Tag Strafrecht

Sind „Dashcam“-Aufnahmen als Beweismittel im Straf- und Bußgeldverfahren verwertbar?

Der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart hat dazu jetzt mit Beschluss vom 04.05.2016 – 4 Ss 543/15 – in einer Verkehrsbußgeldsache,

  • in dem der Tatnachweis gegen einen Betroffenen allein aufgrund eines Videos geführt werden konnte, das ein anderer Verkehrsteilnehmer zunächst anlasslos mit einer „Dashcam“ aufgenommen hatte,

entschieden, dass, nachdem § 6b Abs. 3 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) kein Beweisverwertungsverbot für das Straf- und Bußgeldverfahren enthält und aus einem (möglichen) Verstoß gegen diese Vorschrift somit nicht zwingend eine Unverwertbarkeit der Videoaufnahme folgt,

  • eine solche Videoaufnahme jedenfalls für die Verfolgung schwerwiegender Verkehrsordnungswidrigkeiten verwertet werden darf.

Einschränkend festgestellt hat der Senat aber auch, dass die Gerichte über die Verwertbarkeit solcher Aufnahmen jeweils im Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden und im Rahmen der Abwägung dabei zu berücksichtigen haben,

  • einerseits, wie weit und wie intensiv die entsprechende Videoaufnahme des Verkehrsvorganges in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eingreift, beispielsweise ob lediglich ein Verkehrsvorgang dokumentiert und die Identifizierung des Betroffenen mittelbar über das Kennzeichen seines Fahrzeugs ermöglicht worden, also nicht der Kernbereich seiner privaten Lebensgestaltung oder seine engere Privat- oder gar Intimsphäre betroffen und somit der Eingriff als eher gering zu werten ist sowie
  • andererseits, die Schwere des Verkehrsverstoßes, da der Verfolgung schwerer Verkehrsverstöße für die Sicherheit des Straßenverkehrs eine hohe Bedeutung zukommt.

Ferner hat der Senat darauf hingewiesen, dass

  • die Bußgeldbehörden ihrerseits bereits bei Verfahrenseinleitung die Verwertbarkeit derartiger Aufnahmen zu prüfen,
  • a. die Schwere des Eingriffs gegen die Bedeutung und das Gewicht der angezeigten Ordnungswidrigkeit abzuwägen haben und
  • aufgrund des Opportunitätsgrundsatzes (vgl. § 47 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG)) ein ausschließlich auf der Ermittlungstätigkeit von Privaten mittels „Dashcam“ beruhendes Verfahren nicht weiter verfolgen müssen (Quelle: Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 18.05.2016).

Aufnahmen der Fußballstadionkamera können Angeklagten auch entlasten

Ein 20-jähriger Fußballfan des TSV 1860 München, dem die Staatsanwaltschaft zur Last gelegt hatte,

  • nach Ende eines Spiels des TSV 1860 München gegen den Karlsruher SC in der Nordkurve der Allianz Arena einen unbekannten Mann mit der Hand ins Gesicht geschlagen und
  • sich damit der Körperverletzung schuldig gemacht zu haben,

ist mit Urteil des Amtsgerichts (AG) München vom 22.02.2016 – 1031 Ds 467 Js 203867/15 jug –

  • nach Inaugenscheinnahme der von einer Stadionkamera aufgenommenen Videosequenzen freigesprochen worden.

Dies deshalb, weil die Videoaufnahmen zeigten,

  • dass die Aggression zunächst eindeutig nicht von dem Angeklagten, sondern von dem unbekannten Geschädigten ausgegangen war,
  • dieser dem Angeklagten einen Schlag, vermutlich mit der Faust, ins Gesicht versetzt,
  • erst darauf hin der Angeklagte mit einem reflexartigen Schlag mit der offenen Hand reagiert hatte und

dieses Verhalten des Angeklagten somit durch Notwehr gerechtfertigt und nicht strafbar war.
Denn, so das AG, aufgrund des aggressiven Verhaltens des Geschädigten habe der Angeklagte sich der Gefahr ausgesetzt gesehen, weiter körperlich angegriffen sowie möglicherweise verletzt zu werden und sich gegen die Fortsetzung des körperlichen Angriffs des Geschädigten auf die erfolgte Art und Weise zur Wehr setzen dürfen.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 02.05.2016 – 35/16 – mitgeteilt.

Nicht jeder strafbare Versuch einer Straftat kann bestraft werden

Wann ist der Versuch einer Straftat strafbar und wann bleibt ein Täter in einem solchen Fall trotzdem straffrei, weil er strafbefreiend von der versuchten Tat zurückgetreten ist?

