Tag Strafrecht

Bloße Ermöglichung der eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung eines anderen ist nicht strafbar

Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung einer Person unterfällt,

  • wenn sich das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko realisiert, die Person sich also dabei verletzt oder zu Tode kommt,

 

grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts.

Deshalb kann auch der, der eine Selbstgefährdung eines anderen

  • veranlasst,
  • ermöglicht oder
  • fördert,

 

nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden.

Denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches – soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht – kein tatbestandsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (siehe nur Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 28.01.2014 – 1 StR 494/13 –).
Diese Grundsätze gelten sowohl für die vorsätzliche als auch die fahrlässige Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder Selbstverletzung.

Allerdings entfällt bei dem, der durch sein Verhalten zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung

  • einer Person ermöglicht, für deren Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von § 13 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) einzustehen hat,
  • die Erfolgsabwendungspflicht nicht (im Ergebnis auch BGH, Urteil vom 21.12.2011 – 2 StR 295/11 –).

 

Denn die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran,

  • dass Garantenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen,
  • in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage (für Gesundheit oder Leben des anderen) erwächst.
  • Mit dem Eintritt einer solchen Gefahrenlage ist der Garant verpflichtet, den drohenden Erfolg (der Gesundheitsverletzung bzw. des Todes) abzuwenden.

 

An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten,

  • wenn das Selbstgefährdungsverhalten eines ums Leben Gekommenen sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben in einer (möglichen) eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft.
  • Dann ist zwar
    • jegliche Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung selbst für einen Garanten straffrei,
    • bei Realisierung des von dem betroffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos (für seine Gesundheit bzw. sein Leben) aber eine strafbewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus § 13 Abs. 1 StGB gegeben.

 

Anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der (bloßen) Selbstgefährdung

 

Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts, d.h. der Gesundheitsverletzung bzw. des Todes, bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der Selbstgefährdung dann gerade nicht notwendig verbunden.

  • Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts Lebens,
  • umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts Leben nicht zugleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter Gefahr geratenen Rechtsguts Leben.

 

Eine Person,

  • die nach den allgemeinen Grundsätzen des § 13 Abs. 1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist,
  • trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden.

 

Darauf hat der 1. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15 – hingewiesen und in einem Fall die Verurteilung eines Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB bestätigt, weil er

  • durch sein Verhalten ermöglicht hatte, dass ein anderer unverdünntes hochgradig gesundheits- und lebensgefährliches Gammabutyrolacton (GBL) als Drogenersatz konsumieren konnte und
  • keine ärztliche Hilfe herbeigerufen hatte, obwohl er davon ausging, dass der andere, was auch der Fall war, eine tödlich wirkende Menge von dem GBL konsumiert hatte, an der er dann auch verstorben war.

 

Ob im Fall eines eigenverantwortlichen Suizids des später Verstorbenen

  • nach Verlust der Handlungsherrschaft des den Selbstmord Anstrebenden etwas anderes gilt (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2011 – 2 StR 295/11 –),
  • hat der Strafsenat offen gelassen, weil in dem von ihm entschiedenen Fall ein Selbsttötungswille des Verstorbenen nicht vorgelegen hatte.

 

Vorzeitige Aufhebung einer strafrichterlich festgesetzten Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis?

Ist einem Angeklagten nach § 69 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) die Fahrerlaubnis entzogen und gemäß § 69a Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt worden, dass ihm für eine bestimmte Dauer, die von sechs Monaten bis zu fünf Jahren betragen kann, keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre), kann das Gericht nach § 69a Abs. 7 StGB die Sperre vorzeitig aufheben, wenn

  • diese mindestens drei Monate bzw. bei Verurteilten, gegen die in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist, ein Jahr betragen hat und
  • sich Grund zu der Annahme ergibt, dass der Verurteilte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, d. h. eine auf neuen Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird.

 

Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit

 

Hat ein Verurteilter einen Kurs zur Wiedererlangung der Fahreignung absolviert, kann das zu einer vorzeitigen Aufhebung der Sperre führen.
Entscheidend ist dabei, welchen Inhalt der vom Verurteilten besuchte Kurs hat und ob die von ihm durchgeführte Maßnahme den notwendigen Erfolg hinsichtlich seiner Fahreignung verspricht.

