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Mehrere einfache Verkehrsverstöße können ein Fahrverbot rechtfertigen

Begeht ein Kraftfahrzeugführer innerhalb eines Zeitraums von weniger als drei Jahren fünf „einfachere“ Verkehrsverstöße mit einem (zumindest abstrakten) Gefährdungspotenzial für Dritte, kann gegen ihn nach § 25 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) wegen beharrlicher Verletzung seiner Pflichten als Kraftfahrzeugführer ein einmonatiges Fahrverbot verhängt werden.

Darauf hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 17.09.2015 – 1 RBs 138/15 – hingewiesen und die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen gegen ein Urteil des Amtsgerichts (AG) Hamm als unbegründet verworfen,

  • mit dem gegen ihn wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 22, 23 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), begangen im September 2014, eine Geldbuße von 100 Euro sowie daneben auch ein einmonatigen Fahrverbot deshalb verhängt worden war,  
  • weil der Betroffene bereits im Januar 2012 und im März 2014 so genannte ʺHandyverstößeʺ begangen sowie in der Zeit zwischen diesen beiden Taten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts in 2 Fällen um jeweils 22 km/h überschritten hatte und wegen dieser Verstöße jeweils Geldbußen gegen ihn festgesetzt worden waren.

 

Nach der Entscheidung des 1. Senats für Bußgeldsachen des OLG Hamm lag hier eine beharrliche Pflichtverletzung vor, weil 

  • der Betroffene insgesamt 5 Verkehrsverstöße innerhalb eines Zeitraums von deutlich weniger als 3 Jahren begangen hatte, 
  • die Verkehrsverstöße jeweils Verhaltensweisen mit einem gewissen Gefährdungspotenzial für Dritte aufwiesen, was,
  • nachdem es sich nach dem StVG um „verkehrssicherheitsbeeinträchtigende“ Ordnungswidrigkeiten handelte, auf eine Unrechtskontinuität zwischen den Verkehrsverstößen schließen lässt und die Bewertung rechtfertigt, dass es dem Betroffenen an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt.

 

Beharrliche Pflichtverletzungen liegen, wie der Bußgeldsenat weiter ausgeführt hat, nämlich vor, wenn ein Verkehrsteilnehmer durch die wiederholte Verletzung von Rechtsvorschriften, erkennen lässt, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt,

  • wobei es insoweit auf die Zahl der Vorverstöße, ihren zeitlichen Abstand und auch ihren Schweregrad ankommt,
  • neben gravierenden Rechtsverstößen aber auch aus einer Vielzahl kleinerer Rechtsverstöße auf eine mangelnde Rechtstreue geschlossen werden kann, wenn ein innerer Zusammenhang im Sinne einer Unrechtskontinuität zwischen den Zuwiderhandlungen besteht.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 17.11.2015 mitgeteilt.

 

Wenn eine Strafanzeige nicht zum Erweis des behaupteten Vorwurfs führt

Eine Strafanzeige zu erstatten und damit ein gesetzlich geregeltes Verfahren in Gang zu bringen,

  • steht jedem Bürger frei und
  • ein Angezeigter hat auch dann, wenn die Anzeige nicht zum Erweis des behaupteten Vorwurfs führt, gegen einen gutgläubigen Strafanzeigenerstatter grundsätzlich keinen Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten, die ihm im Ermittlungsverfahren durch die Beauftragung eines Anwalts mit seiner Verteidigung entstanden sind.

 

Denn (nicht wissentlich unwahre oder leichtfertige) Strafanzeigen von Bürgern liegen im allgemeinen Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens sowie an der Aufklärung von Straftaten und da der Rechtsstaat darauf bei der Strafverfolgung auch nicht verzichten kann, wäre es mit den Grundgeboten des Rechtsstaats nicht vereinbar, wenn derjenige, der in gutem Glauben eine Strafanzeige erstattet hat, Nachteile dadurch erleiden würde, dass sich seine Behauptung nach staatsanwaltschaftlicher Prüfung als unrichtig oder nicht aufklärbar erweist.

