Tag Angriff

Wer einen Angriff provoziert sollte wissen, dass er in seinem Notwehrrecht eingeschränkt sein und

…. sich deshalb nicht ohne weiteres auf Notwehr nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB) berufen kann. 

Darauf hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main mit Urteil vom 08.07.2021 – 980 Ds 858 Js 24821/20 – hingewiesen und einen Angeklagten, weil er 

  • nachdem es zwischen ihm und anderen zu einem Streit und Handgreiflichkeiten ungeklärten Ausgangs gekommen war, 

einem erkennbar betrunkenen und körperlich unterlegenen, 

  • an der vorausgegangen Auseinandersetzung 

Beteiligten,

  • der sich bereits ca. 20 m vom Geschehen entfernt hatte, 

„komm doch!“ und „wehr dich!“ hinterhergerufen und 

  • als dieser Folge leistete und zu einem Schlag ausholte, so 

gegen den Kopf geschlagen hatte, 

  • dass dieser zu Boden ging und mit dem Kopf auf den Asphalt aufschlug, 

wegen vorsätzlicher Körperverletzung 

  • nach § 223 Abs. 1 StGB 

zu einer Geldstrafe verurteilt.

Dass der Schlag des Angeklagten gegen den Kopf des anderen nicht 

  • durch Notwehr nach § 32 StGB 

gerechtfertigt war, ist vom AG damit begründet worden, dass, 

  • auch wenn der zu Boden Geschlagene zuerst zu einem Schlag ausgeholt hatte, 

vorliegend die Grenzen der rechtfertigenden Notwehr überschritten wurden, weil, wer einen anderen,

  • wie hier durch die Aufforderung, zu kommen und sich zu wehren,

vorwerfbar zu einem Angriff auf sich provoziert, gehalten ist, 

  • sofern die konkrete Situation, wie hier, es zulässt, 

sich zunächst auf bloße Schutzwehr zu beschränken und dem Angriff auszuweichen (Quelle: Pressemitteilung des AG Frankfurt).

Übrigens:
Infos dazu, 

  • wann eine Notwehrlage besteht, 
  • wie man sich in einer Notwehrlage verteidigen darf und 
  • wann das Notwehrrecht eine Einschränkung erfährt, 

finden sich in unserem Blog:

BSG entscheidet wann Anspruch auf Opferentschädigung bei Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft besteht

Mit Urteil vom 24.09.2020 – B 9 V 3/18 R – hat das Bundesozialgericht (BSG) die Klage eines, durch ein fetales „Alkohol-Syndrom“, 

  • aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter in der Schwangerschaft

schwerbehindert zur Welt gekommenen Kindes auf Beschädigtenversorgung 

  • nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz)

mit der Begründung abgewiesen, dass zwar  

  • vom Schutzbereich des Opferentschädigungsgesetzes auch die Leibesfrucht (nasciturus) umfasst ist und 

ein vorgeburtlicher Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft einen 

  • tätlichen Angriff auf das ungeborene Kind 

oder eine 

  • gleichgestellte Beibringung von Gift 

im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Opferentschädigungsgesetz darstellen kann, dies jedoch nur dann der Fall ist, wenn der Alkoholkonsum einer Schwangeren auf 

  • einen versuchten Abbruch der Schwangerschaft (§§ 218 Abs. 4 Satz 1, 22 Strafgesetzbuch (StGB)),
  • also eine versuchte Tötung des ungeborenen Kindes 

gerichtet war und das der Mutter nicht nachgewiesen werden konnte.

Das bedeutet, Opferentschädigung bei 

  • Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft 

ist grundsätzlich möglich, setzt aber voraus, dass die Mutter zumindest 

  • mit bedingtem Vorsatz zum Schwangerschaft Alkohol konsumiert, d.h. 

den Tod des ungeborenen Kindes infolge ihres Alkoholkonsums 

  • als möglich angesehen und 
  • billigend in Kauf genommen

haben muss (Quelle: Pressemitteilung des BSG).

Was, wer in eine Notwehrlage gerät, wissen sollte

Wer eine 

  • durch Notwehr 

gemäß § 32 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) gebotene Tat begeht, handelt 

  • nicht rechtswidrig (§ 32 Abs. 1 StGB).

Das bedeutet, besteht eine Notwehrlage, weil 

  • nach objektiver Sachlage

ein gegenwärtiger rechtswidrigen Angriff auf eine Person vorliegt, d.h. ein rechtswidriger Angriff auf eine Person 

ist man,

  • zur Verteidigung bzw. Abwendung des Angriffs,

grundsätzlich berechtigt, das 

  • Abwehrmittel

zu wählen, das unter Berücksichtigung  

  • der Stärke und der Gefährlichkeit des Angreifers und 
  • der Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen, 

erforderlich und geboten ist, um eine

  • endgültige

Beseitigung der Gefahr zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2018 – 5 StR 421/18 – sowie BGH, Beschluss vom 21.07.2015 – 3 StR 84/15 – zu den Grenzen des Notwehrrechts bei Einsatz einer Schusswaffe).

