Tag Patienten

Für Cannabis auf Kassenrezept bestehen derzeit weiterhin noch hohe Hürden

Der Erste Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat 

  • am 10.11.2022 – B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R – 

in vier Fällen, in denen von der Krankenkasse der Antrag von

  • unter Epilepsie, ADHS, chronischen Schmerzen oder psychischen Erkrankungen leidenden 

Patienten auf

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Angehörige und Betreuer von in einem Pflegeheim untergebrachten dementen Patienten sollten wissen, dass

…. und warum Bettgitter und Fixierungen auch zu Verletzungsgefahren führen können.

Mit Urteil vom 27.10.2020 – 3 O 5/19 – hat das Landgericht (LG) Köln in einem Fall, in dem eine 94-jährige 

  • an fortgeschrittener Demenz leidende, in den Pflegegrad V eingestufte 

Frau in einer Kurzzeitpflegeinrichtung nachts zweimal 

  • aus ihrem Bett aufgestanden und jeweils 

gestürzt war,

  • bei ihrem ersten Sturz eine Platzwunde, 
  • bei dem zweiten Sturz neben einer Oberschenkelhalsfraktur eine Gehirnblutung erlitten hatte, 
  • operiert werden musste und 
  • danach in deutlich höherem Umfang als vorher pflegebedürftig sowie schließlich verstorben war,

entschieden, dass der Träger der Einrichtung der Tochter, von der Klage erhoben und behauptet worden war, dass 

  • der Tod ihrer Mutter auf ihren zweiten Sturz zurückzuführen gewesen,  
  • die bei ihrer Mutter bestehende Sturzgefahr verkannt oder aber nicht richtig darauf reagiert worden sei und 
  • Bettgitter hätten angebracht, das Bett tiefer eingestellt, ihre Mutter im Bett fixiert, aber auf jeden Fall engmaschiger hätte beobachtet werden müssen,

kein Schmerzensgeld zahlen muss.

Grund für die Klageabweisung war, dass das LG, das hierzu einen Pflegesachverständigen angehört hatte, 

  • einen Pflegefehler bzw. ein Pflegeversäumnis nicht hatte feststellen können, 

vielmehr 

  • die Pflegekräfte in der Einrichtung alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hatten und 
  • das Anbringen von Bettgittern oder eine Fixierung bei der 94-Jährigen sogar kontraindiziert gewesen wäre.

Denn die Sturzgefahr, so das LG, hätte 

  • sowohl durch eine Fixierung, 
  • als auch durch Bettgitter 

noch erhöht werden können,

  • durch eine Fixierung, bei der es übrigens auch zu Strangulationen kommen kann, deshalb, weil die dadurch erzwungene Unbeweglichkeit zu einem Muskelabbau und dieser wiederum zu einer fortschreitenden motorischen Verunsicherung führt

und 

  • durch Bettgitter deswegen, weil demente Patienten, denen die Einsicht in die Sinnhaftigkeit der Maßnahme fehle, den Seitenschutz zu überklettern versuchen und dann die Gefahr von Stürzen sogar aus größerer Höhe besteht (Quelle: Pressemitteilung des LG Köln).

Hinweis:
Zum Umfang der von einem Pflegeheim zu treffenden Sicherungsmaßnahmen gegenüber demenzkranken Bewohnern vgl. aber auch Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 21/18 –).

Was Patienten und Ärzte über die Zulässigkeit der Anwendung eines nicht allgemein anerkannten Behandlungskonzepts, also

…. einer Außenseitermethode und den Umfang der hierfür erforderlichen Aufklärung wissen sollten.

Wird bei einem Patienten eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode angewandt,

  • also beispielsweise nach einem Bandscheibenvorfall bei der durchgeführten Operation in die Fusion des von dem Bandscheibenvorfall betroffenen Segmentes auch ein symptomloses Nachbarsegment – wegen dort vorhandener Zeichen einer beginnenden Degeneration und der Vermeidung von Symptomen an diesem Segment – einbezogen,

stellt die Anwendung eines solchen nicht allgemein anerkannten, den Korridor des medizinischen Standards verlassenden und nur von einer Mindermeinung vertretenen Behandlungskonzepts, nicht schon ohne weiteres einen Behandlungsfehler dar.

  • Denn die Therapiewahl ist primär Sache des Arztes und der Arzt ist bei der Wahl der Therapie insbesondere nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt.

Allerdings dürfen Ärzte eine nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode nur dann anwenden, wenn eine verantwortliche medizinische Abwägung, unter Vergleich

  • der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile
  • mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten

die Anwendung dieser Methode rechtfertigt.

Höhere Belastungen oder Risiken für den Patienten müssen dabei

  • in den Besonderheiten des konkreten Falles oder
  • in einer günstigeren Heilungsprognose

eine sachliche Rechtfertigung finden.

