Tag Verletzung

Wann hat man wegen Beleidigung (auch) Anspruch auf eine Geldentschädigung und wann nicht?

Wer von einem anderen beleidigt wird, hat gegen diesen einen Anspruch auf eine Geldentschädigung gemäß § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 1 und 2 Grundgesetz (GG) wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dann, wenn

  • es sich um einen schwerwiegenden Eingriff gehandelt hat und
  • die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14 – und vom 21.04.2015 – VI ZR 245/14 –).

Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
Hierbei sind insbesondere zu berücksichtigen,

  • die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs,
  • Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie
  • der Grad seines Verschuldens (vgl. BGH, Urteile vom 09.07.1985 – VI ZR 214/83 –; vom 24.11.2009 – VI ZR 219/08 –; vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12 –; vom 21.04.2015 – VI ZR 245/14 – und vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14 –).

Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist auch ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen, also wenn beispielsweise der Beleidiger auf eine entsprechende Klage des Beleidigten hin, verurteilt worden ist,

  • die Beleidigung zu unterlassen und
  • dem Beleidiger im Falle der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld angedroht worden ist.

Ein solcher Titel und die mit ihm verbundenen Vollstreckungsmöglichkeiten können den Geldentschädigungsanspruch

  • beeinflussen und
  • im Zweifel sogar ausschließen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.1971 – VI ZR 26/70 –; Beschluss vom 30.06.2009 – VI ZR 340/08 – und Urteil vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14 –).

Denn die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung findet ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken, dass

  • ohne einen solchen Anspruch
  • Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (vgl. BGH, Urteile vom 09.07.1985 – VI ZR 214/83 –; vom 15.11.1994 – VI ZR 56/94 –; vom 05.10.2004 – VI ZR 255/03 –; vom 06.12.2005 – VI ZR 265/04 –; vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12 – und vom 15.09.2015 – VI ZR 175/14 –).

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 24.05.2016 – VI ZR 496/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem der Kläger, von dem Beklagten, seinem ehemaligen Vermieter, insbesondere in Kurzmitteilungen (SMS) an zwei Tagen unter anderem als „Lusche allerersten Grades“, „arrogante rotzige große asoziale Fresse“, „Schweinebacke“, „feiges Schwein“, „feige Sau“, „feiger Pisser“, „asozialer Abschaum“ sowie „kleiner Bastard“ bezeichnet worden war und
  • er im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen den Beklagten ein Urteil erwirkt hatte, wonach der Beklagte es unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu unterlassen hatte, den Kläger zu beleidigen und zu ihm in irgendeiner Form – auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – unmittelbaren Kontakt aufzunehmen,

die Klage auf Zahlung einer Geldentschädigung mit der Begründung abgewiesen, dass nach den obigen Grundsätzen die Zahlung einer Geldentschädigung nicht erforderlich ist, weil

  • es sich bei den beanstandeten Äußerungen zwar um grobe Beleidigungen handelt, allerdings im persönlichen Umfeld ohne Breitenwirkung in der Öffentlichkeit,
  • die mit den Beleidigungen verbundenen Beeinträchtigungen befriedigend durch den vom Kläger im einstweiligen Verfügungsverfahren erwirkten strafbewehrten Unterlassungstitel und das Ordnungsmittelverfahren aufgefangen werden können und
  • des Weiteren der Kläger, von dem auch Strafanzeige gegen den Beklagten erstattet und der von der Staatsanwaltschaft auf den Privatklageweg verwiesen worden war, Gelegenheit hatte wegen der Beleidigungen den Privatklageweg zu beschreiten und sich auch dadurch Genugtuung zu verschaffen.

Haftet Wartepflichtiger, der einem schneller als erlaubt Fahrenden die Vorfahrt nimmt, bei Unfall mit?

Kommt es zu einem Unfall, weil

  • der auf der bevorrechtigten Straße fahrende Fahrzeugführer vor dem Zusammenstoß die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten und
  • ein anderer, von einer untergeordneten Straße kommender und wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer die Geschwindigkeit des Vorfahrtsberechtigten falsch eingeschätzt und geglaubt hat, es noch vor diesem über die Straße zu schaffen,

kann die Geschwindigkeitsüberschreitung des Vorfahrtsberechtigten in der Regel nicht dessen alleinige Haftung rechtfertigen.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 23.02.2016 – 9 U 43/15 – hingewiesen und in einem Fall, in dem

  • ein vorfahrsberechtigter, statt zulässiger 50 km/h, 121 km/h schnell fahrender Motorradfahrer mit einem ca. 250 m vor ihm aus einer rechtsseitig gelegenen, untergeordneten Autobahnabfahrt nach links abbiegenden Pkw-Fahrer zusammengestoßen war,

auf eine Haftungsverteilung von 30 % zu 70 % zu Lasten des vorfahrtsberechtigten Motoradfahrers erkannt.

Dass der Motorradfahrer wegen seines überwiegenden Verschuldens nicht allein haftet, sondern in diesem Fall eine 30 %ige Haftung des Pkw-Fahrers für das Unfallgeschehen gerechtfertigt ist, hat der Senat damit begründet, dass

  • zwar auf Seiten des Motorradfahrers die unfallursächliche, massive Tempoüberschreitung zu berücksichtigen sei,
  • aber auch auf Seiten des Pkw-Fahrers ein schuldhaftes Verhalten deshalb vorliege, weil
    • das herannahende Motorrad für den Pkw-Fahrer bei Beginn des Abbiegevorgangs zu sehen gewesen sei und
    • er bei ausreichender Beobachtung die erhebliche Geschwindigkeit des Motorrads hätte erkennen können sowie demzufolge zuwarten müssen.

