Tag Pflegeheim

Was privatversicherte Pflegebedürftige, die einen Pflegeheimvertrag abgeschlossen haben oder abschließen wollen, wissen sollten

Mit Urteil vom 15.07.2021 – III ZR 225/20 – hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass Vereinbarungen einer 

  • Platz-/Reservierungsgebühr für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug eines Pflegebedürftigen in das Pflegeheim 

auch gegenüber Privatversicherten unzulässig sind und dass Platz-/Reservierungsgebühren, 

  • die einem privatversicherten Pflegebedürftigen für die Zeit vor dem tatsächlichen Einzug in das Pflegeheim berechnet wurden, 

nach Bereicherungsrecht

  • – auch rückwirkend –

 zurückverlangt werden können.

Die Verjährungsfrist für solche Rückforderungsansprüche beträgt drei Jahre.

Begründet hat der Senat dies damit, dass der Anwendungsbereich von § 15 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung von Verträgen über Wohnraum mit Pflege- und Betreuungsleistungen (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz – WBVG), der vorsieht,

  • dass in Verträgen mit Verbrauchern, die Leistungen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen, die Vereinbarungen den Regelungen des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozialgesetzbuch sowie den aufgrund des Siebten und Achten Kapitels des Elften Buches Sozialgesetzbuch getroffenen Regelungen entsprechen müssen und 
  • dass Vereinbarungen, die diesen Regelungen nicht entsprechen, unwirksam sind,

nicht nur Verbraucher, 

  • die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung im Sinne des § 28 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) unmittelbar beziehen, 

sondern auch Verbraucher umfasst, 

  • die Leistungen einer privaten Pflegepflichtversicherung erhalten und 
  • damit mittelbar Leistungen auf der Basis des Vierten Kapitels des SGB XI in Anspruch nehmen 

und die Vereinbarung einer Platz-/Reservierungsgebühr mit § 15 Abs. 1 Satz 1 WBVG in Verbindung mit § 87a Abs. 1 Satz 1 SGB XI, 

  • wonach die Pflegesätze, die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung sowie die gesondert berechenbaren Investitionskosten (Gesamtheimentgelt) für den Tag der Aufnahme des Pflegebedürftigen in das Pflegeheim sowie für jeden weiteren Tag des Heimaufenthalts berechnet werden (Berechnungstag) 

unvereinbar und daher gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 WBVG, § 87a Abs. 1 Satz 4 SGB XI unwirksam ist (Quelle: Pressemitteilung des BGH).

Behinderte Pflegeheimbewohner sollten wissen, dass sie nicht gegen ihren Willen in eine Einrichtung für Menschen

…. mit Behinderung wechseln müssen.

Darauf hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Eilverfahren mit Beschluss vom 03.05.2021 – L 8 SO 47/21 B ER – hingewiesen und in einem Fall, in dem von dem Sozialamt, das bisher, die 

  • nicht durch sein Einkommen gedeckten 

Heimkosten

  • für einen in einem Pflegeheim lebenden 52-jährigen schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mann 

übernommen, die Unterstützung dann aber eingestellt und dem, 

  • sich in der bisherigen Einrichtung gut versorgt fühlendem und einen Heimwechsel ablehnenden, 

Mann, mitgeteilt hatte, dass 

  • bei seinen Einschränkungen eine Betreuung in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung geeigneter sei und 
  • er einen Antrag bei der für Eingliederungshilfe zuständigen Stelle stellen solle,        

entschieden, dass das Sozialamt vorläufig zur 

  • weiteren Übernahme der Heimkosten 

verpflichtet ist.

Dass behinderte und pflegebedürftige Personen,

  • deren Pflegebedarf in dem von ihnen derzeit bewohnten Heim gedeckt wird,

weiterhin Anspruch auf 

  • Übernahme der ungedeckten Heimkosten 

haben und das Sozialamt nicht 

  • durch die Verweigerung der bisherigen Unterstützung 

Druck auf sie ausüben darf, hat das LSG damit begründet, dass

  • für das Recht auf Eingliederungshilfe die Wahrung von Menschenwürde und Selbstbestimmung von wesentlicher Bedeutung ist, 
  • die freie Entscheidung behinderter Menschen gegen die Inanspruchnahme von Leistungen der Eingliederungshilfe geachtet sowie respektiert werden muss und demzufolge  

Autonomie, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung behinderter Menschen vorrangig vor vermeintlich besseren Hilfsangeboten sind (Quelle: Pressemitteilung des LSG Niedersachsen-Bremen).

