Verkehrssicherungspflicht – Umfang und Haftungsgrundsätze.

Verkehrssicherungspflicht – Umfang und Haftungsgrundsätze.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.

Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.

Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar.
Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden.
Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.
Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.
Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind.

Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen. Er hat ein „Unglück“ erlitten und kann dem Schädiger kein „Unrecht“ vorhalten.

Soweit eine Gefahrenquelle dem Einflussbereich des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen ganz oder teilweise entzogen ist, kann sich eine neue Zuständigkeitsverteilung ergeben.
Wer aufgrund vertraglicher Vereinbarung den Gefahrenbereich nunmehr beherrscht, kann nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen für die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen verantwortlich sein.
Entsprechendes muss gelten, wenn sich aufgrund der faktischen Gegebenheiten einer Geschäftssparte die Verlagerung der Möglichkeiten zur primären Gefahrbeherrschung auf weitere Beteiligte nicht vermeiden lässt.

Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige wird durch den Übergang seiner Pflichten auf einen Dritten zwar nicht völlig entlastet, bleibt vielmehr weiterhin zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich.
Er darf aber im Allgemeinen darauf vertrauen, dass der Dritte seinen Verpflichtungen auch nachkommt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte bestehen, die dieses Vertrauen erschüttern.
Das gilt insbesondere auch dann, wenn die primäre Zuständigkeit für einen Gefahrenbereich auf ein Fachunternehmen übergeht; der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens sind durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch dessen Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit Grenzen gesetzt.

Verringern sich die Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen spartentypisch auf ein Mindestmaß, wie es etwa bei internationalen Warenlieferungs- oder Transportketten der Fall ist, tritt die Verkehrssicherungspflicht derjenigen in den Vordergrund, die drohende Gefahren vor Ort beherrschen können.

Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist vielfach nicht nur der Schädiger zur Abwehr oder Minderung der Verletzung in der Lage, sondern Eintritt und Umfang des Schadens hängen ebenso von den Sorgfaltsvorkehrungen des später Geschädigten ab.
Dieser ist aufgerufen, sich auch selbst zu schützen; die Verhaltensanforderungen an die eine Seite lassen sich vielfach nur auf der Grundlage einer Annahme über das Sorgfaltsniveau der Gegenseite formulieren.
Der durch die Gefahr Bedrohte muss auf erkennbare Gefahrquellen vor allem durch eigene Sorgfaltsanstrengungen reagieren.
Das gilt insbesondere, wenn er die Gefahr selbst beherrschen kann und dazu im Verhältnis zu Dritten aufgrund vertraglicher oder faktischer Zuweisung der Verkehrssicherungspflicht auch verpflichtet ist.

Zwar können auf verschiedenen Stufen Verkehrssicherungspflichtige auch untereinander ersatzpflichtig sein.
Eine Haftung des – inzwischen weit von der Gefahrenquelle entfernten – ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen gegenüber demjenigen Verletzten, dem selbst die Gefahrabwendungspflicht zugewachsen und der dieser nur unzureichend nachgekommen ist, wird allerdings regelmäßig zu verneinen sein, wenn faktisch die mangelnde Gefahrbeherrschung durch den Verletzten im Vordergrund steht und ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des ursprünglich Sicherungspflichtigen nicht festgestellt werden kann.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 01.10.2013 – VI ZR 369/12 – hingewiesen.

 

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