Legt die Staatsanwaltschaft einem zur Last,

  • zwar keine vollendete Straftat begangen,
  • sich aber des Versuchs einer Straftat schuldig gemacht zu haben, also gemäß § 22 Strafgesetzbuch (StGB) nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt zu haben,

muss man wissen, dass nach § 23 Abs. 1 StGB

  • der Versuch eines Verbrechens (§ 12 Abs. 1 StGB) stets strafbar ist,
  • der Versuch eines Vergehens (§ 12 Abs. 2 StGB) jedoch nur dann, wenn das Gesetz (wie beispielsweise in § 223 Abs. 2 StGB) es ausdrücklich bestimmt.

Ist der Versuch der Straftat, deren man beschuldigt wird, danach strafbar und liegen die Voraussetzungen des Versuchs nach § 22 StGB vor, muss stets auch, was oft unzureichend getan oder schlicht übersehen wird, geprüft werden,

  • ob der Angeklagte strafbefreiend nach § 24 StGB von der versuchten Tat zurückgetreten ist,
  • was voraussetzt, dass
    • es sich um keinen fehlgeschlagenen Versuch handelt und
    • davon abhängig sein kann, ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt.

Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Täter nach der letzten von ihm vorgenommenen Tathandlung erkennt,

  • dass mit den bereits eingesetzten oder den ihm sonst zur Hand liegenden Mitteln der erstrebte Taterfolg nicht mehr herbeigeführt werden kann,
  • ohne dass er eine neue Handlungs- und Kausalkette in Gang setzt (s. etwa nur Bundesgerichtshof (BGH), Urteile vom 30.11.1995 – und vom 19.05.2010 – 2 StR 278/09 –).

Die subjektive Sicht des Täters ist auch dann maßgeblich, wenn

  • der Versuch zwar objektiv fehlgeschlagen ist,
  • der Täter dies aber nicht erkennt;
  • zumindest soll ein freiwilliger Verzicht auf weitere Tathandlungen zur Straffreiheit nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB führen (vgl. BGH, Beschluss vom 24.11.2004 – 5 StR 239/04 –).

Für die Frage, ob ein Versuch

  • unbeendet oder
  • beendet ist,

kommt es maßgeblich darauf an, welche Vorstellung der Täter nach seiner letzten Ausführungshandlung von der Tat hat (sog. Rücktrittshorizont; s. nur BGH, Urteil vom 19.03.2013 – 1 StR 647/12 –).

Danach liegt ein unbeendeter Versuch vor, wenn

  • der Täter nach seiner Vorstellung nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was zur Tatbestandsverwirklichung bzw. zur Herbeiführung des Taterfolgs erforderlich oder zumindest ausreichend ist;
  • in diesem Fall kann der Täter allein durch das freiwillige Unterlassen weiterer auf den Taterfolg abzielender Handlungen, also das bloße Nichtweiterhandeln strafbefreiend vom Versuch zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB).

Hält der Täter dagegen

  • nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des Taterfolgs für möglich, so ist der Versuch beendet;
  • der strafbefreiende Rücktritt setzt dann voraus, dass der Täter
    • den Taterfolg freiwillig durch aktives Tun verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB) oder
    • zumindest entsprechende ernsthafte Bemühungen entfaltet, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB; s. BGH, Beschluss vom 19.05.1993 – GSSt 1/93 –).

Sind an einer Tat mehrere beteiligt, so wird gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB nicht bestraft,

  • wer freiwillig die Vollendung verhindert.

Diese Verhinderungsleistung kann indes schon darin zu sehen sein, dass die Beteiligten es einvernehmlich unterlassen, weiter zu handeln (st. Rspr.; s. BGH, Beschlüsse vom 04.04.1989 – 4 StR 125/89 –; vom 19.06.1991 – 3 StR 481/90 – und vom 19.03.2013 – 1 StR 647/12 –).
Ob darin ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch gesehen werden kann, hängt wiederum entscheidend von dem Vorstellungsbild der Täter nach der letzten von ihnen vorgenommenen Ausführungshandlung ab:
Gehen sie zu diesem Zeitpunkt davon aus, noch nicht alles getan zu haben, was nach ihrer Vorstellung zur Herbeiführung des Taterfolgs erforderlich oder zumindest ausreichend ist und liegt mithin ein unbeendeter Versuch vor, so können sie durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten.

