus, dass

  • zwischen den Eltern eine tragfähige soziale Beziehung und
  • in den wesentlichen Sorgerechtsbereichen ein Mindestmaß an Übereinstimmung besteht (Bundesgerichtshof (BGH), Beschlüsse vom 12.12.2007 – XII ZB 158/05 – und vom 16.03.2011 – XII ZB 407/10 –).

Letztlich kommt es entscheidend darauf an, ob

  • die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge voraussichtlich nachteiligere Folgen für das Kind hat
  • als die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge (Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken, Beschluss vom 11.05.2015 – 6 UF 18/15 –).

Entspricht danach die Aufhebung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl am besten, ist zur Beantwortung der Frage, ob die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den einen oder den anderen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht, eine Abwägung nachfolgender Gesichtspunkte vorzunehmen, wobei deren Reihenfolge im Hinblick auf ihren Stellenwert keine Bedeutung zukommt:

  • Für welchen Elternteil spricht der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt oder lässt sich diesbezüglich kein Vorrang zugunsten eines Elternteils feststellen?
  • Lässt sich unter dem Gesichtspunkt der Bindungen des Kindes an beide Elternteile und etwa vorhandene Geschwister ein Vorrang zugunsten eines Elternteils feststellen oder ist von gleichwertigen, sicheren Bindungen des Kindes an beide Eltern auszugehen?
  • Was will das Kind? (sofern der Wille des Kindes mit seinem Wohl vereinbar ist, das Kind nach Alter und Reife zu einer Willensbildung im natürlichen Sinne in der Lage ist und seinen Äußerungen nicht eine Willensbeeinflussung durch einen Elternteil zugrunde liegt)
  • Ist einem Elternteil und ggf. welchem, unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes, nämlich der Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung der Vorrang zu geben?

Darauf hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen OLG mit Beschluss vom 19.07.2016 – 10 UF 8/16 – hingewiesen.