Tag Verschulden

Was Kraftfahrzeughalter über die Haftungsverteilung bei einem durch mehrere Kraftfahrzeuge verursachten

…. Verkehrsunfallschaden wissen sollten.

Nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) hängt die Haftungsverteilung davon ab, inwieweit die Schäden vorwiegend von 

  • dem einen oder 
  • dem anderen Teil 

verursacht worden sind, wobei die Abwägung 

  • aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles 

vorzunehmen und dabei in erster Linie das Maß 

  • der Verursachung 

von Belang ist, in dem die 

  • Beteiligten zur Schadensentstehung 

beigetragen haben.

  • Das beiderseitige Verschulden ist dabei nur ein Faktor der Abwägung. 

Übrigens:
Auch wenn der Unfall für den Fahrer 

  • des einen beteiligten Fahrzeugs selbst 

nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war, kann, sofern die schwere Schuld der Gegenseite 

  • die eigene geringe Schuld oder 
  • die allein zu berücksichtigende Betriebsgefahr 

ganz zurücktreten lässt, der Halter des anderen am Unfall beteiligten Fahrzeugs 

  • allein für die Unfallschäden haften.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 15.06.2021 – VI ZR 1029/20 – hingewiesen.

Was Autofahrer, die ihren PKW auf einer Motorsport-Rennstrecke für eine sog. Touristenfahrt nutzen,

…. wissen sollten.

Mit Beschluss vom 05.01.2021 – 12 U 1571/20 – hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz in einem Fall, in dem ein Autofahrer seinen PKW für eine 

  • sogenannte Touristenfahrt auf einer Motorsport-Rennstrecke 

genutzt und dabei, nachdem er mit einer Geschwindigkeit von ca. 160 bis 170 km/h 

  • zunächst über eine Bergkuppe sowie durch die sich anschließende, nur eingeschränkt einsehbare Linkskurve 

gefahren war, wegen einer

  • von einem anderen Fahrzeug hinterlassenen 

Kühlmittelspur die Kontrolle über sein Auto verloren hatte und in die Leitplanke gekracht war, den geschädigten Autobesitzer darauf hingewiesen, dass er 

  • von dem Halter des Fahrzeugs, das die für den Unfall ursächliche Kühlmittelspur hinterlassen hatte, lediglich 75 % seines Schadens ersetzt verlangen könne,

weil er, aufgrund der von seinem Fahrzeug ausgehenden 

  • und mit 25 % anzusetzenden 

Betriebsgefahr, für den Unfallschaden mithafte.

Danach bleibt, wenn die konkrete Nutzung eines Kraftfahrzeugs,

  • wie hier das Fahren auf einer Rennstrecke bei eingeschränkter Sicht mit hoher Geschwindigkeit im „Rennmodus“,   

dessen Betriebsgefahr erhöht hat, die Haftung aus Betriebsgefahr nach § 7 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) anspruchsmindernd bestehen und tritt

  • auch bei einem groben Verschulden des Unfallgegners

nicht dahinter zurück (Quelle: Pressemitteilung des OLG Koblenz).

Übrigens:
Zur (möglichen) Erhöhung der Betriebsgefahr bei 

  • Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen und 
  • Begründung einer Mithaftung dadurch im Falle eines Unfalls, wenn nur dem Führer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs ein Verschulden nachgewiesen werden kann,

vgl. Urteile des OLG Düsseldorf vom 21.11.2017 – 1 U 44/17 – und des OLG Koblenz vom 14.10.2013 – 12 U 313/13 – sowie Beschluss des OLG Hamm vom 21.12.2017 – 7 U 39/17 –).

Nicht immer haften (Kraft)Fahrzeugführer oder -halter (mit), wenn es zur Kollision mit einem Fußgänger kommt

§ 25 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) stellt an Fußgänger, 

  • die beabsichtigen die Fahrbahn zu überqueren, 

erhöhte Sorgfaltsanforderungen. 

Sie müssen beim Überqueren der Fahrbahn, 

  • auf der der Fahrzeugverkehr grundsätzlich den Vorrang hat, 

besondere Vorsicht walten lassen, an nicht besonders vorgesehenen Überquerungsstellen (z. B. Fußgängerüberwegen i. S. v. § 26 StVO) 

  • auf den bevorrechtigten Verkehr Rücksicht nehmen, 
  • bei Annäherung eines Fahrzeugs warten 

und Fußgänger dürfen insbesondere nicht versuchen, 

  • noch kurz vor einem herannahendem Fahrzeug 

die Fahrbahn zu überqueren. 

Wird ein Fußgänger den Sorgfaltsanforderungen des § 25 Abs. 3 StVO nicht gerecht, d.h. betritt er beispielsweise, 

  • ohne sich zuvor in irgendeiner Art und Weise zu vergewissern, ob sich ein Fahrzeug nähert, 

unter groben Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO, die Fahrbahn, spricht, 

  • wenn er dort von einem Fahrzeug angefahren wird, 

gegen den Fußgänger regelmäßig 

  • der Anscheinsbeweis 

der schuldhaften alleinigen Unfallverursachung.