Darauf hat das AG Kehl mit Beschluss vom 22.12.2015 – 2 Cs 206 Js 4523/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem einem bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr Verurteilten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten festgesetzt worden war,
  • auf dessen Antrag hin, sieben Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, die verhängte Sperre für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis vorzeitig aufgehoben,

 

weil

  • der Verurteilte erfolgreich an einem vom TÜV Süd angebotenen Kurs „Plus 70” für alkoholauffällige Kraftfahrer zur Wiederherstellung der Fahreignung teilgenommen hatte und
  • ihm nicht nur bescheinigt worden war, dass er regelmäßig und pünktlich für insgesamt zwölf Stunden an allen Terminen teilgenommen hatte, alle im Kursprogramm vorgesehenen Themen mit dem Verurteilten aktiv in und mit der Gruppe bearbeitet, die Kursaufgaben in und zwischen den Sitzungen erfüllt worden sind und die Teilnahme des Verurteilten am Gruppengeschehen aktiv gewesen ist,
  • sondern auch die Erwartung geäußert wurde, dass die anlassgebende Thematik individuell aufgearbeitet habe werden können und dass beim Verurteilten eine hohe Motivation gegeben sei, das im Kurs Erlernte nunmehr in der Praxis umzusetzen und deshalb davon auszugehen sei, dass durch die erfolgreiche Kursteilnahme die Wahrscheinlichkeit, erneut durch ein Trunkenheitsdelikt aufzufallen, deutlich reduziert sei.

 

In dem der Entscheidung des AG Kehl zugrunde liegendem Fall hatte die Alkoholisierung des bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretenen Verurteilten bei der Tat 1,41 Promille betragen.

Hinweis:
Ist eine gerichtlich festgesetzte Sperre abgelaufen oder wird sie, wie im obigen Fall vorzeitig aufgehoben, bedeutet dies nicht, dass der Verurteilte seine Fahrerlaubnis damit (schon) wieder hat.
Vielmehr muss der Verurteilte, weil ihm die Fahrerlaubnis ja entzogen worden ist, die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde beantragen. Die Fahrerlaubnisbehörde entscheidet dann ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ihm eine Fahrerlaubnis wieder erteilt wird (vgl. hierzu § 20 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (FeV) und Verwaltungsgericht (VG) Berlin, Beschluss vom 22.12.2014 – 4 L 298.14 –).

 

Auswechslung eines bestellten Pflichtverteidigers, wann geht das?

Ist für einen Beschuldigten, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) vorliegt, er keinen Wahlverteidiger (vgl. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) hat und nachdem er gemäß § 142 StPO Gelegenheit hatte einen Verteidiger zu nennen, verfahrensfehlerfrei ein Pflichtverteidiger bestellt worden, wird diese Bestellung nach § 143 StPO in der Regel, von begründeten Ausnahmefällen abgesehen, dann wieder zurückgenommen,

  • wenn sich ein Wahlverteidiger für den Beschuldigte anzeigt.

 

Abgesehen davon ist über den Wortlaut des § 143 StPO hinaus der Widerruf der Bestellung eines Pflichtverteidigers

  • aus wichtigem Grund zulässig,
  • wobei als wichtiger Grund jeder Umstand in Frage kommt, der den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet.

 

Das ist aber nicht schon dann der Fall, wenn lediglich Auffassungsgegensätze zwischen Beschuldigten und Verteidiger über die Art der Führung der Verteidigung bestehen. Denn ein Beschuldigter hat keinen Anspruch auf Abberufung eines Verteidigers, zu dem er kein Vertrauen zu haben glaubt.

  • Wird vom Beschuldigten behauptet, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts sei zerstört, muss dies von ihm mit konkreten Tatsachen belegt werden.
  • Es ist dann vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus zu beurteilen, ob das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger tatsächlich endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann.

 

Ist das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger auch vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten aus gesehen, endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen, dass die sachgerechte Verteidigung durch den zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts nicht (mehr) gewährleistet ist, ist seine Bestellung zum Pflichtverteidiger zu widerrufen und soweit noch erforderlich, nach entsprechender Anhörung des Beschuldigten gemäß §142 StPO ein anderer Pflichtverteidiger zu bestellen.   

