Erleidet eine sturzgefährdete Heimbewohnerin bei einem begleiteten Toilettengang einen Oberschenkelhalsbruch, ist der Heimträger nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Sturz die Folge eines Spontananbruchs des Oberschenkelhalsknochens war.
Das hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 27.01.2014 – 17 U 35/13 – entschieden.
In dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall lebte die im Jahre 1918 geborene Heimbewohnerin seit 2001 in einem Altenheim des beklagten Heimträgers.
Weil die Bewohnerin sturzgefährdet war, wurde sie im Juli 2007 bei einem Toilettengang von einer Pflegekraft des Beklagten begleitet. Die Heimbewohnerin kam zu Fall und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch, der operativ behandelt werden musste. Sie verstarb im Jahre 2009.
Vom Heimträger verlangt die gesetzliche Krankenversicherung der Heimbewohnerin (Klägerin) im Wege Schadensersatzes aus übergegangenem Recht der Bewohnerin die entstandenen Behandlungskosten in Höhe von ca. 7000 Euro.
Das Klagebegehren ist erfolglos geblieben, weil die Klägerin den ihr obliegenden Beweis dafür nicht zu führen vermochte, dass die Versicherungsnehmerin aufgrund eines eigenen Verschuldens des beklagten Heimträgers oder durch ein pflichtwidriges Verhalten der Pflegekraft, das sich der Beklagte gemäß § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) oder über § 831 BGB zurechnen lassen müsste, zu Schaden gekommen ist.
Es stand nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit fest, dass der Oberschenkelhalsbruch, deren Heilbehandlungskosten die Klägerin mit vorliegender Klage erstattet verlangt, dadurch verursacht worden ist, dass der Beklagte seine gegenüber der Versicherungsnehmerin bestehenden Obhutspflichten verletzt hatte.
Nach allgemeinen Beweislastregeln obliegt die Beweislast dafür, dass der Schaden, für den Ersatz verlangt wird, kausal auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten beruht, der Klägerin als Anspruchsstellerin.
Eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten kam im gegebenen Fall nicht in Betracht.
Zwar hat sich der vorliegende Schadensfall durchaus im Rahmen einer Situation ereignet, die dem Bereich des so genannten „voll beherrschbaren Risikos“ zuzuordnen ist und bei der nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung Beweiserleichterungen für den Geschädigten greifen können.
Denn anders als der normale alltägliche Gefahrenbereich im Heim, der grundsätzlich in die Risikosphäre des Bewohners fällt und bei dem dieser im Schadensfall für die Pflichtverletzung und deren Kausalität darlegungs- und beweisbelastet ist, greift in einer konkreten Gefahrensituation, die gesteigerte (erfolgsbezogene) Obhutspflichten bezüglich des Heimbewohners auslöst und deren Beherrschung gerade einer speziell dafür eingesetzten Pflegekraft anvertraut ist, eine Beweislastumkehr analog § 280 Abs. 1 S. 2 n.F. (§ 282 BGB a.F.) ein, so dass sich der Heimträger entlasten muss.
Der vorliegende Fall eines begleitenden Toilettengangs einer unbestritten sturzgefährdeten Heimbewohnerin stellt sich als konkrete, auf den besonderen Schutz dieser Heimbewohnerin angelegte Pflegemaßnahme zweifellos als eine dem voll beherrschbaren Gefahren- und Verantwortungsbereichs zuzuordnende Situation dar.
Allerdings konnte im konkreten Fall nicht festgestellt werden, dass sich in der Verletzung, für die die Klägerin hier Heilbehandlungskosten verlangt, tatsächlich auch ein Risiko verwirklicht hat, dass der Beklagte aufgrund seiner vertraglichen Verpflichtung vollständig zu beherrschen hatte.
Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, dessen Ergebnis von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wurde, verblieb die Möglichkeit, dass der Sturz der Versicherungsnehmerin nur Folge eines Spontanbruches des Oberschenkelhalsknochens gewesen ist, nicht aber seine Ursache.
Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten ausgeführt, dass sowohl für einen sturzausgelösten Oberschenkelhalsbruch als auch für eine durch eine Osteoporose beförderte Spontanfraktur verschiedene Indizien sprächen und die Ursache der Verletzung letztlich aus ärztlicher Sicht nicht geklärt werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Fraktur nicht auf dem Sturzereignis beruhe, sondern eine Spontanfraktur gewesen sei, bewertete der Sachverständige dabei mit mindestens ca. 5-20 %.
Kann auf der Grundlage eines solchen Gutachtenergebnisses nicht sicher festgestellt werden, dass die Verletzung kausal durch den Sturz verursacht worden ist, fehlt es aber an der für die oben dargestellte Beweislastumkehr erforderlichen Voraussetzung, dass sich in dem Schaden ein Risiko verwirklicht hat, das durch den Betrieb des Seniorenheims gesetzt und durch sachgerechte Organisation und Koordination des Behandlungsgeschehens objektiv voll hätte beherrscht werden müssen. Denn nur in diesem Fall ist es gerechtfertigt, dem Heimträger in Abweichung von der allgemeinen Beweislast den Nachweis dafür aufzubürden, dass das Schadensereignis, das zu verhindern grundsätzlich in seine vertraglich übernommene Verpflichtung fiel, nicht auf seine schuldhafte Pflichtverletzung zurückzuführen ist.
Da bei einer bis zu 20%igen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Spontanbruchs die Möglichkeit verblieb, dass die Verletzung auf einer Vorschädigung der Verletzten beruhte, die ihre Ursache nicht im vertraglich übernommenen Risikobereich der Heimleitung hat, konnten der Klägerin Beweiserleichterungen nicht zugutekommen.
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