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Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers infolge Alkoholabhängigkeit?

Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet i.S.v. § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (EntgFG), wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Bei einer Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine Krankheit.

  • Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden.

Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen.

  • Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie.
  • Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung kann nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden.
  • Der Arbeitgeber kann deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten.
  • Das Arbeitsgericht hat in einem solchen Fall dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft i.S.d. § 3 Abs. 1 EntgFG herbeigeführt hat.

Lässt sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, geht dies zulasten des Arbeitgebers.

Darauf hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) mit Urteil vom 18.03.2015 – 10 AZR 99/14 – in einem Fall hingewiesen, in dem

  • ein bis zum 30.12.2011 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigter alkoholabhängiger Arbeitnehmer, nach zwei stationären Entzugstherapien und mehreren Rückfällen am 23.11.2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert worden sowie in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt war und
  • die Klage der gesetzlichen Krankenkasse, die für die Zeit vom 29.11. bis zum 30.12.2011 Krankengeld i.H.v. 1.303,36 Euro für den Arbeitnehmer, der Mitglied bei ihr ist, geleistet und in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)) gegenüber dem beklagten Arbeitgeber geltend gemacht hatte, erfolgreich war, weil

das eingeholte sozialmedizinische Gutachten ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden „Suchtdruck“ ausgeschlossen hatte.

Das hat die Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts am 18.03.2015 – Nr. 14/15 – mitgeteilt.

 

Wenn Ampel an Kreuzung jeweils für Fußgänger und abbiegende Fahrzeugführer „grün“ zeigt.

Zeigt die Lichtzeichenanlage an einer Kreuzung für einen Fußgänger „grün“ darf er bei Überquerung des Fußgängerüberwegs grundsätzlich darauf vertrauen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer seinen Vorrang achten.
Neben einem beiläufigen Blick bei Betreten des Überwegs muss er sich deshalb – jedenfalls nicht ohne für ihn ersichtliche, sein Vertrauen zerstörende ausreichende Gefahranzeichen – darüber hinaus nicht auch während des Überquerens der Straße darüber Gewissheit verschaffen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer seinen Vorrang (auch weiterhin) respektieren.

Darauf hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden mit Beschluss vom 05.01.2015 – 7 U 568/14 – hingewiesen.

Danach hat ein Fahrzeugführer, der an einer Kreuzung mit einer Lichtzeichenanlage bei „grün“ nach links abbiegt, wenn dort ein Fußgänger seinerseits bei „grün“ den Übergang überschreitet, den Vorrang des Fußgängers gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zu beachten.

Ist für den nach links abbiegenden Fahrzeugführer

  • eine Erkennbarkeit der Fußgänger im Moment des Anfahrens von der Haltelinie wegen der baulichen Gegebenheiten noch nicht gegeben,

weil die dort wartenden oder gerade die Fahrbahn betretenden Fußgänger beispielsweise von einer Gebäudeecke „verdeckt“ sind,

  • hat er im Zuge des Abbiegens (aller)spätestens bei Annäherung an den Fußgängerüberweg ausreichend darauf zu achten, dass er für ihn zuvor nicht erkennbaren oder aber erst später den Übergang benutzenden Fußgängern den ihnen gebührenden Vorrang einräumen kann.

Keinesfalls darf er darauf vertrauen, dass der Überweg für ihn frei ist.

 

Zur (Un)Wirksamkeit von Schönheitsreparatur- und Quotenabgeltungsklauseln in Mietverträgen.

Der u.a. für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteilen vom 18.03.2015 – VIII ZR 185/14VIII ZR 242/13 – und – VIII ZR 21/13 – seine bisherige Rechtsprechung zur Wirksamkeit von formularmäßigen

  • Renovierungsklauseln,
    • das sind Klauseln, durch die die (als Teil der Instandhaltungspflicht nach § 535 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich dem Vermieter obliegende) Pflicht zur Vornahme der Schönheitsreparaturen auf den Mieter abgewälzt werden

und

  • (Quoten)Abgeltungsklauseln,
    • das sind Klauseln, die dem Mieter die Pflicht zur anteiligen Tragung von Kosten der Schönheitsreparaturen für den Fall auferlegen, dass die Wohnung am Ende des Mietverhältnisses Abnutzungs- oder Gebrauchsspuren aufweist, die Schönheitsreparaturen aber nach dem in der Renovierungsklausel festgelegten Fristenplan noch nicht fällig sind,

geändert.