BGH erläutert, wovon es abhängt, ob der Betreiber eines Pflegeheims bei einem Unfall oder einem selbstschädigenden Verhalten

…. eines Heimbewohners

  • wegen Verletzung der Schutzpflichten 

auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden kann.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 14.01.2021 – III ZR 168/19 – darauf hingewiesen, dass 

  • Betreiber von Pflegeheimen 

die Pflicht haben, die ihnen anvertrauten Bewohner, unter Wahrung 

  • der Würde und 
  • des Selbstbestimmungsrechts 

vor Gefahren zu schützen, 

  • die sie nicht beherrschen, 

dass für den konkreten Inhalt dieser Verpflichtung der Heimbetreiber, 

  • einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines körperlich oder geistig beeinträchtigten Heimbewohners zu achten und 
  • andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, 

maßgebend in dem jeweiligen Einzelfall ist, ob bei Abwägung sämtlicher Umstände, wegen der 

  • körperlichen und 
  • geistigen

Verfassung des pflegebedürftigen Bewohners ernsthaft damit gerechnet werden muss, 

  • bzw. nachdem ein Bewohner zu Schaden gekommen ist, ob aus ex-ante-Sicht damit gerechnet werden musste,

dass der Bewohner sich 

  • ohne Sicherungsmaßnahmen 

selbst schädigen könnte, dabei allerdings auch bereits eine Gefahr, 

  • deren Verwirklichung nicht sehr wahrscheinlich ist, 
  • aber zu besonders schweren Folgen führen kann, 

Sicherungspflichten des Heimträgers auslösen kann. 

Das bedeutet, wird beispielsweise ein 

  • an schwerer Demenz erkrankter 

Pflegeheimbewohner, bei dem 

  • erkennbar 

Selbstschädigungsgefahr besteht, in einem im Obergeschoss gelegenen Wohnraum mit 

  • leicht zugänglichen und 
  • einfach zu öffnenden 

Fenstern untergebracht, muss ein Verlassen des Zimmers 

  • auch über das Fenster  

in Betracht gezogen werden und begründet diese (mögliche) Gefahr,

  • allein schon deshalb, weil eine Verwirklichung zu besonders schweren Folgen für den Bewohner führen kann, 
    • nämlich einen Absturz mit erheblichen Verletzungen oder tödlichem Ausgang,

die Verpflichtung des Heimbetreibers hiergegen geeignete Vorkehrungen zu treffen (Quelle: Pressemitteilung des BGH).

Angehörige und Betreuer von in einem Pflegeheim untergebrachten dementen Patienten sollten wissen, dass

…. und warum Bettgitter und Fixierungen auch zu Verletzungsgefahren führen können.

Mit Urteil vom 27.10.2020 – 3 O 5/19 – hat das Landgericht (LG) Köln in einem Fall, in dem eine 94-jährige 

  • an fortgeschrittener Demenz leidende, in den Pflegegrad V eingestufte 

Frau in einer Kurzzeitpflegeinrichtung nachts zweimal 

  • aus ihrem Bett aufgestanden und jeweils 

gestürzt war,

  • bei ihrem ersten Sturz eine Platzwunde, 
  • bei dem zweiten Sturz neben einer Oberschenkelhalsfraktur eine Gehirnblutung erlitten hatte, 
  • operiert werden musste und 
  • danach in deutlich höherem Umfang als vorher pflegebedürftig sowie schließlich verstorben war,

entschieden, dass der Träger der Einrichtung der Tochter, von der Klage erhoben und behauptet worden war, dass 

  • der Tod ihrer Mutter auf ihren zweiten Sturz zurückzuführen gewesen,  
  • die bei ihrer Mutter bestehende Sturzgefahr verkannt oder aber nicht richtig darauf reagiert worden sei und 
  • Bettgitter hätten angebracht, das Bett tiefer eingestellt, ihre Mutter im Bett fixiert, aber auf jeden Fall engmaschiger hätte beobachtet werden müssen,

kein Schmerzensgeld zahlen muss.

