Tag Stornierung

Kann eine in Zeiten der Corona-Pandemie gebuchte Pauschalreise aus Pandemiegründen kostenfrei storniert werden?

Mit Urteil vom 15.06.2021 – 113 C 3634/21 – hat das Amtsgericht (AG) München in einem Fall, in dem ein Reisender während der Pandemie, am 04.06.2020, eine 

  • Mittelmeerkreuzfahrt inklusive Flug vom 24.11.2020 bis 05.12.2020 von Hamburg nach Italien  

gebucht und am 06.11.2020 den Rücktritt von dem Reisevertrag 

  • mit der Begründung 

erklärt hatte, dass  

  • ganz Italien ab dem 08.11.2020 als Risikogebiet eingestuft sei,
  • eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes erlassen wurde,
  • er sich nach der Rückkehr nach Hause in eine mindestens fünftägige Quarantäne begeben müsste,
  • in Italien außerdem nunmehr eine nächtliche Ausgangssperre gelte und
  • Museen, Theater sowie Ausstellungen, Restaurants und Bars geschlossen seien,  

der von ihm gegen den Reiseveranstalter erhobenen Klage auf Rückzahlung des 

  • vollen Reisepreises 

stattgegeben.

Danach hängt, 

  • wenn in Zeiten der Corona-Pandemie eine Pauschalreise gebucht wird,

die Frage, ob vor Reiseantritt,

  • ohne dass nach § 651 h Abs. 1 S. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine Entschädigungszahlung anfällt, 

vom Reisevertrag 

  • gemäß § 651 h Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BGB aus Pandemiegründen 

zurückgetreten und 

  • gemäß § 651 h Abs. 1 Satz  2, Abs. 5 BGB 

die Rückzahlung des vollen schon (an)gezahlten Reisepreises gefordert werden kann, ab, 

  • von den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere 

davon, ob, aus Sicht eines objektiven Durchschnittsreisenden zum 

  • Zeitpunkt des Rücktritts, 
    • zu dem diese Prognoseentscheidung zu treffen ist,

zu den   

  • zum Zeitpunkt der Buchung bzw. einer nachfolgenden Buchungsbestätigung bereits bekannten (und deshalb akzeptierten), 

Beeinträchtigungen weitere,

  • bei der Buchung noch nicht absehbare, 

Beeinträchtigungen (infolge einer rasanten und massiven Verschlechterung des Infektionsgeschehens) hinzugetreten sind, durch die die konkrete Reise bei Durchführung erheblich beeinträchtigt sein wird (Quelle: Pressemitteilung des AG München). 

Übrigens:
Weitere Infos dazu, wann es möglich ist, eine gebuchte Pauschalreise vor Reiseantritt kostenfrei zu stornieren finden Sie hier.

Eine gebuchte Pauschalreise vor Reiseantritt kostenfrei stornieren – wann ist das möglich?

Von einem mit einem Reiseveranstalter geschlossenen Pauschalreisevertrag (§ 651a Abs. 1 – 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) kann 

  • vor Reiseantritt jederzeit 

(wieder) zurückgetreten werden (§ 651h Abs. 1 Satz 1 BGB).

Wird der Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag vor Reiseantritt erklärt, 

  • verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis (§ 651 h Abs. 1 S. 2 BGB) und 

kann vom Reiseveranstalter,

  • ohne dass diesem nach § 651 h Abs. 1 S. 3 BGB eine angemessene Entschädigung (Rücktritts- bzw. Stornogebühr) zusteht,

die Rückzahlung des vollen schon (an)gezahlten Reisepreises innerhalb von 14 Tagen verlangt werden (§ 651h Abs. 5 BGB, vgl. dazu Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main, Urteil vom 15.10.2020 – 32 C 2620/20 (18) –), wenn (der Rücktritt darauf gestützt werden kann, dass)

  • am Bestimmungsort oder 
  • in dessen unmittelbarer Nähe 

unvermeidbare, außergewöhnliche 

  • Umstände

auftreten, die die 

  • Durchführung der Pauschalreise oder 
  • die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort 

erheblich beeinträchtigen bzw. mit gewisser Wahrscheinlichkeit erheblich beeinträchtigen werden (§ 651 h Abs. 3 BGB).