Danach ist (nunmehr) eine Formularklausel,

  • die dem Mieter einer unrenoviert übergebenen Wohnung
  • die Schönheitsreparaturen ohne angemessenen Ausgleich auferlegt,

unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB), weil

  • ein Mieter nur zu den auf seine eigene Vertragszeit entfallenden Renovierungsleistungen verpflichtet werden darf und
  • eine solche Klausel den Mieter zur Beseitigung sämtlicher, auch der bereits in einem vorvertraglichen Abnutzungszeitraum entstanden Gebrauchsspuren des Vormieters verpflichtet und – jedenfalls bei kundenfeindlichster Auslegung – dazu führt, dass der Mieter die Wohnung vorzeitig renovieren oder gegebenenfalls in einem besseren Zustand zurückgeben müsste als er sie selbst vom Vermieter erhalten hat.

Ob eine Wohnung als

  • renoviert oder
  • unrenoviert

anzusehen ist, hängt dabei davon ab,

  • ob etwa vorhandene Gebrauchsspuren so unerheblich sind, dass die Mieträume im Zeitpunkt der Überlassung den Gesamteindruck einer renovierten Wohnung vermitteln, was im Streitfall das Gericht unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden hat.

Unwirksam sind nach der nunmehrigen Entscheidung des VIII. Zivilsenat des BGH auch

  • formularmäßige Quotenabgeltungsklauseln

und zwar unabhängig davon, ob die Wohnung dem Mieter zu Beginn des Mietverhältnisses renoviert oder unrenoviert überlassen wurde.
Die – zur Unwirksamkeit einer solchen Abgeltungsklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB führende – unangemessene Benachteiligung des Mieters sieht der Senat darin, dass der auf ihn entfallende Kostenanteil nicht verlässlich ermittelt werden kann und für ihn bei Abschluss des Mietvertrags nicht klar und verständlich ist, welche Belastung gegebenenfalls auf ihn zukommt.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs am 18.03.2015 – Nr. 39/2015 – mitgeteilt.

 

Wenn das Auto weg ist und der Kaskoversicherer bestreitet, dass es gestohlen wurde.

Nimmt ein Versicherungsnehmer seinen Kasko-Versicherer wegen eines behaupteten und vom Versicherer bestrittenen Diebstahls des versicherten Kraftfahrzeugs auf Entschädigung in Anspruch und kann der Versicherungsnehmer

  • mangels Zeugen nicht den Vollbeweis für den nach der Rechtsprechung von ihm darzulegenden Mindestsachverhalt (der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für einen Diebstahl spricht) führen,

nämlich den Beweis,

  • dass das entwendete Fahrzeug zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt und dort nicht wiederaufgefunden wurde,

kann der Beweis auch

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsprechung

  • von einer Redlichkeitsvermutung ausgeht,
  • die nur dann entfällt (bzw. „widerlegt“ ist, vgl. BGH, Urteil vom 21.02.1996 – IV ZR 300/94 –),

wenn konkrete Tatsachen vorliegen,

  • die den Versicherungsnehmer als unglaubwürdig erscheinen lassen oder
  • doch Anlass zu schwerwiegenden Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit geben.

Soweit die Umstände,

  • die gegen die Glaubwürdigkeit sprechen, streitig sind,

ist es

  • Sache des Versicherers, diese zu beweisen und so die für den Versicherungsnehmer streitende Vermutung durch bewiesene Unredlichkeiten in Frage zu stellen.