Darauf hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 23.02.2016 – 3 StR 5/16 – hingewiesen.

Rechtsstaatswidrige polizeiliche Tatprovokation

Eine das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)) verletzende polizeiliche Tatprovokation, die zu einer Strafmilderung, aber auch zu einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines Verfahrenshindernisses führen kann (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 23.10.2014 – Individualbeschwerde Nr. 54648/09 – und Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –), liegt vor, wenn sich die Ermittlungsperson nicht mehr auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat.

Dies ist der Fall, wenn eine

  • unverdächtige und
  • zunächst nicht tatgeneigte

 

Person, d.h. eine Person, bei der es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht nicht gab, dass sie an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt ist,

  • durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet worden ist und
  • dies zu einem Strafverfahren geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –; Beschluss vom 19.05.2015 –1StR128/15 –; Urteil vom 30.05.2001 – 1 StR 42/01 –; Urteil vom 18.11.1999 – 1 StR 221/99 –).

 

Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn

  • eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder
  • eine Intensivierung der Tatplanung

 

mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt.

Auch

  • bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen,

 

soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht (beispielsweise bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz) „unvertretbar übergewichtig“ ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –; Beschluss vom 19.05.2015 – 1 StR 128/15 –; Urteil vom 11.12.2013 – 5 StR 240/13 –).

  • Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person dagegen lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation.
  • Ebenso fehlt es an einer Provokation, wenn die Vertrauensperson nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt (BGH, Beschluss vom 19.05.2015 – 1 StR 128/15 –; Urteil vom 30.05.2001 – 1 StR 42/01 –; Urteil vom 18.11.1999 – 1 StR 221/99 –).

 

Darauf hat der 4. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 19.01.2016 – 4 StR 252/15 – hingewiesen. 

 

In einer Studenten-WG – Wer hat dort das Hausrecht?

Eine studentische Wohngemeinschaft ist auf das Zusammenleben regelmäßig jüngerer Erwachsener in einer vergleichbaren Lebenssituation ausgerichtet. Neben Räumen, die ein einzelner allein nutzt, verfügt sie über von allen Mitbewohnern gemeinsam zu nutzende Räume. Der dauerhafte Aufenthalt von Angehörigen einer anderen Generation in diesen Räumen ist ihr fremd. In einer Wohngemeinschaft suchten zudem ihre Mitglieder neue Mitbewohner aus.
Ein Mitbewohner der WG

  • darf deshalb zwar während seiner urlaubsbedingten Abwesenheit, beispielsweise zur Versorgung seiner dort gehaltenen Haustiere seiner Mutter die Schlüssel überlassen und das Betreten der Wohnung gestatten,  
  • kann ihr aber keinen dauerhaften, sich über mehrere Tage hinziehenden Aufenthalt in den auch gemeinschaftlich zu nutzenden Räumen der Wohnung erlauben.

 

Darauf hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Urteil vom 22.01.2016 – 11 U 67/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem ein Bewohner einer Studenten-WG seine Mutter gebeten hatte, während seines Urlaubs auf die Wohnung aufzupassen sowie seine dort gehaltenen Haustiere, zwei kleine Katzen und ein Meerschweinchen, zu versorgen und
  • sich die Mutter zu diesem Zweck während der Abwesenheit ihres Sohnes in der Wohnung aufgehalten hatte,

 

entschieden, dass

  • sich die Mutter des Studenten gegen den Willen anderer Mitglieder der Studenten-WG nicht dauerhaft in den Räumen der WG aufhalten darf,
  • in einem solchen Fall andere Mitglieder der Studenten-WG berechtigt sind, sie aus der Wohnung zu verweisen und
  • Polizeibeamte das Hausrecht dieser Mitbewohner zwangsweise durchsetzen dürfen, wenn die Mutter des Studenten auch nach vorheriger, polizeilicher Aufforderung die Räume der WG nicht freiwillig verlässt.

 

Das hat die Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm am 24.02.2016 mitgeteilt.

 

Auch Whatsapp-Nachrichten können den Tatbestand des Sexuellen Missbrauchs von Kindern erfüllen

Wer auf ein Kind

  • mittels Schriften (§ 11 Absatz 3 Strafgesetzbuch – StGB) oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt,
  • um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einer dritten Person vornehmen oder von dem Täter oder einer dritten Person an sich vornehmen lassen soll,

 

wird wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Erfüllt ist dieser Straftatbestand, wenn ein Erwachsener, beim Chatten über den Kurznachrichtendienst Whatsapp, ein neunjähriges Mädchen

  • zunächst nach ihrem Freund sowie in den folgenden Tagen danach fragt, ob die Nacht bei ihrem Freund schön gewesen sei, ob sie eine Freundin für ihn habe, die nicht erwachsen sein müsse und sodann noch, „vielleicht mag sie mich ja auch. Dann können wir ja zu 4 was machen. Du und dein Freund u ich mit ihr“.