Solche unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände stellen beispielsweise 

  • Naturkatastrophen oder 
  • schwere Krankheitsausbrüche mit bestehenden erheblichen Risiken für die menschliche Gesundheit  

am Reiseziel zum Reisezeitpunkt dar und ein erhebliches Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände stellt darüber hinaus eine 

  • amtliche Reisewarnung für das konkrete Reiseziel 

dar.

Ob für die Beurteilung 

  • des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände und 
  • damit der Berechtigung deswegen vom Reisevertrag zurückzutreten,  

allein 

  • auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung 

abzustellen ist, also allein maßgeblich ist, ob 

  • aus ex-ante Sicht zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die Prognose zutreffend erschien, 

dass   

  • mit einer gewisse Wahrscheinlichkeit zum Reisezeitpunkt eine konkrete erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch außergewöhnliche Umstände vorliegen wird, 

beispielsweise

  • wegen des Auftretens eines Hurrikans eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% Gefahr für Leib und Leben oder
  • COVID-19 pandemiebedingt am Reiseort im Vergleich zum Wohnort des Reisenden und der Zeit der Reisebuchung ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko und damit ein konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden 

bestehen wird und es unerheblich ist, wenn sich im Nachhinein 

ist streitig.

Allerdings soll eine solche 

  • ex ante 

Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden jedenfalls dann nicht maßgeblich sein,

  • sondern die volle Rückzahlung des Reisepreises verlangt werden können,  

wenn der Reiseveranstalter die Reise vor Reisebeginn 

  • selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstands 

absagt.

Das hat die 24. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main mit 

entschieden und damit begründet, dass die Frage, 

  • ob eine Prognose-Entscheidung des Reisenden hinsichtlich des Auftretens unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zutreffend war, 

sich nur dann stellen kann, wenn die Gefahr von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, 

  • wegen der der Reisende den Rücktritt erklärt hat, 

sich tatsächlich später nicht realisiert hat. 

Was, wer eine Pauschalreise gebucht hat, über die kostenfreie Stornierungsmöglichkeit wissen sollte,

…. insbesondere in Folge der Corona-Pandemie.

Nach § 651h Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) kann,

  • wer mit einem Reiseveranstalter einen Pauschalreisevertrag (§ 651a Abs. 1 – 3 BGB) geschlossen hat,

vor Beginn von der gebuchten Reise 

  • entschädigungslos

dann zurücktreten und den vollen schon (an)gezahlten Reisepreis vom Reiseveranstalter zurückverlangen, wenn  

  • am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe 

unvermeidbare, außergewöhnliche 

  • Umstände

auftreten, die 

  • die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. 

Gemäß Erwägungsgrund 31 der auf Vollharmonisierung zielenden Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen liegen derartige Umstände, 

  • welche es dem Reisenden ermöglichen sollen, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, 

zum Beispiel dann vor, wenn etwa 

  • wegen des Ausbruchs einer schweren Krankheit am Reiseziel erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen.

Ob dies, wie erforderlich, 

  • zum Zeitpunkt der gebuchten Reise der Fall sein wird, 

ist bei einer vor Reiseantritt abgegebenen Rücktrittserklärung durch eine 

  • Prognoseentscheidung

zu beurteilen, im Rahmen welcher danach zu fragen ist, 

  • ob die konkrete Reise aus einer ex-ante-Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird. 

Die Frage,

  • von welchem Gefährdungsgrad an insoweit eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, 

lässt sich dabei 

  • nicht in Form einer festen Größe, sondern 

nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten, wobei zu berücksichtigen ist, zum einen 

  • mit welcher Wahrscheinlichkeit, für welche Rechtsgüter Gefahren drohen 

und zum anderen auch 

  • ob der konkreten Reise, wie etwa im Falle von Abenteuerreisen, ein gewisses Gefahrenpotential bereits immanent ist.

Im Falle einer Gefahr für Leib und Leben 

  • wegen des Auftretens eines Hurrikans 

reicht jedenfalls eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% aus. 