Demzufolge kann dann nicht mehr von der Redlichkeit eines Versicherungsnehmers ausgegangen werden,

  • wenn konkrete unstreitige oder aber (vom Versicherer) bewiesene Tatsachen feststehen,
  • die den Versicherungsnehmer als unglaubwürdig erscheinen lassen oder die geeignet sind, dass sich schwerwiegende Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit aufdrängen.

Welche Tatsachen ausreichen, um die danach relevanten ernsthaften Zweifel zu säen, lässt sich nicht generell sagen, sondern beruht auf der Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalls und kann auch davon abhängen, ob mehrere Umstände zusammenkommen, die bei der erforderlichen Gesamtschau zu dem Ergebnis führen, dass dem Versicherungsnehmer nicht geglaubt werden kann.

Darauf hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden mit Urteil vom 12.02.2014 – 7 U 871/13 – hingewiesen.

 

Kostenlos mitreisendes Kleinkind hat keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung.

Der für das Reise- und Personenbeförderungsrecht zuständige X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 17.03.2015 – X ZR 35/14 – die Klage einer noch nicht zweijährigen Klägerin,

abgewiesen, weil

  • dem Reiseveranstalter von dem beklagten Luftverkehrsunternehmen in der Flugbuchungsbestätigung eine „100% Kinderermäßigung bis 1 Jahr“ eingeräumt worden und die Klägerin auf Grund dessen kostenlos gereist war.

Wie der X. Zivilsenat des BGH ausgeführt hat, nimmt Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Fluggastrechteverordnung sämtliche Fluggäste, die kostenlos reisen, vom Anwendungsbereich der Verordnung aus. Darauf, ob ein „Nulltarif“ für die Öffentlichkeit verfügbar ist, kommt es nicht an. Denn weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch ihr Sinn und Zweck rechtfertige die Annahme, der Ausschlusstatbestand der „kostenlos reisenden Fluggäste“ betreffe lediglich den Sonderfall eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren Tarifs, bei dem der Flugpreis auf Null reduziert ist.

Das hat die Pressestelle des Bundesgerichtshofs (BGH) am 17.03.2015 – Nr. 36/2015 – mitgeteilt.

 

Kollision auf dem öffentlich nicht zugänglichem Privatgelände einer Tiefgarage.

Auf dem Privatgelände einer Tiefgarage mit Stellplätzen sind – anders als bei öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen – die Vorschriften der StVO grundsätzlich nicht anwendbar.

  • Jedoch trifft die Verkehrsteilnehmer die Pflicht zur gesteigerten Rücksichtnahme.
  • Dabei hat der rückwärts aus einem Stellplatz Herausfahrende wegen der durch die eingeschränkten Sichtverhältnisse höheren Gefahr eine erhöhte Sorgfaltspflicht im Vergleich zu den Sorgfaltspflichten, welche einem die Parkplatzfahrbahn befahrenden Fahrzeugführer obliegen.

In einem Fall, in dem sowohl der rückwärts aus einem Stellplatz Herausfahrende als auch der die Parkplatzfahrbahn befahrende Fahrzeugführer ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt haben, ist eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 2/3 zu 1/3 angemessen.

Das hat das Landgericht (LG) Heidelberg mit Urteil vom 20.2.2015 – 3 O 93/14 – in einem Fall entschieden,

  • in dem es im privaten, durch ein automatisches Aufziehtor abgegrenzten Bereich einer Tiefgarage, in dem weder ein öffentlicher Verkehr eröffnet, noch eingangs darauf hingewiesen worden war, dass die Regeln der StVO gelten sollen,

zu einer Kollision gekommen war,

  • als die Beklagte mit ihrem Pkw Suzuki Vitara auf dem Durchfahrtbereich Richtung Ausfahrt und der Kläger mit seinem Pkw Mercedes gleichzeitig rückwärts aus einem Stellplatz fuhr.

 

Anordnung eines Fahrverbot auch bei bereits länger zurückliegender Tat?

