Betreuungsrecht – Zum Umfang der Verfahrensfähigkeit eines Betroffenen in Betreuungssachen.

Betreuungsrecht – Zum Umfang der Verfahrensfähigkeit eines Betroffenen in Betreuungssachen.

Der Betroffene ist in Betreuungssachen als verfahrensfähig anzusehen, ohne dass es auf seine Fähigkeit ankommt, einen natürlichen Willen zu bilden.
Die Verfahrensfähigkeit umfasst auch die Befugnis, einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen.

Darauf hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 30.10.2013 – XII ZB 317/13 – hingewiesen.

Gemäß § 275 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) ist ein Betroffener im Betreuungsverfahren ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig. Die Verfahrensfähigkeit umfasst dabei das gesamte Verfahren, so dass dem Betroffenen insoweit alle Befugnisse eines Geschäftsfähigen zur Verfügung stehen, also auch die grundsätzliche Befugnis jederzeit selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen.

Ein wesentliches Ziel der mit dem Betreuungsgesetz vorgenommenen Änderungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit war es, die Rechtsposition des Betroffenen auch im Verfahren zu stärken. In einem fairen Verfahren sollte er eigenständiger Beteiligter und nicht „Verfahrensobjekt“ sein. Vielmehr sollte der Betroffene in die Lage versetzt werden, seinen Willen nach Kräften selbst zu vertreten, ohne auf Andere, insbesondere gesetzliche Vertreter, angewiesen zu sein.
Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck einer Stärkung der verfahrensrechtlichen Position des Betroffenen würde ohne die Möglichkeit, selbst einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen, in vielen Fällen verfehlt. Denn wie schon der Blick auf die in § 1896 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB ) genannten medizinischen Voraussetzungen der Betreuung verdeutlicht, wird es dem Betroffenen häufig nur mit anwaltlicher Vertretung möglich sein, seine Rechte im Betreuungsverfahren effektiv wahrzunehmen.

Die Erteilung einer wirksamen Verfahrensvollmacht durch einen Betroffenen erfordert auch nicht das Vorliegen eines auf die Vertretung durch einen Bevollmächtigten gerichteten natürlichen Willens.
Nach dem Wortlaut des § 275 FamFG besteht die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen uneingeschränkt und ist an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft. Den Gesetzesmaterialien lässt sich nichts dazu entnehmen, dass der Gesetzgeber gleichwohl eine Differenzierung etwa nach unterschiedlichen Graden der geistigen Leistungsfähigkeit oder aber nach der Schwere der psychischen und physischen Beeinträchtigungen des Betroffenen vornehmen wollte. Vielmehr ging es ihm darum, die Rolle des Betroffenen als eigenständigem Verfahrensbeteiligten zu sichern. Damit trug der Gesetzgeber Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Rechnung, aus dem folgt, dass niemand zum bloßen Objekt eines ihn betreffenden staatlichen Verfahrens werden darf.
Mit dieser gesetzgeberischen Intention wäre es nicht vereinbar, aus den das Betreuungsverfahren erst auslösenden krankheitsbedingten Beeinträchtigungen der Willensbildungsfähigkeit eines Betroffenen wiederum auf Einschränkungen der Verfahrensfähigkeit – und der daraus folgenden Fähigkeit zur Erteilung einer Verfahrensvollmacht – rückzuschließen. Dies würde § 275 FamFG einen maßgeblichen Teil seiner Wirkung nehmen und zu einer gegenüber der Geschäftsfähigkeit nur wenig erweiterten Verfahrensfähigkeit führen. Das war jedoch vom Gesetzgeber ersichtlich nicht gewollt.

Hinzu kommt, dass es dem Merkmal eines natürlichen Willens in dem von seinen Befürwortern vertretenen Bedeutungsgehalt an der für § 275 FamFG erforderlichen Trennschärfe fehlt.
Grundsätzlich liegt ein (nur) natürlicher Wille vor, wenn es einem Betroffenen an einem der beiden für eine freie Willensbestimmung erforderlichen Elemente, der Einsichtsfähigkeit oder der Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, fehlt. Die im Zusammenhang mit § 275 FamFG verwendeten – zudem uneinheitlichen – Definitionen des „natürlichen Willens“ greifen daher teilweise auf Begrifflichkeiten wie „ungefähre Vorstellung“ und „ansatzweise“ zurück. Das ist folgerichtig, weil die Unterscheidung zur „einfachen“ Geschäftsunfähigkeit, bei der § 275 FamFG noch Platz greifen soll, nur mittels gradueller Kriterien möglich ist. Diese entziehen sich jedoch weitgehend einer für die gerichtliche Praxis brauchbaren Handhabung.

Die von den Befürwortern des Erfordernisses eines natürlichen Willens angeführte Möglichkeit eines Missbrauchs der Befugnis des Betroffenen zur Erteilung einer Verfahrensvollmacht steht der Annahme einer uneingeschränkten Verfahrensfähigkeit des Betroffenen ebenso wenig entgegen wie die allgemeine Gefahr, dass der Betroffene Verfahrenshandlungen zu seinem Nachteil vornehmen kann.
Zum einen schließt die Sollvorschrift des § 276 Abs. 4 FamFG die Bestellung eines Verfahrenspflegers etwa bei Vorliegen eines Interessenkonflikts auch dann nicht aus, wenn der Betroffene durch einen Rechtsanwalt oder einen anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten wird.
Zum anderen war dem Gesetzgeber bewusst, dass mit der uneingeschränkten Verfahrensfähigkeit des Betroffenen Probleme einhergehen können. Gleichwohl hat er in § 275 FamFG keine Einschränkungen aufgenommen.

Von der aus der unbeschränkten Verfahrensfähigkeit folgenden Befugnis des Betroffenen zur Erteilung einer Verfahrensvollmacht ist die Frage zu trennen, ob der Betroffene eine Bevollmächtigungserklärung abgegeben hat.
Eine solche ist mündlich, schriftlich oder konkludent möglich. Für den Nachweis gilt § 11 FamFG.

 

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