Aber auch wenn kein wichtiger Grund für eine Abberufung des bestellten Pflichtverteidigers vorliegt, kann eine Auswechslung des Pflichtverteidigers dann erfolgen, wenn

  • der Beschuldigte sowie beide Rechtsanwälte, der bestellte und der andere, der neu bestellt werden soll, damit einverstanden sind,
  • dadurch keine Verfahrensverzögerung eintritt und
  • keine Mehrkosten entstehen, weil der neu als Pflichtverteidiger zu bestellende Rechtsanwalt, was in einem solchen Fall zulässig ist, auf seinen Gebührenanspruch in Höhe der Gebühren verzichtet, die bereits durch die Vertretung durch den Rechtsanwalt, der als Pflichtverteidiger entbunden werden soll, angefallen sind (vgl. Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 17.12.2015 – 2 Ws 582/15 –).

 

Haftet wer die Selbstgefährdung eines anderen veranlasst bei Realisierung der Gefahr?

Wer einen anderen Erwachsenen zu selbstgefährdendem Tun veranlasst, haftet,

  • sofern sich seine Rolle auf die Förderung des Entschlusses zum selbstgefährdenden Tun und die aktive Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen beschränkt,

 

nicht für Schäden, die dem Erwachsenen entstehen, wenn sich die Gefahr realisiert, in die sich dieser eigenverantwortlich selbst begeben hat.

Darauf hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm mit Beschlüssen vom 20.10.2015 – 9 U 142/14 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem die Klägerin veranlasst und unterstützt durch den Beklagten, letztendlich aber selbst zum Tanzen auf eine dafür erkennbar ungeeignete, wackelige Bierbank gestiegen und sodann herab gestürzt war,

 

die Klage der Klägerin gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen ihrer bei dem Sturz erlittenen Verletzungen abgewiesen (vgl. Beschluss vom 25.11.2015 – 9 U 142/14 –)

Begründet hat der Senat die klageabweisende Entscheidung damit, dass

  • die Gefahr, dass die Bank dann, wenn Personen sie besteigen und auf ihr tanzten, wackeln würde und diese Personen letztlich aus dem Gleichgewicht und zum Sturz gebracht werden könnten, von vornherein bestanden habe und gleichermaßen für alle Beteiligten erkennbar gewesen sei, namentlich auch für die Klägerin,
  • der Beklagte durch sein Verhalten keine besondere zusätzliche Gefahr geschaffen, sondern sich vielmehr in dem streitgegenständlichen Unfall lediglich die (erkennbar) allgemein und von vornherein mit dem Besteigen der hierfür ungeeigneten Bank zum Tanzen verbundene Gefahr realisiert habe,
  • die Klägerin demzufolge für ihr Verhalten und für die damit verbundene Selbstgefährdung letztlich selbst verantwortlich sei und
  • ihre Schädigung dem Beklagten haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden könne.

 

Denn es bestehe, wie der Senat weiter ausgeführt hat,

  • weder ein allgemeines Gebot, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren,
  • noch ein generelles Verbot, sie zur Selbstgefährdung psychisch zu veranlassen, sofern nicht – was hier nicht der Fall war – das selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation (wie etwa bei den sogenannten „Verfolgungsfällen“) „herausgefordert“ worden ist.

 

Beschränke sich die Rolle des für die Selbstschädigung des Geschädigten zur Mitverantwortung herangezogenen Schädigers – wie hier –

  • auf die Förderung des Entschlusses zum selbstgefährdenden Tun und
  • die aktive Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen,

 

so fehle es an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang.

Etwas anderes würde nach Ansicht des Senats allenfalls dann gelten, wenn

  • der Beklagte durch Inanspruchnahme einer übergeordneten Rolle als „Experte“ o.ä. der Klägerin gegenüber eine Garantenstellung für die Durchführung des gemeinsamen Unternehmens übernommen oder
  • durch sein Verhalten einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung der Klägerin eröffnet hätte.