  • Der zur Notwehr bzw. Nothilfe Berechtigte muss sich dabei mit der Anwendung weniger gefährlicher, aber in der Abwehrwirkung zweifelhafter, Verteidigungsmittel nicht begnügen, 
  • auch auf Risiken braucht er sich nicht einzulassen und
  • nur dann, wenn mehrere wirksame Mittel zur Verteidigung zur Verfügung stehen und ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht, hat der Verteidigende dasjenige Mittel zu wählen, das für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist (BGH, Beschluss vom 17.04.2019 – 2 StR 363/18 –). 

Eine Einschränkung erfährt das Notwehrrecht dann, wenn 

  • der Verteidiger gegenüber dem Angreifer 

ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das 

  • bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalls 

den folgenden Angriff als eine 

  • adäquate und 
  • voraussehbare

Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt.

  • In einem solchen Fall muss der Verteidiger 
    • dem Angriff unter Umständen auszuweichen versuchen und 
    • darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind.

Darüber hinaus vermag ein 

  • sozial-ethisch zu missbilligendes 

Vorverhalten das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn 

  • zwischen diesem und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und 
  • es nach Kenntnis des Täters auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren.

Das Notwehrrecht ist 

  • aber auch in diesen Fällen 

nur eingeschränkt, d.h. 

  • ein vollständiger Ausschluss oder 
  • eine zeitlich unbegrenzte Ausdehnung der Beschränkung des Notwehrrechts 

ist damit nicht verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.08.2020 – 1 StR 248/20 –).

Übrigens:
Bei einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken bleibt man straflos (§ 33 StGB).

Irrt man sich über das Vorliegen eines Angriffs oder die Erforderlichkeit der Verteidigung liegt ein 

  • Erlaubnistatbestandsirrtum

vor, mit der Rechtsfolge, dass 

Wer einen anderen grundlos in die Flucht schlägt haftet für Verletzungen, die sich der andere bei der Flucht zuzieht

…. weil dann ein sog. „Herausforderungsfall“ vorliegt.

Darauf hat das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 22.12.2016 – 173 C 15615/16 – hingewiesen und in einem Fall

  • einen Vermieter verurteilt an einen seiner Mieter 800 Euro Schmerzensgeld zu zahlen,

weil der Vermieter, nachdem es zwischen ihm und dem Mieter wegen des Mietverhältnisses zu Streitigkeiten gekommen war,

Die einem Erstklässler versetzte Ohrfeige kann durch Notwehr gerechtfertigt sein

Versetzt ein als Schulhofaufsicht eingesetzter Erwachsener einem Erstklässler eine Ohrfeige kann dies,

  • wenn es in der konkreten Situation das einzige angemessene Mittel ist, den Erstklässler und andere den Erwachsenen bedrängende Kinder abzuschrecken und ihre Angriffe auf ihn zuverlässig zu beenden,

nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB) durch Notwehr gerechtfertigt sein.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 02.06.2016 – III-1 Ws 63/16 – hingewiesen und einen an einer Ganztagesschule als Schulhofaufsicht beschäftigten Ein-Euro-Jobber,

  • der wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB zum Nachteil eines Erstklässers angeklagt war,

freigesprochen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall hatte der Angeklagte

  • zunächst mit etwa 5 bis 10 Jungen aus der ersten Klasse auf dem Schulhof gespielt,
  • sich aber irgendwann, als ihm das Spiel zu „wild“ wurde, in den hinteren Teil des Hofes zurückgezogen und als die Erstklässler ihn nicht in Ruhe ließen, sondern ihn auch dort, trotz verbaler Einwirkung auf sie, weiter bedrängten, teilweise auf ihn einschlugen sowie in seine Richtung spuckten,

dem, ihm am nächsten befindlichen der beteiligten Erstklässler,

  • zur Abschreckung der anderen und um die auf ihn einstürmenden Kinder loszuwerden,

eine kurzzeitig schmerhafte Ohrfeige versetzt,

  • woraufhin die Kinder, geschockt nach dem Schlag, auch sofort von dem Angeklagten abgelassen hatten.

Das OLG hat den Freispruch des Angeklagten damit begründet, dass die den Erstklässler etwa 10 Minuten lang schmerzende Ohrfeige durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sei, weil sie

  • aus objektiver, nachträglicher Sicht,
  • in der konkreten Situation, in der sich der Angeklagte damals befunden habe,
  • die einzige angemessene sowie geeignete Verteidigungshandlung gewesen sei, um den Angriff der Kinder zuverlässig sofort zu beenden.