 

Nicht erforderlich dabei ist, dass sich der Absender und der Adressat des Kontaktes zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme noch nicht kennen.

Das hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschluss 14.01.2016 – 4 RVs 144/15 – entschieden.

Wie der Senat zur Begründung seiner Entscheidung u. a. ausgeführt hat,

  • war die auf das Mobiltelefon des Mädchens geschickte Nachricht mit dem Vorschlag, „etwas zu viert zu machen“ eine Schrift im Sinne von §§ 176 Abs. 4 Nr. 3, 11 Abs. 3 StGB,
  • mit der auf das Mädchen eingewirkt worden ist, weil
    • der Vorschlag eines sexuellen Erlebnisses mit mehreren Beteiligten, das das Mädchen noch nicht gehabt habe, ersichtlich dazu gedient habe die Neugier des Mädchens zu wecken.

 

In dem der Entscheidung des 4. Strafsenats des OLG Hamm zugrunde liegendem Fall ist der Angeklagten aufgrund des obigen Chats wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer in ihrer Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt worden.
Er war zur Tatzeit 55 Jahre alt und hatte das 9 Jahre alte Mädchen bereits einige Zeit gekannt.

 

Selbstbedienungstanken ohne Bezahlung

Wer einen PKW an einer Selbstbedienungstankstelle betankt und anschließend ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davonfährt, macht sich dann nicht strafbar, wenn

  • er vorhatte die eingefüllte Treibstoffmenge zu bezahlen,
  • dies aber lediglich vergessen hat, weil er beispielsweise mit seinen Gedanken gerade woanders war.

 

Wer dagegen – wie von vornherein geplant – ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davonfährt, macht sich des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB strafbar, weil er in einem solchen Fall

  • durch (konkludentes) Vortäuschen einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal der Tankstelle einen entsprechenden Irrtum hervorruft,
  • der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt.

 

Ist das Betanken des Fahrzeugs allerdings vom Kassenpersonal nicht bemerkt worden, liegt, mangels Irrtumserregung,

  • kein vollendeter,
  • sondern nur ein versuchter Betrug nach § 263 Abs. 1 und Abs. 2 StGB vor (vgl. Bundesgerichtshofs (BGH), Beschlüsse vom 13.01.2016 – 4 StR 532/15 –; vom 10.01.2012 – 4 StR 632/11 – und vom 28.07.2009 – 4 StR 254/09 –).

 

Wann liegt Steuerhinterziehung in großem Ausmaß vor?

Nach § 370 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) wird

  • mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft,

 

wer

  • den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
  • die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
  • pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt und

 

dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,

  • wobei die Gefährdung des durch die Verwirklichung des materiellen Besteuerungstatbestands entstandenen Steueranspruchs durch die infolge einer solchen Tathandlung unterbliebene, zu niedrige oder nicht rechtzeitig erfolgte Steuerfestsetzung für die Erfüllung des Straftatbestands genügt, unabhängig davon, ob das „staatliche Vermögen“ dadurch gemindert worden ist oder letztlich gar keine Zahllast des Steuerpflichtigen festzusetzen ist (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO).

 

Werden von einem Steuerpflichtigen

  • in großem Ausmaß

 

Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, liegt in der Regel ein besonders schwerer Fall vor, der nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO

  • mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft wird.

 

Mit Urteil vom 27.10.2015 – 1 StR 373/15 – hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) jetzt darauf hingewiesen,

  • dass ein großes Ausmaß im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO und damit ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung in der Regel immer schon dann vorliegt, wenn der Steueranspruch des Fiskus in einer Höhe von mehr als 50.000 Euro gefährdet ist und
  • an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr festgehalten wird, nach der die Wertgrenze in Fällen, in denen sich das Verhalten des Täters darauf beschränkte, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs führte, bei 100.000 Euro lag.

 

Damit liegt nunmehr ein großes Ausmaß im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bei jeder Steuerhinterziehung über 50.000 Euro vor. 

