Verkehrsrecht – Straßenbahn erfasst elfjähriges Kind beim Überqueren der Fahrbahn – Wer haftet unter welchen Voraussetzungen?

Verkehrsrecht – Straßenbahn erfasst elfjähriges Kind beim Überqueren der Fahrbahn – Wer haftet unter welchen Voraussetzungen?

In Betracht kommen kann,

  • eine Haftung des Führers der Straßenbahn nach § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) sowie
  • eine verschuldensunabhängige Haftung des Betriebsunternehmers nach §§ 1 Abs. 1, 6 Haftpflichtgesetz (HaftPflG).

Der Führer einer Straßenbahn haftet immer nur nach § 823 BGB. Seine Haftung ist also nur begründet, wenn sein Verschulden bewiesen ist. § 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) findet keine Anwendung.
Der Führer einer Straßenbahn hat auch dann, wenn er einen besonderen Gleiskörper benutzt, im Bereich von nicht durch ein Andreaskreuz gekennzeichneten Gleiskörperübergängen, ohne Rücksicht auf sein Vorfahrtrecht, die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) zu beachten. Insoweit gilt nicht die Verordnung über den Bau und Betrieb der Straßenbahnen (BOStrab). Den Straßenbahnführer trifft demzufolge nach § 3 Abs. 1 StVO die Verpflichtung, seine Fahrgeschwindigkeit den Straßen- und Verkehrsverhältnissen anzupassen. Sobald er wahrnimmt oder hat wahrnehmen können, dass sich ein Fußgänger in eine gefahrenträchtige Situation begibt, ist der Straßenbahnführer verpflichtet, sofort eine Notbremsung vorzunehmen. Wenn vor dieser Maßnahme noch genügend Zeit bleibt, hat er die Geschwindigkeit sofort so weit herabzusetzen, dass er notfalls den Straßenbahnzug noch vor der Gefahrenstelle anhalten kann.
An der Pflicht, sofort bei Wahrnehmung oder Wahrnehmbarkeit der gefahrenträchtigen Lage des Fußgängers eine Notbremsung durchzuführen, ändert der Vertrauensgrundsatz nichts. Danach kann der Straßenbahnführer in der Regel darauf vertrauen, dass ein Verkehrsteilnehmer, den er vor sich auf den Gleisen in einem Abstand sieht, der dem Bremsweg der Bahn nahe kommt, diese rechtzeitig vor der herannahenden Straßenbahn verlässt.
Der Vertrauensgrundsatz gilt grundsätzlich auch gegenüber Kindern. Allerdings muss sich der Fahrzeugführer nach § 3 Abs. 2 a StVO gegenüber Kindern insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen ist. Das Ausmaß der dadurch begründeten erhöhten Sorgfaltspflicht, der gegenüber der Vertrauensgrundsatz nicht oder nur eingeschränkt gilt, hängt von der für den Fahrzeugführer erkennbaren Altersstufe ab, aus der auf den Grad der Verkehrsreife und den Umfang der bereits erfolgten Verkehrserziehung geschlossen werden kann. 
Bei Kindern jedenfalls ab zehn Jahren ist in der Regel nicht mehr mit Unbesonnenheit im Straßenverkehr zu rechnen. Bei diesen älteren Kindern muss sich ein Fahrzeugführer nur noch dann auf die Möglichkeit eines unbesonnenen Verhaltens einstellen, wenn besondere Umstände auf eine solche Möglichkeit hindeuten. 
Das ist der Fall, wenn sich das Kind bereits verkehrswidrig verhält oder wenn seine Aufmerksamkeit erkennbar anderweit in Anspruch genommen ist, etwa durch Spiel oder Beschäftigung mit anderen Kindern. 
Wenn besondere Umstände vorliegen, gilt der Vertrauensgrundsatz nicht. Danach muss der Fahrer Vorkehrungen für seine Fahrweise treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer Gefährdung führen können. So besteht in einer Situation der erkennbaren Unklarheit kein Vertrauensschutz. Insbesondere gibt es keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass in Richtung des Gleisbetts rennende Kinder in erkennbarem Alter von etwa zehn Jahren rechtzeitig stehen bleiben.

Dem Geschädigten kann wegen Verstoßes gegen §§ 19, 25 Abs. 3 und Abs. 5 ein (Mit)Verschulden (§ 254 BGB ) treffen. Das Mitverschulden des Geschädigten hat der Schädiger nachzuweisen, wohingegen, wenn es sich bei dem Geschädigten um einen Jugendlichen handelt, diesem der Nachweis mangelnder Einsicht obliegt.
Für die Verschuldensfähigkeit eines Minderjährigen zwischen 7 bzw. 10 und 18 Jahren enthält das Gesetz in § 828 Abs. 3 BGB, der auch für die Frage des Mitverschuldens im Sinne von § 254 BGB maßgeblich ist, eine Vermutung für die Verschuldensfähigkeit. Dem Minderjährigen obliegt der Beweis des Gegenteils dahingehend, dass ihm zum maßgebenden Zeitpunkt die Fähigkeit gefehlt hat, seine Verantwortlichkeit als Folge seines Verhaltens zu erkennen.

Der Betriebsunternehmer ist, wenn bei dem Betrieb einer Schienenbahn der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird und die Haftung nicht wegen höherer Gewalt gemäß § 1 Abs. 2 HaftPflG ausgeschlossen ist, aus verschuldensunabhängiger Haftung gemäß §§ 1 Abs. 1, 6 HaftPflG dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Allerdings hat nach §§ 4 HaftPflG, 254 BGB dabei eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile stattzufinden, wobei nur die bewiesenen oder unstreitigen Umstände in die Abwägung miteinbezogen werden können. Fällt zulasten des Bahnbetriebsunternehmers nur die allgemeine (nicht erhöhte) Betriebsgefahr, die sich aus der Schienengebundenheit, dem längeren Bremsweg und der größeren Aufprallwucht einer Eisenbahn ergibt, ins Gewicht, so tritt diese gegenüber einem erheblichen Verschulden eines Fußgängers, der ohne auf die Bahn zu achten verbotswidrig die Gleise betreten hat, regelmäßig vollständig zurück.

Darauf hat das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken mit Urteil vom 14.03.2013 – 4 U 445/11 – hingewiesen.

 

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.


Warning: Undefined variable $user_ID in /is/htdocs/wp1087826_EK6QR6X9JJ/www/haerlein.de/wordpress/wp-content/themes/arilewp-pro/comments.php on line 45

You must be <a href="https://www.haerlein.de/wp-login.php?redirect_to=https%3A%2F%2Fwww.haerlein.de%2Fverkehrsrecht-strassenbahn-erfasst-elfjaehriges-kind-beim-ueberqueren%2F">logged in</a> to post a comment