Grund für die Klageabweisung war, dass das LG, das hierzu einen Pflegesachverständigen angehört hatte, 

  • einen Pflegefehler bzw. ein Pflegeversäumnis nicht hatte feststellen können, 

vielmehr 

  • die Pflegekräfte in der Einrichtung alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hatten und 
  • das Anbringen von Bettgittern oder eine Fixierung bei der 94-Jährigen sogar kontraindiziert gewesen wäre.

Denn die Sturzgefahr, so das LG, hätte 

  • sowohl durch eine Fixierung, 
  • als auch durch Bettgitter 

noch erhöht werden können,

  • durch eine Fixierung, bei der es übrigens auch zu Strangulationen kommen kann, deshalb, weil die dadurch erzwungene Unbeweglichkeit zu einem Muskelabbau und dieser wiederum zu einer fortschreitenden motorischen Verunsicherung führt

und 

  • durch Bettgitter deswegen, weil demente Patienten, denen die Einsicht in die Sinnhaftigkeit der Maßnahme fehle, den Seitenschutz zu überklettern versuchen und dann die Gefahr von Stürzen sogar aus größerer Höhe besteht (Quelle: Pressemitteilung des LG Köln).

Hinweis:
Zum Umfang der von einem Pflegeheim zu treffenden Sicherungsmaßnahmen gegenüber demenzkranken Bewohnern vgl. aber auch Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 21/18 –).

OLG Oldenburg entscheidet, wann ein Pflegeheim einen Heimvertrag wegen Verhaltens des Bewohners kündigen kann

…. und wann nicht.

Mit Urteil vom 28.05.2020 – 1 U 156/19 – hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg in einem Fall, in dem der Träger eines Pflegeheims den mit einer Seniorin, 

  • die 2015 in die Demenzabteilung des Heimes gezogen war,

geschlossenen Pflegeheimvertrag, 

  • nachdem die Seniorin sich seit einem Krankenhausaufenthalt und der medikamentösen Neueinstellung dort viel unruhiger als zuvor zeigte,

mit der Begründung gekündigt hatte, dass

  • die Seniorin ständig umherlaufe, in die Zimmer anderer Bewohner gehe, dort Türen und Fenster öffne und bei der Intimpflege zuschaue, dadurch den Heimfrieden erheblich störe und 
  • sie eine Gefahr für sich und andere darstelle, weil sie aggressiv sei, die Pflegekräfte boxe, ihnen und anderen Bewohnern das Bein stelle sowie sie mit dem Rollator anfahre und sie außerdem nicht mehr richtig esse und trinke,

die Räumungsklage des Heimträgers gegen die Seniorin,

  • wegen Unwirksamkeit der Kündigung,

abgewiesen.

Danach war, wie der Senat ausgeführt hat,

  • da ein Heimvertrag von Seiten des Heimes nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann (vgl. § 12 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG)), wenn dem Heim ein Festhalten am Vertrag nicht zumutbar ist,

abzuwägen,

  • die Interessen des alten Menschen, einen Umzug und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden und 
  • die Interessen des Heimes, sich von dem Vertrag zu lösen 

und habe diese Abwägung, unter Berücksichtigung, dass 

  • dem Heim die Demenzerkrankung der alten Dame bereits bei deren Einzug bekannt gewesen sei,
  • gewisse Verhaltensauffälligkeiten daher hinzunehmen seien, 
  • es vorliegend zu Sach- oder gar Körperschäden nicht gekommen und
  • auch Maßnahmen, die Seniorin von dem geschilderten Verhalten abzuhalten, von dem Heim noch nicht ergriffen worden waren,

ergeben, dass sich das behauptete Verhalten der alten Dame 

  • in einem Rahmen bewege, 

der von dem Betreiber eines Pflegeheims 

  • von Bewohnern einer Demenzabteilung 

noch hingenommen werden müsse (Quelle: Pressemitteilung des OLG Oldenburg). 