Wird eine Strafanzeige allerdings wissentlich unwahr oder leichtfertig erstattet,

  • begründet dies ausnahmsweise einen Schadensersatzanspruch i.S. eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nach § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 164 Strafgesetzbuch (StGB),
  • so dass in einem solchen Fall ein Betroffener die ihm aufgrund der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Verteidigung gegen die unberechtigte Strafanzeige entstandenen Kosten vom Anzeigeerstatter ersetzt verlangen kann.

 

Darauf hat das Amtsgericht (AG) Laufen mit Urteil vom 26.10.2015 – 2 C 155/15 – hingewiesen.

 

Benutzung von Blitzer-Apps auf Smartphones ist verboten

Wer als Führer eines Fahrzeugs während der Fahrt ein Smartphone mit einer sogenannten Blitzer-App benutzt, verstößt gegen § 23 Abs. 1b Straßenverkehrsordnung (StVO).
Nach dieser Vorschrift darf, wer ein Fahrzeug führt, ein technisches Gerät nicht betreiben oder betriebsbereit mitführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören., was insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte) gilt.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle hingewiesen und die Rechtsbeschwerde eines Autofahrers verworfen, der vom Amtsgerichts (AG) Winsen/Luhe wegen Verstoßes gegen §§ 23 Abs. 1b, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO zu einer Geldbuße von 75 € verurteilt worden war, weil er während der Fahrt ein Smartphone mit einer sogenannten Blitzer-App benutzt hatte.

Dass ein Autofahrer sich in einem solchen Fall ordnungswidrig verhält, hat der Senat damit begründet,

  • dass ein Smartphone ein technisches Gerät zur Anzeige von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen im Sinne der StVO ist, falls darauf eine sogenannte Blitzer-App installiert ist und
  • dieses mit Installation und Nutzung der Blitzer-App über seine sonstigen Zwecke hinaus die zusätzliche Zweckbestimmung eines Blitzer-Warngerätes erhält.

 

Nach Auffassung des 2. Strafsenats des OLG Celle soll es auch unerheblich sein, ob die Blitzer App tatsächlich einwandfrei funktioniert hat.
Vielmehr soll es allein darauf ankommen, dass das Smartphone von dem Autofahrer zur Warnung vor Blitzern eingesetzt werden sollte.

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Celle am 12.11.2015 mitgeteilt.

 

Werbung auf an Verkehrsflächen angrenzenden privaten Flächen?

Eine Stadt kann durch ordnungsbehördliche Verordnung das Plakatieren zu Werbezwecken auch auf privaten Grund und privaten Flächen, beispielsweise an Zäunen, die an Verkehrsflächen angrenzen, in ihrem Stadtgebiet untersagen, weil ein solches Verbot der Abwehr (abstrakter) Gefahren für die öffentliche Ordnung im Stadtgebiet dient.

  • Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gehört nämlich, dass ein Stadtbild nicht durch sog. wildes Plakatieren verschandelt oder verschmutzt wird.
  • Zudem besteht bei einem auffälligen Plakatieren an besonders frequentierten öffentlichen Straßen die Gefahr, dass Verkehrsteilnehmer durch die Plakate abgelenkt werden.

 

Auf an öffentlichen Straßen und Anlagen gelegene private Hauswände, Zäune und Einfriedungen darf das Verbot sich beziehen, weil diese häufig als Werbeflächen gewählt werden, um sich die Bemühungen und die Kosten für das Einholen einer straßenverkehrsrechtlichen Sondernutzungserlaubnis zu ersparen, die notwendig wäre, wenn öffentlicher Verkehrsraum zu Werbezwecken genutzt werden soll.
Stehen genügend weitere Möglichkeiten für eine erlaubte Werbung im Stadtgebiet zur Verfügung ist ein solches Verbot auch nicht unverhältnismäßig.