Anders als die Ohrfeige, so das OLG, hätte,

  • nachdem die Kinder dem Angeklagten auch schon vorher auf dem Schulhof nachgefolgt und seiner Aufforderung aufzuhören, nicht gefolgt seien,

weder die für den Angeklagten bestehenden Möglichkeiten

  • sich entweder in das Schulgebäude zurückzuziehen oder
  • einen hauptamtliche Lehrkraft zu Hilfe zu holen,

die sofortige Beendigung der Angriffe erwarten lassen.

Auch wenn die Angreifer aufgrund ihres Alters schuldunfähig gewesen seien, sei, so das OLG weiter, die einem der schuldunfähigen Kinder erteilte Ohrfeige geboten gewesen.
Zwar sei bei einem von schuldunfähigen Personen, insbesondere von Kindern Angegriffenen das Notwehrrecht unter Umständen dahingehend eingeschränkt, dass, wenn dies ohne substantiellen Rechtsverlust möglich ist,

  • dem Angegriffenen ein Ausweichen zugemutet bzw.
  • von dem Angegriffenen ein Verzicht auf maßlose Gegenwehr gefordert und
  • bei aktiver Gegenwehr die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verlangt wird,
    • im Hinblick auf die durch die Notwehrhandlung verhinderte Rechtsgutsverletzung und
    • die auf Seiten des Angreifers durch die Notwehrhandlung verursachte

Andererseits müsse mit milden Abwehrhandlungen wie im vorliegenden Fall selbst Bagatellangriffen schuldlos Handelnder entgegengetreten werden dürfen, zumal,

  • solange diese keinen ernstzunehmenden Verletzungsrisiken ausgesetzt seien,

kein Grund bestehe,

  • schuldlos handelnden Kindern eine allgemeine „Narrenfreiheit“ zu gewähren.

Was Opfer von Straftaten, die eine Beschädigtenversorgung nach dem OEG geltend machen möchten, wissen sollten

Ein Entschädigungsanspruch nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG), d.h. ein Anspruch wegen eingetretener gesundheitlicher und wirtschaftlicher Folgen auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind, also dass der Antragsteller

  • im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug
  • infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr
  • eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat (vgl. hierzu Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23.04.2009 – B 9 VG 1/08 R –).

Vorliegen müssen demzufolge folgende durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbundenen drei Glieder:

  • Vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff,
  • Schädigung und
  • Schädigungsfolgen.

Hinsichtlich des schädigenden Vorgangs, der Schädigung und der Schädigungsfolgen

  • bedarf es des Vollbeweises,
  • h., das Gericht muss sich die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein verschaffen.

Dabei sind allerdings die Angaben des Antragstellenden,

  • die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen,

nach § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist,

  • dann zugrunde zu legen, wenn
    • sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen und
    • Unterlagen hierzu nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind.

Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich, nach dem Vollbeweis und der Wahrscheinlichkeit um den dritten und mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts, bei dem es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht.

Für die Kausalität wiederum,

  • also dafür, dass der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff für die Schädigung und diese für die Schädigungsfolgen ursächlich war,

ist der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit notwendig, was bedeutet,

Wie darf man sich in einer Notwehrlage verteidigen?

Nach § 32 Strafgesetzbuch (StGB) ist Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Liegt eine Notwehrlage vor, weil eine Person rechtswidrig angegriffen wird, ist sie grundsätzlich berechtigt, zur Verteidigung das Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet.

  • Dabei muss der Angegriffene sich nicht mit der Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel begnügen, wenn deren Abwehrwirkung zweifelhaft ist;
  • auf Risiken braucht er sich nicht einzulassen.
  • Nur wenn mehrere wirksame Mittel zur Verfügung stehen, hat der Verteidigende dasjenige Mittel zu wählen, das für den Angreifer am wenigsten gefährlich ist.

Wann eine weniger gefährliche Abwehrhandlung geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig zu beseitigen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 05.10.1990 – 2 StR 347/90 –).

Unter mehreren Verteidigungsmöglichkeiten ist der Angegriffene zudem nur dann auf eine für den Angreifer weniger gefährliche Alternative zu verweisen,

  • wenn ihm genügend Zeit zur Wahl des Mittels sowie zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (vgl. BGH, Urteile vom 30.06.2004 – 2 StR 82/04 – und vom 27.09.2012 – 4 StR 197/12 –).

Bei einem lebensgefährlichen Waffeneinsatz

  • gegen einen unbewaffneten Angreifer

ist der Angreifer in der Regel gehalten,

  • den Gebrauch der Waffe zunächst anzudrohen oder
  • einen weniger gefährlichen als den lebensbedrohenden Einsatz zu versuchen (BGH, Urteil vom 21.03.1996 – 5 StR 432/95 –).

Nach dem Rechtsbewährungsprinzip des Notwehrrechts entfällt das Notwehrrecht im Allgemeinen auch nicht wegen der Möglichkeit einer Flucht vor dem Angreifer.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 12.04.2016 – 2 StR 523/15 – hingewiesen.