 

Hinweis:
Zur Frage, wann sich der, der eine Selbstgefährdung eines anderen veranlasst, ermöglicht oder gefördert hat, bei Verwirklichung des Risikos strafbar machen kann, vergleiche den Beschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 05.08.2015 – 1 StR 328/15 –.

 

Rechte von Opfern von Straftaten werden gestärkt

Das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) sieht u. a. vor, dass bei einem Verletzten einer Straftat, wenn er Zeuge ist, künftig vom Gericht

  • die den Zeugen betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen stets unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten durchzuführen sind und
  • insbesondere geprüft werden muss,
    • ob aufgrund einer dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen seine Vernehmung nach § 168e Strafprozessordnung (StPO) getrennt von Anwesenheitsberechtigten durchzuführen ist oder nach § 247a StPO die audiovisuelle Vernehmung des Zeugen anzuordnen ist,
    • ob überwiegende schutzwürdige Interessen des Zeugen den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) während der Vernehmung des Zeugen erfordern und
    • inwieweit auf nicht unerlässliche Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen nach § 68a Ab. 1 StPO verzichtet werden kann (vgl. § 48 Abs. 3 StPO n.F.)

 

Ein Verletzter, der Anzeige nach § 158 Abs. 1 StPO erstattet, kann künftig beantragen,

  • dass ihm der Eingang seiner Anzeige schriftlich bestätigt wird.
    Er erhält dann eine kurze Zusammenfassung der Angaben des Verletzten zu Tatzeit, Tatort und angezeigter Tat.
    Versagt werden kann eine solche Bestätigung nur, wenn der Untersuchungszweck dadurch in dem angezeigten oder einem anderen Strafverfahren gefährdet würde.

 

Verletzte, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, haben künftig Anspruch auf die notwendige Hilfe, um die Anzeige in einer ihnen verständlichen Sprache anzubringen (vgl. § 158 Abs. 4 StPO n.F.)

Nebenkläger im Strafverfahren, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, können künftig beantragen, dass sie eine Übersetzung der schriftlichen Unterlagen erhalten, die zur Ausübung ihrer strafprozessualer Rechte erforderlich sind (§ 397 Abs. 3 StPO n.F.).

Ferner werden die Auskunftsrechte eines Verletzten nach § 406d StPO erweitert.
Der Verletzte einer Straftat kann künftig auch beantragen (vgl. § 406d Abs. 1 und 2 StPO n.F.), dass ihm mitgeteilt wird,

  • die Einstellung des Verfahrens,
  • der Ort und Zeitpunkt der Hauptverhandlung sowie die gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen,
  • der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens uns auch,
  • ob der Beschuldigte oder Verurteilte sich einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch Flucht entzogen hat und welche Maßnahmen zum Schutz des Verletzten deswegen gegebenenfalls getroffen worden sind.

 

Künftig müssen Verletzte auch möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache über ihre Befugnisse im Strafverfahren und außerhalb des Strafverfahrens unterrichtet und ihre Rechte hingewiesen werden (§§ 406i, 406j StPO n.F.).

Die oben genannten Neuerungen werden am Tag nach der Verkündung des 3. Opferrechtsreformgesetzes im Bundesgesetzblatt in Kraft treten..
Abgesehen davon wird ab 01.01.2017 für besonders schutzbedürftige Verletzte dann auch die Möglichkeit bestehen, sich zusätzlich des Beistands eines psychosozialen Prozessbegleiters zu bedienen.  

 

Wenn der Staatsanwalt Anklage erhebt

Nach § 203 Strafprozessordnung (StPO) lässt das Gericht eine Anklage der Staatsanwaltschaft zu und beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens,

  • wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.

 

Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn

  • die nach Maßgabe des Akteninhaltes, nicht lediglich aufgrund der Anklageschrift, vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt,
  • dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist.

 

Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn

 

Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert.
Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO.

  • Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind.

 

Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz „in dubio pro reo“ ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts

  • zwar grundsätzlich noch kein Raum,
  • jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

 

Bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts gem. § 203 StPO sind auch die Grundsätze des Indizienbeweises zu berücksichtigen.
Der Indizien- oder Anzeichenbeweis ist ein Beweis,

  • bei dem von einer mittelbar bedeutsamen Tatsache
  • auf eine unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache geschlossen wird.