Der Fußgänger muss dann, 

  • um nicht allein für die Unfallfolgen zu haften, 

das Vorliegen eines sog. atypischen Unfallverlaufs darlegen und beweisen, d.h. er muss beweisen, dass der Führer des Fahrzeugs, von dem er angefahren worden ist, 

  • ebenfalls schuldhaft zu dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls beigetragen hat, 
  • also beispielweise unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 4 StVO nicht auf Sicht gefahren ist oder nach § 1 Abs. 2 StVO gegen das allgemeines Rücksichtnahmegebot verstoßen hat.

Gelingt es dem Fußgänger nicht, dem Fahrzeugführer ein Mitverschulden an dem Unfall nachzuweisen, kommt, wenn es sich 

  • bei dem Fahrzeug, von dem der Fußgänger angefahren wurde, 

um ein Kraftfahrzeug gehandelt hat,

  • wegen der von einem Kraftfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr, 

nur eine Mithaftung des Kraftfahrzeughalters für die Unfallfolgen aus § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Betracht, diese Betriebsgefahr kann aber,

  • worauf der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz mit Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 401/20 – hingewiesen hat,

hinter dem massiven Verschulden (Eigenverschulden) des Fußgängers vollständig zurücktreten.

OLG Oldenburg spricht fünfjährigem Jungen wegen der Folgen eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers 800.000 Euro

…. Schmerzensgeld zu.

Mit Urteil vom 18.03.2020 – 5 U 196/18 – hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg einem Jungen, der, 

  • als er fünf Jahre alt war,

infolge eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers bei der Behandlung einer bakteriellen Meningitis,

  • u.a. beide Unterschenkel verloren hatte,
  • der in der Folgezeit wachstumsbedingt fast zwanzig Operationen zur Versorgung der Stümpfe über sich hatte ergehen lassen müssen,
  • der sein gesamtes Leben auf den Rollstuhl angewiesen sein wird und 
  • bei dem aufgrund des massiven Krankheitsverlaufs große Teile der Körperoberfläche durch Nekrosen dauerhaft entstellt sind,

ein Schmerzensgeld von 800.000 Euro zuerkannt.

Dass hier ein Schmerzensgeld von 800.000 Euro angemessen ist, hat das OLG mit 

  • der Schwere der Verletzungen, 
  • dem Leiden und dessen voraussichtlicher lebenslanger Dauer, 
  • der subjektiven Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten, 
    • nämlich dem täglich wiederkehrenden Bewusstsein um den lebenslangen Verlust der bisherigen Lebensqualität und 
  • dem Ausmaß des Verschuldens des Schädigers 

begründet.

Danach kann im Fall 

  • schwerster und dauerhafter Schädigungen, die ein Geschädigter in jungen Jahren bewusst erlebt und 
  • von denen anzunehmen ist, dass sie ihn lebenslang in der Lebensführung erheblich beeinträchtigen werden, 

ein Schmerzensgeld in dieser Höhe gerechtfertigt sein.

Was bei einem Unfall zwischen Auto und Elektrokleinstfahrzeug (E-Scooter) Führer und Halter der Fahrzeuge wissen sollten

Bei einem E-Scooter,

  • der über eine Zulassung nach der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) verfügt,

handelt es sich um ein Elektrokleinstfahrzeug im Sinne von § 1 eKFV,

  • d.h. um ein Kraftfahrzeug mit elektrischem Antrieb und 
  • einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h, 

so dass gemäß § 8 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Vorschrift des § 7 Abs. 1 StVG, 

  • nach der, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, 
  • der Kraftfahrzeughalter, unabhängig von einem Verschulden, dem Verletzten den entstandenen Schaden zu ersetzen hat,

nicht gilt.

Darauf hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts (LG) Münster vom 09.03.2020 – 8 O 272/19 – hingewiesen.

Das bedeutet, will nach einem streitigen Unfallhergang 

  • zwischen einem Auto und einem E-Scooter, 

der Eigentümer des Autos den ihm entstandenen Schaden ganz oder zumindest teilweise ersetzt haben, muss er,

  • nachdem für einen bei dem Betrieb eines E-Scooters entstandenen Unfallschaden 
    • weder der Halter des E-Scooters verschuldensunabhängig aus § 7 Abs. 1 StVG,
    • noch der E-Scooter-Fahrer aus § 18 StVG haftet,

gem. § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nachweisen, dass das Unfallereignis 

  • (zumindest teilweise) auf ein mindestens für den Unfall (mit)ursächliches fahrlässiges Verhalten des E-Scooter-Fahrers 

zurückzuführen ist,

Anders ist dies, wenn der E-Scooter-Fahrer seinen Schaden ersetzt haben möchte. 

Für den 

  • dem E-Scooter-Fahrer

entstandenen Schaden haften

  • der Halter des Autos verschuldensunabhängig aus § 7 Abs. 1 StVG sowie
  • der Fahrer des Autos aus vermutetem Verschulden gemäß § 18 StVG.  