Übrigens:
Hingewiesen wird auch auf unsere Blogs, 

Landgericht Frankenthal entscheidet: Betrunkener Fahrer muss Unfallopfer 400.000 Euro Schmerzensgeld zahlen

Mit Urteil vom 10.01.2020 – 4 O 494/15 – hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Frankenthal in einem Fall, in dem ein Autofahrer

  • nach vorausgegangenem Alkoholgenuss mit 1,1‰ Promille im Blut unterwegs, aufgrund dessen

mit seinem Fahrzeug von der Straße abgekommen war und die bei dem Unfall erlittenen Verletzungen seines Beifahrers so schwer waren, dass sie zu einer Querschnittslähmung führten,

  • dem Beifahrer ein Schmerzensgeld von 400.000 Euro zugesprochen.

Die Kammer erachte diesen Schmerzensgeldbetrag angesichts

  • der außergewöhnlich schweren Unfallfolgen,
  • des Umstandes, dass der verletzte Beifahrer inzwischen auch psychisch erheblich unter den Unfallfolgen leidet,
  • er in einem Pflegeheim leben muss,
  • ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er die Alkoholisierung des Fahrers bei Antritt der Fahrt erkannt hatte und
  • er zum Zeitpunkt des Unfalls angeschnallt war

für angemessen (Quelle: Pressemitteilung des LG Frankenthal).

OLG Karlsruhe entscheidet wann Träger eines Pflegeheim beim Sturz eines (demenzkranken) Bewohners

…. wegen Verletzung der Überwachungs- bzw. Aufsichtspflicht haften und wann nicht.

Mit Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 21/18 – hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe in einem Fall, in dem eine 83jährige an Demenz erkrankten Bewohnerin eines Pflegeheims,

  • bei der bisher keine Anhaltspunkte für ein Sturzrisiko ersichtlich waren,

bei dem Versuch,

  • bei einem Toilettengang

ohne Hilfe aufzustehen, gestürzt war

  • und dabei eine Oberschenkelhalsfraktur erlitten hatte,

entschieden, dass der Träger des Pflegeheims für die Sturzfolgen nicht haftet.

Begründet hat der Senat dies damit, dass den Pflegekräften des Heims keine Verletzung der Sorgfaltsplichten vorgeworfen werden könne.

Zwar seien, so der Senat, Pflegeheime verpflichtet Bewohner nach Möglichkeit vor Stürzen zu bewahren, jedoch richte sich der Umfang der zu treffenden Sicherungsmaßnahmen danach,

  • ob und inwieweit sich ein Sturzrisiko absehen lasse

und sei insbesondere vor einer lückenloser Überwachung während des Toilettengangs stets abzuwägen,

  • ob diese Beeinträchtigung der Intimsphäre zum Schutz des Bewohners vor einem Sturz auch tatsächlich notwendig ist,

so dass, solange Anhaltspunkte für eine Sturzgefahr bei einem Bewohner

  • weder bei der allgemeinen Fortbewegung im Heim,
  • noch während des Toilettengangs

ersichtlich sind, eine lückenlose Beaufsichtigung auch von Demenzkranken nicht gewährleistet werden muss (Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe).

Was man wissen sollte, wenn man bei Einzug eines Angehörigen in ein Pflegeheim eine Kostenübernahmeerklärung unterschreibt

Wer beim Einzug eines Angehörigen in ein Pflegeheim eine Kosten(mit)übernahmeerklärung unterschreibt

  • haftet aus diesem Schuldbeitritt dem Heimträger gegenüber für die Heimkosten und
  • zwar nach dem Tod des Angehörigen für rückständige Heimkosten auch dann, wenn das Erbe nach dem Tod des Angehörigen ausgeschlagen worden ist.

Gültig ist eine solche Schuldbeitrittserklärung auch dann, wenn sie unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG),

  • nach der ein Pflegeheim vom Heimbewohner Sicherheiten für die Erfüllung seiner Pflichten aus dem Heimvertrag nur dann verlangen kann, wenn dies im Heimvertrag konkret vereinbart ist,

separat vom Heimvertrag abgeschlossen worden ist.
Denn das WBVG soll nur den Heimbewohner schützen, nicht aber dessen Angehörige.

Darauf hat der 4. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 21.12.2016 – 4 U 36/16 – hingewiesen (Quelle: Presseinformation des OLG Oldenburg vom 18.01.2017 – Nr. 4/2017 –).