 

Ein Indiz kann aus persönlichen, z. B. aus dem Verhalten eines Verfahrensbeteiligten, oder sachlichen Beweismitteln geschlossen werden.
Grundsätzlich ist eine Gesamtwürdigung aller nicht ausschließbar entscheidungserheblichen Beweisanzeichen notwendig.
Die Indizien selbst allerdings müssen unzweifelhaft oder doch mindestens hoch wahrscheinlich feststehen, bevor Rückschlüsse, die nicht lediglich Spekulation sein dürfen, aus ihnen gezogen werden können.
Diese Voraussetzung korrespondiert zwanglos mit dem Umstand, dass die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat durch einen Beschuldigten nur aus bestimmten Tatsachen, nicht jedoch aus Vermutungen hergeleitet werden darf.

Darauf hat der Strafsenat des OLG Rostock mit Beschluss vom 27.11.2015 – 20 Ws 192/15 – hingewiesen.

 

Wann handelt ein Täter bedingt vorsätzlich und wann (nur) bewusst fahrlässig?

Bedingt vorsätzlich handelt ein Täter, wenn

  • er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und
  • damit in der Weise einverstanden ist,
    • dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder
    • sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein.

 

Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn

  • der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und
  • ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (u.a. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 27.01.2011 – 4 StR 502/10 –).

 

Vertraut ein Täter darauf, die für möglich gehaltene Folge werde nicht eintreten,

  • so kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an,
  • ob er das ernsthaft konnte.

 

Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten.
Sowohl das Wissens- als auch das Willenselement muss vom Tatrichter grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden.

Darauf hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 05.11.2015 – 4 StR 124/14 – hingewiesen.

 

Fahrverbot für Autofahrer der anderen Autofahrer ein aus seiner Sicht zu langsames Fahren vor Augen führen wollte

Weil ein nicht vorbestrafter Taxifahrer während einer Leerfahrt in München dem Fahrer eines VW Touran, der ihm zu langsam fuhr, beim Überholen mit hoher Geschwindigkeit den gestreckten Mittelfinger gezeigt und danach so knapp vor ihm eingeschert war, dass der Touran Fahrer nur durch eine Vollbremsung einen Auffahrunfall vermeiden konnte, verurteilte das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 25.06.2015 – 922 Cs 433 Js 114354/15 – ihn wegen Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch (StGB) und Nötigung nach § 240 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Geldstrafe von 1000 Euro (50 Tagessätze zu je 20 Euro) und verhängte gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot.

Das AG war aufgrund der Beweisaufnahme überzeugt, dass das knappe Einscheren des angeklagten Taxifahrers vor dem überholten VW Touran nicht verkehrsbedingt, sondern ausschließlich in der Absicht erfolgt war, den Führer dieses Fahrzeugs zu dieser Vollbremsung zu zwingen, um ihm sein aus Sicht des Angeklagten zu langsames Fahren vor Augen zu führen.
Eine solche völlig unangebrachte Nötigung stellt, wie das AG ausgeführt hat, einen im Straßenverkehr nicht tolerablen Exzess dar, der die Sanktion eines zumindest einmonatigen Fahrverbots nach sich ziehen muss.

Das hat die Pressestelle des Amtsgerichts München am 30.11.2015 – 81/15 – mitgeteilt.

 

Wenn im Strafurteil eine isolierte Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB angeordnet worden ist

Der Lauf einer Sperrfrist im Fall einer isolierten Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis beginnt mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung (§ 69a Abs. 5 Satz 1 Strafgesetzbuch (StGB)).
Satz 2 dieser Vorschrift ist im Fall einer isolierten Sperre (§ 69a Abs. 1 Satz 3 StGB) nicht anwendbar, auch nicht analog.

Darauf hat der 12. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg mit Beschluss vom 19.11.2015 – 12 PA 150/15 – in einem Fall hingewiesen,

  • in dem mit Strafbefehl eine isolierte Sperrfrist angeordnet worden war und
  • der Kläger die nach Erlass des Strafbefehls verstrichene Zeit mit der Begründung in die Sperrfrist eingerechnet haben wollte,
  • dass in der nach seinem Einspruch gegen den Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung und im (weiteren) Rechtsmittelverfahren keine gerichtliche Prüfung mehr stattgefunden habe, ob er weiterhin zum Führen von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr als ungeeignet anzusehen sei, sondern es allein darum gegangen sei, ob sein Nichterscheinen im Hauptverhandlungstermin erster Instanz als entschuldigt anzusehen war.