Hinweis:

Dazu, wer wann haftet, wenn es 

  • auf einem gemeinsamen Geh- und Radweg 

zu einer Kollision zwischen 

  • einem Fußgänger und einem Elektrokleinstfahrzeug (Segway) 

kommt, vgl. Oberlandesgericht (OLG) Koblenz, Beschluss vom 16.04.2019 – 12 U 692/18 –.

Wer haftet wenn es bei der Begegnung von zwei Hunden zu einem Gerangel kommt und dabei einer der Hundehalter

…. von einem der beiden Hunde in die Hand gebissen wird?

Mit Urteil vom 18.09.2019 – 7 U 24/19 – hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe in einem Fall, in dem es bei einer Begegnung während des „Gassigehens“ von zwei Hundehaltern mit ihren nicht angeleinten Hunden zu einem Gerangel zwischen den Hunden gekommen und dabei einer der Hundehalter in die Hand gebissen worden war, allerdings

  • der konkrete Ablauf, wie es zu der Verletzung gekommen ist, nicht mehr aufgeklärt und
  • auch kein Verschulden eines der beiden Hundehalters – beispielsweise durch Eingreifen des Gebissenen in die Hunderauferei – festgestellt werden konnte,

entschieden, dass der gebissene Hundehalter,

  • ohne dass es darauf ankommt, von welchem der beiden Hunde er gebissen worden ist,

aus § 833 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den anderen Hundehalter hat.

Allerdings müsse sich, so der Senat,

  • da beide Hunde die Rauferei, die letztlich zu der Verletzung des einen Halters führte, verursacht haben,

der gebissene Halter die Tiergefahr seines eigenen Hundes anrechnen lassen (so auch OLG München, Urteil vom 12.12.2018 – 20 U 1474/18 – und Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 31.05.2016 – VI ZR 465/15 –).

Unter Berücksichtigung dessen ist in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall dem gebissenen Hundehalter,

  • der sich eine offene Mittelhandfraktur zugezogen und
  • nach der Operation an der Hand, laut den Feststellungen eines Sachverständigen, verursacht durch den Hundebiss, eine Lungenembolie sowie einen Schlaganfall mit schweren Folgen erlitten hatte,

ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 Euro zugesprochen worden (Quelle: Pressemitteilung des OLG Karlsruhe).

Wer haftet wann (mit), wenn ein erwachsener Fußgänger angefahren wird, der an einer nicht vorgesehenen Stelle die Straße überqueren will?

Überquert ein erwachsener Fußgänger an einer nicht für Fußgänger vorgesehenen Stelle die Straße und wird er dabei von einem Kraftfahrzeug angefahren, spricht zunächst der Anschein

  • für einen unfallursächlichen Verstoß des Fußgängers gegen § 25 Abs. 3 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), nämlich

dafür, dass der Fußgänger unter Missachtung des Vorrangs des Kraftfahrzeugs die Straße überquert und dadurch den Unfall verursacht hat.

  • Gelingt es dem Fußgänger nicht diesen gegen ihn sprechenden Anschein zu erschüttern oder ergibt ein eingeholtes Sachverständigengutachten, dass der Fußgänger das herannahende Kraftfahrzeug hätte wahrnehmen und eine Kollision durch Stehenbleiben am Fahrbahnrand hätte vermeiden können, trifft den Fußgänger zumindest eine Mitschuld an dem Unfall.

Ob und ggf. in welchem Umfang, also mit welcher Quote auch

  • der Fahrzeugführer aus § 18 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG),
  • der Fahrzeughalter aus § 7 Abs. 1 StVG sowie
  • dessen Haftpflichtversicherer aus § 115 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG)

für die Unfallfolgen (mit) haften, hängt davon ab,

  • ob dem Kraftfahrer ein unfallursächliches Verschulden trifft, d.h.,
    • ob er die am Unfallort zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten oder
    • den die Fahrbahn betretenden Fußgänger zu spät bemerkt bzw. zu spät reagiert hat und
    • andernfalls der Unfall vermieden worden oder die Unfallfolgen milder ausgefallen wären

oder

  • ob auf Seiten des Autofahrers kein schuldhaftes unfallursächliches Verhalten feststellbar ist und
  • der Unfallverursachungsbeitrag nur in der von dem Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr besteht,

Bei der Prüfung, ob dem Fahrzeugführer ein für den Fußgängerunfall ursächlicher schuldhafter Verkehrsverstoß anzulasten ist, ist übrigens,

  • sofern nicht gem. § 3 Abs. 2a StVO – wonach, wer ein Fahrzeug führt, sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten muss, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist – eine frühere Reaktion bzw. Verlangsamung geboten ist,

davon auszugehen, dass Fahrzeugführer erst reagieren müssen, wenn für sie erkennbar wird,

  • dass ein Fußgänger unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO (auf dessen Einhaltung grundsätzlich vertraut werden kann) nicht am Fahrbahnrand stehen bleiben,
  • sondern die von ihm befahrene Fahrbahn betreten wird, ohne ihnen Vorrang zu gewähren (OLG Hamm, Urteil vom 10.04.2018 – 9 U 131/16 –).