Eine das Recht eines Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)) verletzende polizeiliche Tatprovokation, die zu einer Strafmilderung, aber auch zu einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines Verfahrenshindernisses führen kann (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 23.10.2014 – Individualbeschwerde Nr. 54648/09 – und Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –), liegt vor, wenn sich die Ermittlungsperson nicht mehr auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat.
Dies ist der Fall, wenn eine
- unverdächtige und
- zunächst nicht tatgeneigte
Person, d.h. eine Person, bei der es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht nicht gab, dass sie an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt ist,
- durch eine von einem Amtsträger geführte Vertrauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet worden ist und
- dies zu einem Strafverfahren geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –; Beschluss vom 19.05.2015 –1StR128/15 –; Urteil vom 30.05.2001 – 1 StR 42/01 –; Urteil vom 18.11.1999 – 1 StR 221/99 –).
Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn
- eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder
- eine Intensivierung der Tatplanung
mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt.
Auch
- bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen,
soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht (beispielsweise bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz) „unvertretbar übergewichtig“ ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2015 – 2 StR 97/14 –; Beschluss vom 19.05.2015 – 1 StR 128/15 –; Urteil vom 11.12.2013 – 5 StR 240/13 –).
- Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person dagegen lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation.
- Ebenso fehlt es an einer Provokation, wenn die Vertrauensperson nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt (BGH, Beschluss vom 19.05.2015 – 1 StR 128/15 –; Urteil vom 30.05.2001 – 1 StR 42/01 –; Urteil vom 18.11.1999 – 1 StR 221/99 –).
Darauf hat der 4. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 19.01.2016 – 4 StR 252/15 – hingewiesen.
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