Darauf hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 22.09.2015 – 1 RBs 1/15 – hingewiesen und in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall

  • die Verurteilung eines Betroffenen zu einer Geldbuße bestätigt, mit der er wegen Verstoßes gegen § 4 der ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Siegen belegt worden war,
  • weil er, ohne Genehmigung der Stadt, im Stadtgebiet Siegen mit Zustimmung der Eigentümer an privaten Zäunen für die Verkehrsteilnehmer sichtbare Plakate für eine Veranstaltung hatte anbringen lassen.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 03.11.2015 mitgeteilt.

 

Wenn von dem Betroffenen die Aufhebung der Betreuung beantragt wird

Ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung kann nur abgelehnt werden, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers noch vorliegen.
Deshalb erfordert die Ablehnung eines solchen Antrags die Feststellung, dass dem Betroffenen die Fähigkeit fehlt, einen freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu bilden.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschlüssen vom 16.09.2015 – XII ZB 500/14 – und vom 07.10.2015 – XII ZB 58/15 – hingewiesen.

Wie der Senat ausgeführt hat, ist die Betreuung nach § 1908 d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen.
Daher kann ein Antrag auf Aufhebung der Betreuung nur abgelehnt werden, wenn

  • im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung
  • sämtliche Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers noch vorliegen.

 

Der Wegfall nur einer dieser Voraussetzungen reicht für die Aufhebung der Betreuung aus.

Da nach § 1896 Abs. 1 a BGB gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf, ist bei der Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung einer Betreuung erforderlich, festzustellen, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, seinen Willen in den bestimmten Aufgabenkreisen frei zu bestimmen.
Das Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 526/10 –).
Dabei müssen die Feststellungen zum Ausschluss der freien Willensbestimmung durch ein noch aktuelles Sachverständigengutachten belegt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2014 – XII ZB 632/12 –).
Die Begriffe der freien Willensbestimmung in § 1896 Abs. 1 a BGB und in § 104 Nr. 2 BGB sind, wie der Senat bereits entschieden hat (BGH, Beschlüsse vom 09.02.2011 – XII ZB 526/10 – und vom 26.02.2014 – XII ZB 577/13 –), im Kern deckungsgleich. Die beiden entscheidenden Kriterien sind dabei

  • die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und
  • dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln.

 

Einsichtsfähigkeit setzt die Fähigkeit des Betroffenen voraus, im Grundsatz die für und wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte

  • zu erkennen und
  • gegeneinander abzuwägen.

 

Dabei dürfen jedoch keine überspannten Anforderungen an die Auffassungsgabe des Betroffenen gestellt werden.
Auch der an einem Gebrechen im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern.
Erforderlich ist sein Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenbereichen treffen kann. Der Betroffene muss Grund, Bedeutung und Tragweite einer Betreuung intellektuell erfassen können (BGH, Beschluss vom 26.02.2014 – XII ZB 577/13 –).
Die Einsichtsfähigkeit in den Grund der Betreuung setzt dabei denknotwendig voraus, dass der Betroffene seine Defizite wenigstens im Wesentlichen zutreffend einschätzen kann. Nur dann ist es ihm nämlich möglich, die für und gegen eine Betreuung sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen (BGH, Beschluss vom 09.02.2011 – XII ZB 526/10 –).

Ist der Betroffene zur Bildung eines klaren Urteils zur Problematik der Betreuerbestellung in der Lage, muss ihm weiter möglich sein,

 

Beruht die Entscheidung des Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers schließlich auf einer nach den vorgenannten Maßstäben freien Willensbildung,

 

Für das Aufhebungsverfahren gelten die §§ 278 Abs. 1, 280 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), die die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorschreiben, nicht.
Die Durchführung eines Verfahrens auf Aufhebung einer Betreuung wird daher maßgebend von den Grundsätzen der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) bestimmt. Nur nach den Maßstäben dieser Vorschrift bestimmt sich, ob im Einzelfall ein Sachverständigengutachten einzuholen ist (BGH, Beschluss vom 02.02.2011 – XII ZB 467/10 –). 