Wenn danach

  • die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode sachlich nicht gerechtfertigt war und
  • der Arzt nicht zur Einschätzung ihrer Zulässigkeit kommen durfte,

liegt ein Behandlungsfehler vor,

  • der den Arzt aus §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet.

Außerdem erfordert die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Methode

  • zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten

dessen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methode.

Dem Patienten müssen

  • nicht nur die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffs erläutert werden,

sondern er ist

  • auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff nicht medizinischer Standard ist.

Der Patient muss wissen,

  • auf was er sich einlässt,

um abwägen zu können,

  • ob er die Risiken einer (eventuell nur relativ indizierten) Behandlung im Hinblick auf deren Erfolgsaussichten und auf seine Befindlichkeit vor dem Eingriff eingehen will.

Ist der Arzt seiner diesbezüglichen Aufklärungspflicht in dem erforderlichen Umfang nicht nachgekommen, kann er wegen unzureichender Aufklärung schadensersatzpflichtig sein (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 15.10.2019 – VI ZR 105/18 –).

An einer Fettstoffwechselstörung leidende Patienten sollten wissen, dass die Krankenkasse zur Übernahme der Kosten für eine Blutwäsche

…. verpflichtet sein kann, wenn sonst nichts mehr wirkt und schwere Gesundheitsgefahren drohen.

Darauf hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen mit Beschluss vom 06.05.2019 – L 16 KR 121/19 B E – hingewiesen und im Eilverfahren in einem Fall, in dem die behandelnde Ärztin nach mehreren Schlaganfällen eines 61-jährigen Patienten,

  • weil Diäten und Cholesterinsenker bei diesem nicht den gewünschten Erfolg brachten und
  • ihm eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands drohte,

eine sog. Lipidapherese für erforderlich erachtet

  • und die zuständige Apherese-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung eine positive Empfehlung für die Behandlung abgegeben

hatte, die Krankenkasse des Patienten vorläufig zur Übernahme der Kosten für diese Behandlung verpflichtet.

Danach ist bei ansonsten dem Patienten

  • drohenden schweren Gesundheitsgefahren

im Eilverfahren

  • dem fachkundigen Votum der Kommission und
  • der Ansicht seiner behandelnden Ärzte

der Vorrang auch dann zu geben, wenn

Was Patienten wissen sollten, wenn bei der Aufklärung über Operationsrisiken die Formulierung

…. „vereinzelt“ verwendet wird.

Wird vor einer Operation bei der Aufklärung eines Patienten über bestehende (post)operative Risiken von dem Arzt oder in dem dem Patienten übergebenen Aufklärungsbogen darauf hingewiesen,

  • dass „vereinzelt“ bestimmte Zwischenfälle auftreten können,
  • die weitere Behandlungsmaßnahmen erfordern,

bedeutet dies,

  • dass derartige Zwischenfälle in etwa in jedem fünften Fall eintreten können.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main mit Urteil vom 26.03.2019 – 8 U 219/16 – entschieden.

Die Formulierung „vereinzelt“

  • bezeichnet danach „eine gewisse Häufigkeit, die zumindest kleiner als „häufig“ ist“ und
  • kann verwendet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit für eine (post)operative Komplikation bei einem Wert bis zu 20% liegt (Quelle: Pressemitteilung des OLG Frankfurt vom 08.04.2019).

Zur Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der ärztlichen Aufklärung und wie beispielsweise die verbale Risikobeschreibung „gelegentlich“ zu verstehen ist, vergleiche das Urteil des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29.01.2019 – VI ZR 117/18 –).

Hinweis:
Nach der Rechtsprechung stellt es keinen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht dar, wenn Ärzte keine Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitteilen. Geschieht dies im Aufklärungsgespräch nicht, sollten Patienten deshalb ausdrücklich danach fragen.

BGH entscheidet: Ärzte, die das Leben und Leiden eines Patienten gegen dessen Willen künstlich verlängert haben, können

…. von den Erben des Patienten nicht auf Schadensersatz und/oder Schmerzensgeld in Anspruch genommen werden.

Selbst falls in einem solchen Fall die Weiterbehandlung medizinisch sinnlos war und dem Arzt somit eine Pflichtverletzung vorgeworfen werden kann, besteht,

  • wie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 02.04.2019 – VI ZR 13/18 – entschieden hat,

ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes deswegen nicht, weil, wenn ein

  • beispielsweise durch künstliche Ernährung

ermöglichter Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber steht,

  • wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod,

die Verfassungsordnung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG))

  • auch dann, wenn der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag,
  • mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben gehabt hätte,

es aller staatlichen Gewalt, einschließlich der Rechtsprechung, verbietet, in dem (Weiter)Leben

  • als höchstrangigem und absolut erhaltungswürdigem Rechtsgut

einen immateriellen Schaden zu sehen.

