Wenn ein Verurteilter eine Freiheits- oder Jugendstrafe verbüßen muss – Wann und unter welchen Voraussetzungen kommt eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung in Betracht?

Wenn ein Verurteilter eine Freiheits- oder Jugendstrafe verbüßen muss – Wann und unter welchen Voraussetzungen kommt eine vorzeitige Entlassung zur Bewährung in Betracht?

Bei der Freiheitsstrafe im Erwachsenenrecht unterscheidet das Gesetz zwischen

  • zeitiger und
  • lebenslanger

Freiheitsstrafe (§ 38 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).

Bei der zeitigen Freiheitsstrafe ist nach § 38 Abs. 2 StGB

  • das Mindestmaß ein Monat und
  • das Höchstmaß fünfzehn Jahre.

Bei einer zeitigen Freiheitsstrafe ist nach § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB die Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn

  1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
  2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
  3. die verurteilte Person einwilligt.

Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht nach § 57 Abs. 2 StGB die Vollstreckung des Restes der zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen, wenn

  1. die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
  2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen,

und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

Zu unterscheiden bei einer verhängten zeitigen Freiheitsstrafe ist somit zwischen

  • der Aussetzung des letzten Drittels einer Freiheitsstrafe nach § 57 Abs. 1 StGB, das ist der Normalfall und
  • dem Ausnahmefall der Aussetzung des Strafrestes schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe nach § 57 Abs. 2 StGB.

Die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB oder des § 57 Abs. 2 StGB immer nur dann erfolgen, wenn dem Verurteilten gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Nur dann lässt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit eine vorzeitig bedingte Haftentlassung des Verurteilten zu.
An die Erwartung künftiger Straffreiheit sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger das im Falle eines Rückfalls bedrohte Rechtsgut ist (Bundesgerichtshof (BGH), Beschlüsse vom 25.04.2003 – StB 4/03 –; vom 04.10.2011 – StB 14/11 –).
Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen des bereits erlittenen Strafvollzugs und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann allerdings auch bei Kapitaldelikten, schweren Sexualstraftaten oder terroristischen Verbrechen zu dem Ergebnis führen, dass die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug verantwortbar ist; die Voraussetzungen an eine positive Legalprognose dürfen auch in diesem Bereich nicht so hochgeschraubt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Haftentlassung bleibt.
Insbesondere kann auch bei terroristischen Straftätern, die sich im Vollzug ordnungsgemäß führten und von ihrer früheren Gewaltbereitschaft glaubhaft lossagen, eine Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in Betracht kommen. Dazu ist es letztlich auch nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Strafvollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (BGH, Beschluss vom 10.04.2014 – 3 StB 4/14 –).

Zweifel bei der Prognosebeurteilung gehen zu Lasten des Verurteilten, so das bei verbleibenden Unsicherheiten über die Frage, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von künftiger Straffreiheit des Verurteilten auszugehen sei, eine bedingte Haftentlassung nicht in Betracht kommt. (Kammergericht (KG) Berlin, Beschluss vom 06.07.2006 – 1 AR 538/06 – 5 Ws 273/06 –).

Als besondere Umstände i. S. v. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB, die neben einer günstigen Legalprognose vorliegen müssen, wenn der Strafrest schon nach Verbüßung der Hälfte der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll, sind nur solche anzusehen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsgründen ein besonderes Gewicht aufweisen und eine Strafrestaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen.
Die Umstände müssen die Tat, ihre Auswirkungen bzw. die Entwicklung der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt vergleichbarer Fallgestaltungen so deutlich abheben und in einem so milden Licht erscheinen lassen, dass eine Strafaussetzung ohne Gefährdung der allgemeinen Interessen verantwortet werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 12.07.2012 – 3 Ws 143/12 –).
Anders als bei einer Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs.1 Satz 1 StGB) fließen in die Bewertung auch Gesichtspunkte der Schuldschwere, der Generalprävention  und der Verteidigung der Rechtsordnung ein(OLG Köln, Beschluss vom 27.03.2012 – 2 Ws 223/12 –).
Bei einer Verurteilung wegen Steuerstraftaten kann das Vorliegen besonderer Umstände durch die Höhe des Steuerschadens und aufgrund von Vorstrafen des Verurteilten gehindert sein – selbst wenn ansonsten zahlreiche ihm günstige Umstände vorliegen (OLG Hamm, Beschluss vom 18.12.2012 – III -1 Ws 661/12 –).

  • Ob das letzte Drittel einer zeitigen Freiheitsstrafe ausgesetzt wird, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen.
  • Zum Verfahren vergleiche § 454 Strafprozessordnung (StPO).
  • Im Fall des § 57 Abs. 2 StGB wird von dem Gericht eine Entscheidung nur getroffen, wenn vom Verurteilten oder der Staatsanwaltschaft ein entsprechender Antrag gestellt wird.

Bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe setzt das Gericht nach § 57a Abs. 1 Satz 1 StGB die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aus, wenn

  1. fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind,
  2. nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und
  3. die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB vorliegen.
     
  • Gegen die Entscheidung des Gerichts, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, ist sofortige Beschwerde zulässig (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO).
  • Beschließt das Gericht (§ 454 Abs. 1 Satz 1 StPO), dass der Strafrest nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, kann der Verurteilte jederzeit einen neuen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes stellen, sofern keine Sperrfrist nach § 57 Abs. 7 StGB festgesetzt wurde.
  • Wird der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt, kann die Aussetzung unter den Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 StGB widerrufen werden (§ 57 Abs. 3 Satz 1 HS 1 StGB; zum Verfahren siehe § 453 StPO).

Bei einer Verurteilung nach Jugendrecht zu einer Jugendstrafe beträgt nach § 18 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG)

  • das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate und
  • das Höchstmaß zehn Jahre und für Heranwachsende, wenn es sich bei der Tat um Mord handelt und das Höchstmaß von zehn Jahren wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht ausreicht, nach § 105 Abs. 3 JGG fünfzehn Jahre.

Die Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe kann nach § 88 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der Verurteilte

  • einen Teil der Strafe verbüßt hat und
  • dies im Hinblick auf die Entwicklung des Jugendlichen, auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit, verantwortet werden kann.

Nach § 88 Abs. 2 JGG darf vor Verbüßung von sechs Monaten die Aussetzung der Vollstreckung des Restes nur aus besonders wichtigen Gründen angeordnet werden.
Sie ist bei einer Jugendstrafe von mehr als einem Jahr nur zulässig, wenn der Verurteilte mindestens ein Drittel der Strafe verbüßt hat.

 


Warning: Undefined variable $user_ID in /is/htdocs/wp1087826_EK6QR6X9JJ/www/haerlein.de/wordpress/wp-content/themes/arilewp-pro/comments.php on line 45

You must be <a href="https://www.haerlein.de/wp-login.php?redirect_to=https%3A%2F%2Fwww.haerlein.de%2Fwenn-ein-verurteilter-eine-freiheits-oder-jugendstrafe-verbuessen-muss%2F">logged in</a> to post a comment