 

Wenn die Atemalkoholkonzentration mit einem Atemalkoholmessgerät bestimmt worden ist

Bei der Bestimmung der Atemalkoholkonzentration im Sinne von § 24a Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) unter Verwendung eines Atemalkoholmessgerätes, das die Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs erhalten hat, ist der gewonnene Messwert ohne Sicherheitsabschläge verwertbar, wenn

  • das Gerät unter Einhaltung der Eichfrist geeicht ist und
  • die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren (Zeitablauf seit Trinkende mindestens 20 Minuten, Kontrollzeit von 10 Minuten vor der AAK-Messung, Doppelmessung im Zeitabstand von maximal 5 Minuten und Einhaltung der zulässigen Variationsbreite zwischen den Einzelwerten) gewahrt sind (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 03.04.2001 – 4 StR 507/00 –; Bayerisches Oberstes Landesgericht (BayObLG), Beschluss vom 05.03.2003 – 1 ObOWi 9/03 –)).

 

Die vorgeschriebene Kontrollzeit von 10  Minuten dient dazu, die Gefahr der Verfälschung der Messwerte durch eine kurz vor der Messung erfolgte Einnahme von möglicherweise die Messung beeinflussenden Substanzen auszuschließen.
Die Wartezeit von 20 Minuten ist erforderlich, weil sich erst nach dieser Zeit ein definiertes Verhältnis zwischen Atemalkohol- und Blutalkoholkonzentration einstellt, das kurzfristigen Schwankungen nur noch in geringem Maß unterworfen ist (Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 05.05.2006 – 1 Ss 32/06 –).

Die Nichteinhaltung der 10 Minuten dauernden Kontrollzeit führt allerdings nicht generell zu einer Unverwertbarkeit des Messergebnisses.
Sie steht einer Verwertbarkeit vielmehr grundsätzlich nur in den Fällen entgegen,

 

Darauf hat das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 15.10.2015 –  (7) SsBs 499/15; 2 (7) SsBs 499/15 – AK 151/15 – hingewiesen.

 

Auch schuldhaft verursachte Unfälle und deren Folgen sind nicht immer vorhersehbar

Ein Mitverschulden des Unfallgegners kann die Vorhersehbarkeit eines Unfalls und seiner Folgen für den Unfallverursacher ausschließen, wenn das Mitverschulden

  • in einem gänzlich vernunftwidrigen oder
  • außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten besteht.

 

Darauf hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss vom 20.08.2015 – 5 RVs 102/15 – hingewiesen.

Kommt es beispielsweise auf einer Kreuzung,

  • wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung des Angeklagten und
  • eines jedenfalls zu Gunsten des Angeklagten nicht auszuschließenden Rotlichtverstoßes des anderen Beteiligten, zu einem Unfall, bei dem dieser tödlich verletzt wird,

 

soll nach der Entscheidung des 5. Strafsenats des OLG Hamm

  • ein entscheidendes Kriterium für die Bewertung sein, ob der Rotlichtverstoß des anderen Unfallbeteiligten als “gänzlich vernunftwidrig“ einzustufen ist, wie lange die Ampel im Zeitpunkt des Verstoßes schon Rotlicht gezeigt hat und
  • zumindest eine vorsätzliche Begehung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes bei der gebotenen wertenden Betrachtung als gänzlich vernunftwidriges Verhalten anzusehen sein.

 

Begründet hat der Senat dies damit,

  • dass der sog. qualifizierte Rotlichtverstoß (länger als 1 Sekunde Rot) bereits durch die Bußgeldkatalogverordnung als grobe Pflichtverletzung bewertet wird und
  • ein vorsätzlich begangener Rotlichtverstoß deutlich schwerer wiegt als ein fahrlässiger Verstoß.