Die Fahrverbote nach § 44 Strafgesetzbuch (StGB) und nach § 25 Straßenverkehrsgesetz (StVG) sind als so genannte Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer vorgesehen, um die Täter vor einem Rückfall zu warnen und ihnen ein Gefühl für den zeitweiligen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln.

  • Diese Warnungs- und Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot – auch im Hinblick auf seinen Strafcharakter – aber nur erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt.
  • Nach einem längeren Zeitablauf verliert der spezialpräventive Charakter eines Fahrverbots seine eigentliche Bedeutung, so dass nur noch der Charakter als Funktionsinhalt übrig bleibt (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Hamm, Beschlüsse vom 03.06.2004 – 2 Ss 112/04 – und vom 23.07.2007 – 2 Ss 224/04 –).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist bei einer Tat, die ein Jahr und neun Monate zurückliegt, die Anordnung eines Fahrverbots als Warnungs– und Besinnungsstrafe nicht mehr geeignet (BGH, Beschluss vom 22.10.2001 – 5 StR 439/01 –).

Etwas anderes kann nach der Rechtsprechung nur gelten, wenn

  • der erhebliche Zeitablauf zwischen der Tat und der Verhängung des Fahrverbots (als Verfahrensverzögerung) dem Angeklagten anzulasten ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht (BayObLG), Beschluss vom 19.02.2004 – 1 ObOWi 40/04 –) oder
  • besondere Umstände für die Annahme vorliegen, dass zu einer nach wie vor erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Täter die Verhängung eines Fahrverbots neben der Hauptstrafe unbedingt erforderlich ist (Pfälzischen OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25.08.2011 – 1 SsBs 24/11 –).

Darauf hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen OLG Zweibrücken mit Beschluss vom 30.05.2014 – 1 Ss Bs 41/13 – hingewiesen.

 

Wer als Zeuge geladen ist, muss vor Gericht erscheinen.

Die Pflicht eines Zeugen, vor Gericht zu erscheinen, ist eine von der Strafprozessordnung vorausgesetzte allgemeine Staatsbürgerpflicht, bei deren Nichterfüllung § 51 Strafprozessordnung (StPO) verfassungsrechtlich unbedenklich die Möglichkeit gibt,

  • dem ordnungsgemäß geladenen und
  • nicht genügend entschuldigten

Zeugen

Private und berufliche Pflichten haben gegenüber dieser staatsbürgerlichen Pflicht grundsätzlich zurückzutreten.
Der Zeuge ist daher verpflichtet, der Ladung auch dann zu folgen,

  • wenn dies für ihn Unannehmlichkeiten mit sich bringt oder
  • wenn er zur zeitweisen Umgestaltung seines Organisationskreises gezwungen ist.

Eine Geschäfts- oder Urlaubsreise muss er

  • notfalls verlegen oder
  • vorzeitig abbrechen,

wenn

  • dringende Hinderungsgründe nicht entgegenstehen und
  • dies nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen führt.

Der Zeuge im Strafprozess ist ein persönliches Beweismittel,

  • das Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen gibt.

Die Anwesenheit des Zeugen in der Hauptverhandlung, aus deren Inbegriff das Gericht gemäß § 261 StPO seine Überzeugung schöpft, ist vor dem Hintergrund des Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsgrundsatzes eminent wichtig.
Darauf beruhen die Pflichten des Zeugen,

  • zur Vernehmung zu erscheinen,
  • wahrheitsgemäß auszusagen und
  • die Aussage auf Verlangen zu beeiden.

Über die Pflicht zum Erscheinen und die gesetzlichen Folgen des Ausbleibens wird der Zeuge mit der Ladung belehrt (§ 48 Abs. 2 StPO). Die staatsbürgerliche Pflicht zum Erscheinen und die Bedeutung, die einer Ladung zum Termin zukommt, sind deshalb jedem Zeugen bekannt.

  • Solange das Gericht den Termin nicht verlegt und/oder es den Zeugen auch nicht ablädt, muss dieser davon ausgehen, dass er zu erscheinen habe.