 

Mit seiner Entscheidung ist der Senat der seit langem herrschenden Meinung (vgl. nur OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.10.1986 – Ws 824/86 – und Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig, Beschluss vom 13.07.2004 – 6 B 297/04 –) darin gefolgt, dass eine analoge Anwendung von § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB,

  • wonach in die Frist die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet wird, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten,

 

auf Fallgestaltungen in denen eine isolierte Sperre verhängt wurde, nach dem klaren, an eine vorläufige Entziehung bzw. Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 i. V. m. § 94 Strafprozessordnung (StPO)) anknüpfenden Wortlaut der Vorschrift und angesichts des Regelungsgehalts des § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB ausscheidet, so dass es bei der Regel bleibt, wonach die Sperre mit der Rechtskraft des Urteils oder dementsprechend des Strafbefehls beginnt (§ 69a Abs. 5 Satz 1 StGB).

Die in § 69a Abs. 5 Satz 2 StGB vorgesehene Anrechnung findet ihre Rechtfertigung darin, dass der Fortbestand der vorläufigen Entziehung bzw. – gemäß § 69a Abs. 6 StGB – der Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins nach Maßgabe des § 94 StPO in der Zeit zwischen Verkündung und Rechtskraft des Urteils weiterhin maßregelnd auf den Verurteilten einwirkt.
Demgegenüber wirken in Fällen der isolierten Sperrfrist keine den in § 69a Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 StGB genannten Maßnahmen vergleichbaren Umstände auf den Verurteilten ein, so dass eine Einrechnung der seit Urteilserlass verstrichenen Zeit allein durch den Zeitablauf bedingt wäre.
Aus dem Regelungsgefüge des Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 des § 69a StGB ergibt sich aber unmissverständlich, dass bloßer Zeitablauf an sich nicht zu einem Beginn der Sperre vor Rechtskraft führen soll (OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25.09.2009 – 1 B 430/09 –). 

 

Der Versuch einer Straftat

Nach § 22 Strafgesetzbuch (StGB) versucht eine Straftat, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt.
Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht.
Es genügt, dass er Handlungen vornimmt,

  • die nach seinem Tatplan
  • schon bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden.
     

Dies ist der Fall, wenn ein Täter

  • die Schwelle zum „Jetzt geht es los“ überschreitet,
  • es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und
  • sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestands übergeht.

 

Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen,

  • die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan der Täter als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden;
  • dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 16.07.2015 – 4 StR 219/15 –).
  • Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung im Einzelfall sind u.a. die Dichte des Tatplans und der Grad der Rechtsgutgefährdung.

 

Danach liegt ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl vor, wenn beispielsweise ein Diebstahl aus der Wohnung eines Opfers dadurch ermöglicht werden soll, dass sich ein Täter unter einem Vorwand Einlass verschafft, um das Tatopfer abzulenken und dann zu bestehlen. Der Angriff auf den fremden Gewahrsam beginnt in diesen Fällen bereits mit dem Begehren um Einlass (BGH, Beschluss vom 11.05.2010 – 3 StR 105/10 –).

Dass das Gelingen und damit die Vollendung der Tat letztlich noch von dem Erfolg der Täuschung und von dem Auffinden von Wertgegenständen innerhalb der Wohnung abhängig ist, und der Diebstahl beispielsweise „ohne Zutun“ des Täters deshalb scheitert, weil das Opfer erklärt, niemanden in die Wohnung einzulassen und die Wohnungseingangstüre schließt, so dass der Täter sein Vorhaben abbrechen muss, hindert nicht den Eintritt ins Versuchsstadium.

Vielmehr handelt es sich dann um einen fehlgeschlagenen Versuch, bei dem ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ausscheidet.
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2015 – 1 StR 329/15 – und Urteil vom 13.08.2015 – 4 StR 99/15 –).

Darauf hat der 2. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 16.09.2015 – 2 StR 71/15 – hingewiesen.