 

Da in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall das Landgericht (LG) den angeklagten Unfallverursacher wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt hatte,

  • ohne zu klären, ob der nach dem Grundsatz “in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) zugunsten des Angeklagten unterstellte Rotlichtverstoß des Unfallgegners die Vorhersehbarkeit des Unfalls für den Angeklagten ausgeschlossen hat,

 

hat der Strafsenat die Verurteilung aufgehoben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des LG zurückverwiesen, die den Fall erneut zu verhandeln sowie zu entscheiden, dabei,

  • soweit möglich, nähere Feststellungen zum Rotlichtverstoß des Unfallbeteiligten zu treffen und
  • verbleibende Zweifel nach dem Grundsatz “in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen haben wird.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 27.10.2015 mitgeteilt.

 

Sprungrevision ist auch in einem Fall der Annahmeberufung zulässig

Eine Sprungrevision nach § 335 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) ist auch zulässig, wenn ein Angeklagter

  • lediglich zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt worden ist und
  • eine Berufung deshalb gemäß § 313 StPO der Annahme durch das Berufungsgericht bedurft hätte.

 

Das hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden mit Urteil vom 31.08.2015 – 2 OLG 21 Ss 210/15 – entschieden.

Nach der Entscheidung des 2. Strafsenats des OLG Dresden kann auch in einem Fall der Annahmeberufung ein Urteil des Amtsgerichts mit der Sprungrevision grundsätzlich uneingeschränkt angefochten werden, weil nach der Gesetzgebungsgeschichte kein Anhalt dafür besteht, dass dem Begriff „zulässig“ in § 312 StPO durch die Einfügung des § 313 StPO nunmehr aufgrund der Gesetzesergänzung eine über die Bedeutung „statthaft“ hinausgehende Bedeutung zukommen sollte (Kammergericht (KG) Berlin, Beschluss vom 27.04.2009 – 1 Ss 90/09 (39/09) –).

 

Betreuerauswahl

Maßstab für die Betreuerauswahl ist bei der Erstentscheidung und auch bei einer Verlängerung der Betreuung § 1897 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Vorschrift des § 1908 b Abs. 1 BGB, die die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Betreuer entlassen werden kann, ist nur anwendbar, wenn bei fortbestehender Betreuung eine isolierte Entscheidung über die Beendigung des Amtes des bisherigen Betreuers getroffen werden soll (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 25.03.2015 – XII ZB 621/14 –).

Nach § 1897 Abs. 1 BGB ist zum Betreuer eine natürliche Person zu bestellen, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betroffenen rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.
Die Beurteilung, ob eine bestimmte Person als Betreuer eines konkreten Betroffenen geeignet ist, erfordert die Prognose, ob der potentielle Betreuer voraussichtlich die sich aus der Betreuungsführung und den damit verbundenen Pflichten im Sinne des § 1901 BGB folgenden Anforderungen erfüllen kann.

  • Diese Prognose muss sich jeweils auf die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben beziehen und zu der Einschätzung führen, dass die als Betreuer in Aussicht genommene Person das Amt zum Wohl des Betroffenen (§ 1901 Abs. 2 Satz 1 BGB) führen wird.
  • Dafür können unter anderem ihre intellektuellen und sozialen Fähigkeiten, ihre psychische und körperliche Verfassung, die persönlichen Lebensumstände – etwa räumliche Nähe zum Betroffenen, berufliche Auslastung oder finanzielle Verhältnisse -, bereits bestehende familiäre oder sonstige Beziehungen zum Betroffenen, aber auch besondere Kenntnisse oder Einstellungen zu für die Betreuungsführung relevanten Fragen von Bedeutung sein.
     

Weil es sich um eine rechtliche Betreuung handelt,

  • werden jedoch regelmäßig nicht Spezialwissen oder außergewöhnliche Fertigkeiten nötig sein,
  • sondern es wird in der Regel ausreichen, wenn der Betreuer sich erforderlichenfalls fachkundiger Hilfen bedienen kann.