Das gilt auch dann, wenn der Zeuge dem Gericht unter Angabe eines Grundes in einem Schreiben mitgeteilt hat, dass er den Termin nicht wahrnehmen könne und er vom Gericht auf dieses Schreiben keine Antwort erhalten hat.
Auch in einem solchen Fall kann ein Zeuge nicht davon ausgehen, dass er nicht zu erscheinen brauche. Vielmehr muss der Zeuge sich, wenn er in einem solchen Fall vom Gericht nichts gehört hat, durch eine fernmündliche Nachfrage bei Gericht Klarheit darüber verschaffen, ob er trotz seiner Entschuldigung zu erscheinen habe. Macht ein Zeuge von dieser einfachen und zumutbaren Möglichkeit keinen Gebrauch, handelt er, wenn seine Entschuldigung nicht genügend ist, schuldhaft (vgl. auch Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 30.10.2013 – 2 Ws 58/13 –).

Darauf hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden mit Beschluss vom 24.02.2015 – 2 Ws 82/15 – hingewiesen.

 

Rückabwicklung eines Pkw-Kaufvertrages wegen eines fehlenden Aschenbechers.

Der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg hat mit Urteil vom 10.03.2015 – 13 U 73/14 – eine Toyota-Vertragshändlerin zur Rücknahme eines Pkw Lexus und zur Rückzahlung des Kaufpreises von mehr als 117.000 € verpflichtet, weil das Fahrzeug über keinen fest installierten und beleuchteten Aschenbecher verfügte.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Klägerin den Pkw im Januar 2013 für 135.000 € bei der Händlerin bestellt und nach Auslieferung des Fahrzeugs gerügt,

  • dass dieses, entgegen der getroffenen Vereinbarung nicht so ausgestattet war, wie das ebenfalls bei der Händlerin gekaufte Vorgängermodell,
  • da es über keinen fest installierten und beleuchteten Aschenbecher verfügte, mit dem das Vorgängermodell noch ausgestattet war.  

Der 13. Zivilsenat des OLG Oldenburg gab der Klage der Klägerin statt, weil

  • im Kaufvertrag die Lieferung eines Fahrzeugs mit einem fest installierten und beleuchteten Aschenbecher vereinbart worden war und
  • das Fehlen des Aschenbechers seiner Auffassung nach auch eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung darstellte.

Die Klägerin hatte, wie der Senat ausführte, dem Mitarbeiter der Händlerin ausdrücklich gesagt, dass für sie ein sog. Raucherpaket sehr wichtig sei. Es sei deshalb extra vereinbart worden, dass das neue Modell so ausgestattet sein sollte, wie das bisher von der Klägerin genutzte Vorgängermodell.
Der Senat sah das Fehlen des Aschenbechers auch nicht als bloße Bagatelle an.
Anders als die Händlerin, die lediglich von einer nur geringfügigen Einschränkung des „Rauchkomforts“ ausging, wenn eine Aschenbecherdose in einem Getränkehalter in der Mittelkonsole platziert würde, folgten die Richter der Auffassung der Klägerin. Danach könne bei Dunkelheit wegen der fehlenden Beleuchtung nicht „abgeascht“ werden, ohne das Fahrzeug zu verschmutzen und die Zigarette könne während der Fahrt nicht abgelegt werden.
Ferner könnten die Getränkehalter in der Mittelkonsole nicht bestimmungsgemäß genutzt werden, wenn dort ein Aschenbecher angebracht würde.

Nachdem auch keine Nachrüstung des Fahrzeugs mit einem passenden Aschenbecher möglich war, konnte die Klägerin den Vertrag rückgängig machen. Da sie mit dem Fahrzeug gut 44.000 Kilometer zurückgelegt hatte, musste sie sich auf den ursprünglich gezahlten Kaufpreis allerdings die Nutzungsvorteile anrechnen lassen.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 16.03.2015 mitgeteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

 

Wenn mit Hilfe des Brücken-Abstandsmessverfahrens eine Abstandsunterschreitung festgestellt wurde.

