Ärztliche Zwangsmaßnahmen – Zu den Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers und den Anforderungen an die Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Ärztliche Zwangsmaßnahmen – Zu den Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers und den Anforderungen an die Genehmigung des Betreuungsgerichts.

Der Betreuer kann in eine im Rahmen einer zivilrechtlichen Unterbringung erfolgende ärztliche Zwangsmaßnahme nur einwilligen, wenn die in § 1906 Abs. 3 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufgezählten Voraussetzungen kumulativ vorliegen.

  1. Nach § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB kann der Betreuer in eine ärztliche Zwangsmaßnahme, also in die Behandlung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nur einwilligen, wenn es dem Betroffenen krankheits- oder behinderungsbedingt an der Fähigkeit fehlt, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu erkennen, oder wenn er trotz Vorliegens einer solchen Einsicht krankheits- oder behinderungsbedingt nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
     
  2. Gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB muss die ärztliche Zwangsmaßnahme erforderlich sein, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden des Betroffenen abzuwenden (vgl. zu diesem Tatbestandsmerkmal etwa Bundesgerichtshof (BGH), Beschlüsse vom 05.12.2012 – XII ZB 665/11 –; vom 22.08.2012 – XII ZB 295/12 – und vom 23.06.2010 – XII ZB 118/10 –).
    Denn die Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens des Betroffenen im Wege der Zwangsbehandlung kann schon im Ansatz nur dann gerechtfertigt sein, wenn es gilt, gewichtige gesundheitliche Nachteile des Betroffenen zu verhindern.
    Umgekehrt ist der natürliche Wille des Betroffenen zu respektieren, wenn auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Betroffenen zu erwarten sind.
     
  3. Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist weiterhin das Erfordernis, dass der erhebliche gesundheitliche Nachteil nicht durch eine mildere, dem Betroffenen zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BGB).
    Eine solche kann etwa in einer alternativen Behandlungsmethode zu sehen sein, die nicht dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht und ebenfalls das mit der Zwangsbehandlung verfolgte Behandlungsziel herbeizuführen vermag, aber auch in sonstigen, die Behandlung entbehrlich machenden Maßnahmen.
     
  4. Auch wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Zwangsbehandlung nur verhältnismäßig, sofern der von ihr zu erwartende Nutzen die aus ihr für den Betroffenen folgenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB).
    Dem zu erwartenden Behandlungserfolg sind die mit der Behandlung verbundenen Neben- und Auswirkungen einschließlich der möglichen Komplikationen gegenüberzustellen und Nutzen und Beeinträchtigungen gegeneinander abzuwägen.
     
  5. Schließlich setzt die Zulässigkeit einer zwangsweisen Behandlung gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB voraus, dass vor der Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme versucht wurde, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen.
    Dieser Versuch muss ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommen worden sein, was das Gericht in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen hat.
    Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Durchführung der ärztlichen Maßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nicht vermieden werden kann, indem der Betroffene von ihrer Notwendigkeit überzeugt, so eine Änderung seines Willens herbeigeführt und eine Zwangsmaßnahme dadurch überflüssig wird.
    Bei dem Überzeugungsversuch handelt es sich um eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Wirksamkeit der Einwilligung durch den Betreuer.
    Zur näheren Ausgestaltung eines solchen Versuchs, insbesondere dazu, von wem er zu unternehmen ist, enthält das Gesetz keine Angaben.
    Dies wird regelmäßig der ärztlich beratene Betreuer, kann aber gegebenenfalls auch ein behandelnder Arzt sein. In Betracht kommen für den Überzeugungsversuch zudem Vertrauenspersonen des Betroffenen aus seinem Angehörigen- und Freundeskreis.
    Im Übrigen hängt die Ausgestaltung des Überzeugungsversuchs stark vom jeweiligen Einzelfall mit dem Krankheits- oder Behinderungsbild des Betroffenen ab.

In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 312 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) die gemäß § 1906 Abs. 3a Satz 1 BGB erforderliche Genehmigung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme den Unterbringungssachen i. S. d. § 312 FamFG zugeordnet. Damit gelten für das gerichtliche Verfahren die bereits vor der Gesetzesänderung im zweiten Abschnitt des dritten Buches des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) enthaltenen Vorschriften.

  • Zusätzlich muss gemäß § 323 Abs. 2 FamFG die Beschlussformel enthalten, dass die Zwangsmaßnahme unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 20.06.2012 – XII ZB 99/12 –).
     
  • Darüber hinaus gelten Sonderregelungen für die Person des gerichtlichen Gutachters (§§ 312 Abs. 1 Satz 5, 329 Abs. 3 FamFG (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30.10.2013 – XII ZB 482/13 –).
     
  • Schließlich bestimmt § 329 Abs. 1 Satz 2 FamFG nun als Höchstdauer für die (erstmalige) Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme eine Frist von sechs Wochen.
    Bei Erlass einer einstweiligen Anordnung beträgt diese Frist nach § 333 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwei Wochen.

Darauf hat der XII. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 04.06.2014 – XII ZB 121/14 – hingewiesen.

 


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