 

Ob sich die tatrichterliche Prüfung darauf beschränken kann,

  • Umstände auszuschließen, die der Eignung einer bestimmten natürlichen Person für eine konkrete Betreuung entgegenstehen („negative Selektion“), oder
  • positiv das Vorliegen bestimmter Umstände ermitteln muss,

 

ist letztlich nur die Frage nach der zielführenden Methode des Einzelfalls.
Unabhängig davon, dass im Zweifel beide Vorgehensweisen bei vollständiger Berücksichtigung des maßgeblichen Sachverhalts zu identischen Ergebnissen führen werden, dürfte sich diese Frage einer allgemein gültigen Antwort entziehen.

  • Jedenfalls aber bedarf es der positiven Feststellung der Eignung, die nicht durch pauschale Annahmen auf der Grundlage eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses ersetzt werden kann.

 

Die vom Tatrichter vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer ist rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter

  • den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkennt,
  • relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder
  • bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt lässt.

 

Bei der Auswahl gemäß § 1897 Abs. 5 BGB zwischen mehreren geeigneten Personen räumt § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB dem Willen des Betroffenen Vorrang ein.

  • Schlägt er eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann – also die nach § 1897 Abs. 1 BGB erforderliche Eignung aufweist -, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Betroffenen nicht zuwiderläuft.
  • Schlägt der Betroffene hingegen niemanden als Betreuer vor, so ist aus dem Kreis der als Betreuer geeigneten und auch im Übrigen in Betracht kommenden Personen eine (bzw. sind in den von § 1899 BGB geregelten Fällen mehrere) auszuwählen.
    Nach § 1897 Abs. 5 BGB ist hierbei auf die verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Bindungen des Betroffenen, insbesondere zu Eltern, zu Kindern, zum Ehegatten und zum Lebenspartner, sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen.

 

Dem Tatrichter steht bei der Auswahl zwischen mehreren geeigneten Personen ein Ermessen zu.
Die Auswahlentscheidung ist rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter

  • sich des ihm zustehenden Ermessens nicht bewusst ist,
  • nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt,
  • von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch macht oder
  • die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet.

 

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 30.09.2015 – XII ZB 53/15 – in einem Fall hingewiesen, in dem die geschiedenen Eltern des Betreuten, mit dem eine Verständigung nicht möglich war und von dem ein Betreuerwunsch nicht vorlag, darüber stritten, wer von ihnen die Betreuung im Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge für ihren Sohn führen soll. 

Die Kontrollbetreuung

Nach § 1896 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann ein Betreuer auch zur Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt werden.
Mit dieser so genannten Kontrollbetreuung kann

  • im Falle einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden,
  • wenn der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist,

 

Eine Kontrollbetreuung darf jedoch wie jede andere Betreuung (vgl. § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB) nur dann eingerichtet werden, wenn sie erforderlich ist.
Da der Vollmachtgeber die Vorsorgevollmacht gerade für den Fall bestellt hat, dass er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, um eine gerichtlich angeordnete Betreuung zu vermeiden, kann das Bedürfnis nach einer Kontrollbetreuung nicht allein damit begründet werden, dass der Vollmachtgeber aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr selbst in der Lage ist, den Bevollmächtigten zu überwachen. Denn der Wille des Vollmachtgebers ist auch bei der Frage der Errichtung einer Kontrollbetreuung zu beachten (vgl. § 1896 Abs. 1 a BGB). Daher müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Errichtung einer Kontrollbetreuung erforderlich machen.

 

Dies kann der Fall sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb geboten ist,

  • weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist, oder
  • wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten Bedenken bestehen.

 

Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender Verdacht

  • ist nicht erforderlich.
  • Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem Interesse des Vollmachtgebers handelt.

 

Soll dem Kontrollbetreuer auch der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf übertragen werden, setzt dies tragfähige Feststellungen voraus, dass das Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des Betroffenen

  • mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und
  • in erheblicher Schwere befürchten lässt.

 

Sind

  • behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung festzustellen,
  • erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte.
     

Nur

  • wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder
  • es aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeignet erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden,

 

ist die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig (BGH, Beschluss vom 28.07.2015 – XII ZB 674/14 –).

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 23.09.2015 – XII ZB 624/14 – hingewiesen.