Für eine Beeinträchtigung der Reise 

  • durch die COVID-19-Pandemie, 

wird es insoweit,

  • jedenfalls solange es noch keinen effektiven Schutz gegen das Virus gibt,

für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB ausreichen, wenn ein

  • konkretes Risiko für einen erheblichen Gesundheitsschaden 

besteht, weil am Reiseort im Vergleich 

  • zum Wohnort des Reisenden und 
  • der Zeit der Reisebuchung 

ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht.

Handelt es sich bei der gebuchten Reise beispielsweise um eine Kreuzfahrt, 

  • bei welcher eine große Anzahl Menschen eng miteinander in Berührung kommen, 

besteht die konkrete, 

  • letztlich vom Zufall abhängige 

Gefahr, dass es an Bord zu einem Infektionsgeschehen kommt und damit zugleich 

  • nicht nur die konkrete Gefahr einer eigenen Gesundheitsgefährdung, 
  • sondern – auch für nicht infizierte Passagiere – darüber hinaus die Gefahr, dass das ganze Schiff unter Quarantäne gestellt würde, Landgänge untersagt würden und Passagiere unter Quarantänebedingungen auf dem Schiff festsitzen,

so dass auch infolgedessen eine erhebliche Beeinträchtigung der geplanten Reise konkret zu befürchten sein kann (so Amtsgericht (AG) Stuttgart, Urteil vom 13.10.2020 – 3 C 2559/20 –).

Übrigens:
Eine für den Reisezeitraum geltende Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist keine Voraussetzungen für einen Rücktritt gem. § 651h Abs. 3 BGB, stellt aber ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände dar (AG Frankfurt, Urteil vom 11.08.2020 – 32 C 2136/20 (18) –).

Wichtig zu wissen, wenn eine bei einem Reiseveranstalter gebuchte Pauschalreise wegen Corona nicht durchgeführt wird

Mit Urteil vom 15.10.2020 – 32 C 2620/20 (18) – hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt entschieden, dass ein Reiseveranstalter, der

  • wegen der Corona-Pandemie

eine von Kunden gebuchte Pauschalreise  

  • vor deren Beginn storniert, d.h. vor Reisebeginn von dem geschlossenen Pauschalreisevertrag (§ 651a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) nach § 651h Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BGB zurücktritt 

und 

  • den Kunden die von ihnen (an)gezahlten Reisekosten nicht innerhalb von 14 Tagen nach Stornierung zurückzahlt,

automatisch, also ohne gesonderte Mahnung, 

verschuldensunabhängig in Zahlungsverzug gerät.

Daran ändern, so das AG, 

  • weder ein vom Reiseveranstalter dem Kunden gemachtes, aber nicht akzeptiertes Gutscheinangebot,
  • noch Liquiditäts- und Organisationsschwierigkeiten des Reiseveranstalters

etwas (so auch AG Bad Iburg, Urteil vom 29.10.2020 – 4 C 404/20, 4 C 398/20 –).

Auch ohne Reisewarnung kann Reiseveranstalter bei Stornierung wegen Covid-19 zur Rückzahlung des kompletten

…. Reisepreises verpflichtet sein.

Mit Urteil vom 11.08.2020 – 32 C 2136/20 (18) – hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main in einem Fall, in dem von einem Kunden seine bei einem Reiseveranstalter gebuchte Urlaubsreise nach Ischia (Italien), 

  • die am 14.04.2020 beginnen sowie u.a. einen Flug von Hamburg nach Neapel und zurück beinhalten sollte,    

am 07.03.2020 

  • – zu einem Zeitpunkt als keine Reisewarnung für sein Reisegebiet bestand –

wegen der sich weltweit ausbreitenden Covid-19-Pandemie storniert worden war, entschieden, dass der Reiseveranstalter

  • von dem Kunden keine Stornierungskosten verlangen kann, sondern 

verpflichtet ist, dem Kunden den Reisepreis komplett zurückzuzahlen.