Abgesehen davon hätte der Pkw-Fahrer auch keinesfalls, wie in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall geschehen,

  • langsam und mit nur geringer Beschleunigung abbiegen dürfen,
  • sondern – wenn überhaupt – zügig anfahren müssen.

In beiden dieser Fälle,

  • beim Zuwarten und
  • laut Angaben des vom Senat befragten Sachverständigen, auch beim zügigen Abbiegen,

wäre der Zusammenstoß vermieden worden (Quelle: Pressemitteilung des OLG Hamm vom 24.06.2016).

Was Juweliere und alle, die Schmuck einem Juwelier zur Reparatur überlassen, wissen sollten

Ein Juwelier, der Kundenschmuck zur Anbahnung eines Werk- oder Kaufvertrages, beispielsweise zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes, entgegennimmt,

  • kann nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung verpflichtet sein,
  • über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub aufzuklären, wenn
    • eine solche Versicherung branchenüblich ist oder
    • es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.

Unterlässt ein Juwelier die in einem solchen Fall gebotene Aufklärung, begeht er eine Pflichtverletzung.

Das hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.06.2016 – VII ZR 107/15 – entschieden.

Wie der Senat ausgeführt hat, besteht für den Betreiber eines Juweliergeschäftes zwar eine generelle Versicherungspflicht

  • weder für Kundenschmuck, der zur Durchführung eines Werkvertrages (§ 631 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)),
  • noch für solchen, der zur Abgabe eines Ankaufs- oder Reparaturangebotes (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) entgegengenommen wird.

Allerdings besteht, auch wenn grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich ist und sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen muss,

  • bei Vertragsverhandlungen eine Rechtspflicht zur Aufklärung auch ohne Nachfrage dann,
  • wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für seine Willensbildung offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (BGH, Urteile vom 02.03.1979 – V ZR 157/77 –; vom 16.01.1991 – VIII ZR 335/89 –; vom 12.07.2001 – IX ZR 360/00 – und vom 11.08.2010 – XII ZR 192/08 –).

Eine solche Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (BGH, Urteil vom 11.08.2010 – XII ZR 192/08 –).

  • Unter Berücksichtigung dieser vorstehenden Grundsätze kann ein Juwelier verpflichtet sein, einen Kunden auf den fehlenden Versicherungsschutz dann hinzuweisen, wenn es sich um Schmuckstücke von außergewöhnlich hohem Wert handelt.
  • Ferner kann der Kunde gegebenenfalls nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dann eine Aufklärung über das Fehlen einer Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch Diebstahl und Raub erwarten, wenn diese Versicherung branchenüblich ist.

Branchenüblichkeit liegt vor, wenn sich

  • innerhalb einer Gruppe von Unternehmen, die ähnliche Leistungen auf dem Markt anbieten,
  • eine Gepflogenheit oder ein Brauch innerhalb einer bestimmten Tätigkeit entwickelt hat, der nicht nur vorübergehend besteht, sondern eine gewisse Kontinuität erkennen lässt.

Auch die eigene in Anspruch genommene Vollkaskoversicherung muss nicht immer zahlen

Will ein Versicherter nach einem Verkehrsunfall die eigene Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen, muss diese nicht zahlen, wenn der Versicherte

  • bei seiner Schadensanzeige objektiv unrichtige Angaben zum Unfallgeschehen gemacht und
  • hierdurch arglistig seine vertraglich vereinbarte Aufklärungsobliegenheit verletzt hat.

Den Versicherungsnehmer treffen im Verhältnis zum Versicherer nämlich verschiedene vertraglich vereinbarte Pflichten, sog. Obliegenheiten.

  • Schon die grob fahrlässige Verletzung dieser Pflichten kann zur Kürzung der Versicherungsleistung führen und
  • im Fall einer vorsätzlichen Verletzung der vertraglichen Pflichten ist der Versicherer vollständig von seiner Leistungsfreiheit befreit.

Darauf hat das Landgericht (LG) Coburg mit Urteil vom 18.11.205 – 12 O 578/14 – hingewiesen und die Klage eines Klägers, der nach einem Verkehrsunfall gegen den Vollkaskoversicherer seines Pkws Ansprüche im fünfstelligen Bereich geltend gemacht hatte, abgewiesen, weil der Kläger

  • um eine für sich günstige Regulierungsentscheidung herbeizuführen
  • in der Schadensmeldung die Frage der beklagten Versicherung nach der Schuld an dem Verkehrsunfall objektiv falsch beantwortet und obwohl an dem Unfall ein Fußgänger überhaupt nicht beteiligt, sondern er aus ungeklärter Ursache von der Mittelspur auf die rechte Fahrspur gewechselt war, angegeben hatte, ein Fußgänger sei in hohem Tempo über die Straße gelaufen und er habe zur Vermeidung einer Kollision sein Fahrzeug reflexartig nach rechts gezogen (Quelle: Pressemitteilung des LG Coburg vom 27.05.2016 – Nr. 14/2016 –).