Der gegen die Vorwerfbarkeit einer auf einer Autobahn festgestellten Unterschreitung des nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) gebotenen Sicherheitsabstands vorgebrachte Einwand,

  • die Abstandsunterschreitung sei durch das gefahrvolle Auffahren des Führers des nachfolgenden Fahrzeugs verursacht worden,

ist regelmäßig unbeachtlich, wenn auf der sog. Beobachtungsstrecke von ca. 300 m

  • ein plötzliches Abbremsen oder
  • ein unerwarteter Spurwechsel

des vorausfahrenden Fahrzeugführers auszuschließen ist.

Darauf hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg mit Beschluss vom 25.02.2015 – 3 Ss OWi 160/15 – hingewiesen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall waren gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindestabstandes zu einem vorausfahrenden Fahrzeug (§§ 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO) eine Geldbuße und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt worden, weil der Betroffene nach den Feststellungen des Amtsgerichts (AG) aufgrund Inaugenscheinnahme des Tatvideos,  

  • als Führer eines Pkws auf der Autobahn, auf der linken von drei Fahrspuren, bei einer Geschwindigkeit von 116 km/h zum vorausfahrenden Fahrzeug einen Abstand von nur 16,43 m und damit von weniger als 3/10 des halben Tachowertes eingehalten hatte,
  • wobei der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug auf einer Strecke von etwa 300 m vor der Messstrecke in etwa gleich geblieben und es weder zu einer Verkürzung des Abstands durch ein Abbremsen des Vordermannes noch zu einem Ein- oder Ausscheren der beteiligten Fahrzeuge gekommen war.

Die Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil, mit der der Betroffene u.a. gerügt hatte, dass die Urteilsgründe lückenhaft seien, weil nicht näher belegt werde, weshalb – im Hinblick auf das hinter dem Betroffenen fahrende Fahrzeug – ein Abbremsen durch den Betroffenen nicht mehr gefahrlos möglich gewesen sei, war erfolglos.

Wie der 3. Senat für Bußgeldsachen des OLG Bamberg ausführte, lag hier

  • eine nicht nur ganz vorübergehende Unterschreitung des zulässigen Abstandes und damit ein vorwerfbarer Verstoß vor,

weil nach den Feststellungen des AG auf einer Beobachtungsstrecke von ca. 300 m

  • weder ein plötzliches Abbremsen oder
  • ein unerwarteter Spurwechsel

durch den Vordermann stattfand.

Ob im Zeitpunkt der Abstandsmessung bei einer Reduzierung der Geschwindigkeit des Betroffenen die Gefahr eines Auffahrunfalles im Hinblick auf den nachfolgenden Pkw bestanden hätte, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung, da selbst in einem solchen Fall die Unterschreitung des Mindestabstands zum Vordermann durch den Betroffenen nicht wegen rechtfertigendem Notstands gemäß § 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) gerechtfertigt wäre.
Denn auch dann hätte der Betroffene in vorwerfbarer und pflichtwidriger Weise die Ursache für die Unterschreitung des Abstands zum vorausfahren Fahrzeug gesetzt.

  • Sollte die Situation nämlich so gewesen sein, dass das dem Betroffenen nachfolgende Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt aufschloss, als der Betroffene die Abstandsunterschreitung bereits verwirklicht hatte,
    • lag von vornherein keine Notstandsituation vor, da der Tatbestand der Abstandsunterschreitung dann bereits verwirklicht wurde, als noch gar keine Gefahrsituation bestanden hatte.
  • Sollte dagegen das hinter dem Betroffenen fahrende Fahrzeug diesem schon vorher unter Verletzung des gebotenen Abstands gefolgt sein,
    • so hätte der Betroffene nicht auf das vor ihm fahrende Fahrzeuge aufschließen dürfen, sondern durch maßvolle Verzögerung der Geschwindigkeit eine Abstandsunterschreitung verhindern oder notfalls bei passender Gelegenheit rechtzeitig einen Spurwechsel vornehmen müssen.