Begründet hat das AG dies damit, dass ein Reiseveranstalter

  • gemäß § 651h Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 

dann nicht berechtigt ist, 

  • Stornierungskosten zu erheben, 

sondern 

  • den kompletten Reisepreis zurückzahlen muss, 

wenn 

  • ein Kunde eine gebuchte Reise vor Reiseantritt storniert 

und zum Zeitpunkt der Reisestornierung, 

  • wie dies hier Anfang März für ganz Italien der Fall war,

aufgrund einer gewissen Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitsgefährdende Ausbreitung des Coronavirus im Reisegebiet,

  • die nicht zwingend eine Reisewarnung für das Reisegebiet voraussetzt,

die Gegebenheiten am Urlaubsort bereits als außergewöhnliche Umstände im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB zu qualifizieren sind (Quelle: Pressemitteilung des AG Frankfurt am Main).

Wer über seine Kreditkarte gegen Reiserücktrittskosten versichert ist, sollte wissen, wann eine den Versicherungsschutz ausschließende

…. Vorerkrankungsklausel unwirksam ist, mit der Folge, dass der Versicherer sich darauf nicht berufen kann und

  • wegen Erkrankung angefallene Reisestornierungskosten erstatten muss.

Mit Urteil vom 13.05.2019 – 3330/18 (24) – hat das Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main entschieden, dass eine in den Versicherungsbedingungen einer Versicherung,

  • bei der Kreditkatenbesitzer über ihre Kreditkarte gegen das Risiko abgesichert sind, eine Reise wegen Krankheit stornieren zu müssen,

enthaltene Klausel, die „Kosten infolge von Vorerkrankungen“ vom Versicherungsschutz ausschließt, dann

  • intransparent und deswegen unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), wenn

in den Versicherungsbedingungen der Begriff „Vorerkrankung“ definiert ist, als

  • „ein bereits vorher bekannter medizinischer Zustand, der Ihnen bekannt war, als Sie Ihre C… Card und andere Karten auf Ihr Kartenkonto beantragten bzw. vor der Buchung Ihrer Reise, je nachdem, was am kürzesten zurückliegt, und weswegen Sie,
    • während der letzten 12 Monate einen Krankenhausaufenthalt hatten, Testergebnis erwarten oder auf der Warteliste für eine Operation, Konsultation oder Untersuchung stehen,
    • innerhalb der letzten 3 Monate begonnen haben, Medikamente einzunehmen, oder die Einnahme geändert oder sich in Behandlung begeben haben,
    • alle 12 Monate oder häufig eine medizinische, chirurgische oder psychiatrische Untersuchung benötigen,
    • die Prognose „unheilbar“ und/oder „chronisch“ erhalten haben“.

Dass diese Vorerkrankungsklausel,

  • nicht klar und nicht verständlich ist und

den Anforderungen an das Transparenzgebot,

  • welches verlangt, dass, wenn der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt wird, dem durchschnittlichen Versicherten deutlich vor Augen geführt werden muss, in welchen Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel noch besteht,

nicht genügt, hat das AG damit begründet,

  • dass der Versicherungsschutz für der versicherten Person bekannte „medizinische Zustände“ insgesamt ausgeschlossen wird,
    • ohne dass, im Gegensatz zu den geläufigen Bezeichnungen „Erkrankung“ bzw. „Befund“, für einen durchschnittlichen Versicherten erkennbar sei, was einen „medizinischen Zustand“ ausmache und
    • ob ein entsprechender Zustand pathologisch, behandlungsbedürftig oder risikobehaftet in Bezug auf den Eintritt des Versicherungsfalls ist,
  • dass ebenfalls nicht klar sei, ob die durch Aufzählungszeichen gegliederten Umschreibungen lediglich Regelbeispiele darstellen oder als abgeschlossener Katalog gelten sollen

und

  • ein Versicherter auch die – nach den ersten drei Aufzählungszeichen der Klausel genannten – Ausschlusszeiträume nicht festlegen könne, da es unklar bleibe, ob diese
    • an den Buchungszeitpunkt anknüpfen oder
    • an den Eintritt des Versicherungsfalls, der seinerseits zeitlich gestreckt durch Krankheit, Arztbesuch und Stornierung ist.