 

Betäubungsmittelabhängiger 18-jähriger Schüler muss in Entziehungsanstalt

Das Amtsgericht (AG) München hat mit Urteil vom 17.11.2015 – 1032 Ls 454 Js 148284/15 jug – nach § 64 Satz 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Unterbringung eines 18-jährigen Schülers,

  • der nach dem Konsum von Haschisch, mit dem Wirt einer Gaststätte, in der er eine Flasche Bier zum Mitnehmen gekauft hatte, in Streit geraten und aus der Gaststätte verwiesen worden war, auf der Straße gegen ein geparktes Fahrzeug getreten, dieses dabei aber nicht beschädigt hatte sowie
  • anschließend, als der Wirt und ein Gast aus der Gaststätte gekommen waren, zunächst mit einem massiven Glasaschenbecher auf den Gast und nachfolgend auf die herbeigerufenen Polizeibeamten mit der Bierflasche aus dem Lokal losgegangen war und diese massiv beschimpft und beleidigt hatte,

 

in einer Entziehungsanstalt angeordnet, weil aufgrund der Beweisaufnahme feststand, dass

  • der Schüler, der seit seinem 14. Lebensjahr Drogen aller Art konsumierte, betäubungsmittelabhängig war sowie aufgrund des Betäubungsmittelmissbrauchs an einer drogenindizierten Psychose litt,
  • nicht ausgeschlossen werden konnte, dass er bei Begehung der versuchten gefährlichen Körperverletzung, des geleisteten Widerstands gegen die Polizeibeamten sowie der Beleidigung schuldunfähig war, da er sich aufgrund seiner Psychose verfolgt fühlte und
  • weitere erhebliche rechtswidrige Taten durch ihn zu befürchten waren.

 

Eine Bestrafung des Schülers kam wegen der nicht ausschließbaren Schuldunfähigkeit zu den Tatzeitpunkten nicht in Betracht.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 25.01.2016 mitgeteilt.

Die Dauer der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zwei Jahre nicht übersteigen. Ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist, muss das Gericht nach § 67e Abs. 1 und Abs. 2 StGB spätestens alle sechs Monate zu prüfen.
Ausgesetzt zur Bewährung wird die weitere Vollstreckung der Unterbringung, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird.

 

Verurteilung allein aufgrund der Zeugenaussage des Tatopfers?

Wird eine Tat vom Tatopfer selbst in einer Zeugenaussage geschildert, so kann der Angeklagte aufgrund dieser Aussage auch dann verurteilt werden, wenn keine weiteren belastenden Indizien vorliegen.
Ist der Tatrichter von der Glaubhaftigkeit der Angaben des Tatopfers überzeugt, steht der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ einer Verurteilung in einem solchen Fall nicht entgegen.
Die Beweiswürdigung und damit auch die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist nämlich allein Sache des Tatrichters.
Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und Zeugenaussagen zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend sein, es genügt, dass sie möglich sind.

Wird ein Angeklagter verurteilt und legt er gegen das Urteil Revision ein, können die Revisionsrichter, was die Frage der tatrichterlichen Beweiswürdigung betrifft, nur überprüfen, ob dem Tatrichter dabei Fehler unterlaufen sind und rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung des Tatrichters nur, wenn sie

 

Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.

Allerdings werden, wenn die Überzeugung des Tatrichters von der Täterschaft eines Angeklagten allein auf der Aussage des einzigen Opferzeugen beruht, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen gestellt.
In solchen Fallkonstellationen müssen die schriftlichen Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
Insbesondere die Aussage des Zeugen selbst hat der Tatrichter einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen.

Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben.
Darüber hinaus ist es in Fällen,

  • in denen die Angaben des einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten,
  • jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den schriftlichen Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.08.2011 – 1 StR 114/11 – und Beschluss vom 24.04.2014 – 5 StR 113/14 –).

 

Fehlt es an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung

  • der Aussagequalität und
  • der Aussagekonstanz sowie
  • eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht,

 

sind die Beweiserwägungen zur Glaubhaftigkeit der Angaben eines Zeugen lücken- und damit rechtsfehlerhaft.

Ebenfalls lückenhaft sind

  • bei kindlichen Zeugen die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung,
  • wenn der Tatrichter nicht erkennbar erwogen hat, ob Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung des Kindes durch Dritte bestehen, die den Inhalt ihrer Zeugenaussage beeinflusst haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 24.04.2014 – 5 StR 113/14 –).

 

Darauf hat der 2. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 02.09.2015 – 2 StR 101/15 – hingewiesen.