Nicht erstattungsfähig sollen nach der Entscheidung aber auch die

  • durch das Weiterleben bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen

sein, da es, so der Senat, Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen

  • weder sei, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern,
  • noch diese Pflichten dazu dienten, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten (Quelle: Pressemitteilung des BGH vom 02.04.2019).

Hinweis:
Auch wenn Ärzte in Fällen wie dem obigen

  • zivilrechtlich nicht haften

können Sie sich

  • wegen Körperverletzung strafbar machen,

wenn sie bewusst eine bindende Patientenverfügung (vgl. § 1901a Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) missachten, in der ein Patient festgelegt hat, welche ärztlichen Maßnahmen in bestimmten Lebens- und Behandlungssituationen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollen.

Patienten sollten wissen, dass, wenn sich voll beherrschbare allgemeine Behandlungsrisiken verwirklichen und zur

…. Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten führen,

  • nach § 630h Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGH) ein Behandlungsfehler vermutet wird und
  • somit Ansprüche auf Schadensersatz sowie Schmerzensgeld bestehen können.

Voll beherrschbare Risiken i.S.v. § 630h Abs. 1 BGB,

  • die abzugrenzen sind von den Gefahren, die aus den Unwägbarkeiten des menschlichen Organismus bzw. den Besonderheiten des Eingriffs in diesen Organismus erwachsen und deshalb der Patientensphäre zuzurechnen sind,

sind dabei dadurch gekennzeichnet, dass sie

  • durch den Klinik- oder Praxisbetrieb gesetzt und
  • durch dessen ordnungsgemäße Gestaltung – wie sachgerechte Organisation und Koordinierung des Behandlungsgeschehens – objektiv voll ausgeschlossen werden können und müssen.

Zuzurechnen sind dem voll beherrschbaren Risiko beispielsweise,

  • der ordnungsgemäße Zustand eines verwendeten Tubus,
  • die Funktionstüchtigkeit des eingesetzten Narkosegeräts,
  • die Reinheit des benutzten Desinfektionsmittels oder
  • die Sterilität der verabreichten Infusionsflüssigkeit,
  • die unbemerkt gebliebene Entkoppelung eines Infusionssystems,
  • das Zurückbleiben eines Tupfers im Operationsgebiet,
  • die vermeidbare Keimübertragung durch an der Behandlung beteiligte Personen und
  • grundsätzlich auch die richtige Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch.

In diesen und in anderen Fällen, in denen objektiv eine Gefahr besteht bzw. bestand,

  • deren Quelle jeweils festgestellt und
  • die deshalb mit Sicherheit hätte ausgeschlossen werden können,

können Patienten,

  • wenn darauf eine Verletzung ihres Lebens, ihres Körpers oder ihrer Gesundheit zurückzuführen ist,

für sich die Beweiserleichterung des § 630h Abs. 1 BGB in Anspruch nehmen und tragen sie somit nicht die Beweislast (Bundesgerichtshofs (BGH), Urteil vom 28.08.2018 – VI ZR 509/17 –).

Hüftprothesenhersteller muss Patienten wegen aufgrund Konstruktionsfehler notwendig gewordenem Wechsel der implantierten Prothese

…. 25.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Mit Urteil vom 15.10.2018 hat das Landgericht (LG) Freiburg (Breisgau) in zwei Fällen, in denen ein Hüftprothesenwechsel bei Patienten notwendig geworden war, weil

  • die ihnen ursprünglich implantierten, damals neuartigen Prothesen einen Konstruktionsfehler aufwiesen, aufgrund dessen es
    • zu erhöhtem Metallabrieb, insbesondere im Bereich der Konussteckverbindung und
    • wegen der Freisetzung von Metallpartikeln und Metallionen im Körper der Patienten zu Entzündungen und Knochenverlust gekommen war,

den Hersteller der konstruktionsfehlerhaften Hüftprothesen dazu verurteilt,

  • den Patienten jeweils 25.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen.

Die Haftung des Herstellers der Prothesen nach §§ 1, 3 Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) begründete das LG damit, dass dieser nach dem damaligen Stand der Wissenschaft hätte erkennen können und müssen, dass mehrere der in dem neuen Prothesentyp verknüpften Designänderungen

  • – nämlich dass sowohl der Hüftkopf als auch die Hüftpfanne aus Metall gefertigt waren (Metall-Gleitpaarung) und einen besonders großen Durchmesser aufwiesen, außerdem der Hüftkopf nicht direkt mit dem im Oberschenkelknochen befestigten Prothesenschaft verbunden, sondern auf einen Konusadapter gesteckt (modulare Steckverbindung) und der seinerseits auf den Prothesenschaft aufgeschlagen wurde (Durom-Metasul-LDH-Hüftprothese) –

Risiken bargen und es deshalb geboten gewesen wäre,