Zivilprozessrecht – Keine Vermutung des Zugangs bei formloser Mitteilung des Gerichts.

Zivilprozessrecht – Keine Vermutung des Zugangs bei formloser Mitteilung des Gerichts.

In seinem Beschluss vom 19. 06. 2013 – 2 BvR 1960/12 – hatte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit der Frage zu befassen, ob der Bürger das Risiko des Nichtzugangs einer an ihn adressierten Mitteilung des Gerichts trägt.

In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall klagte der Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht (AG). Nach Eingang der Klageerwiderung verfügte das AG die Übermittlung einer Durchschrift an den Beschwerdeführer. Dieser behauptete, ihn habe die Klageerwiderung nicht erreicht. Ob sie ihm tatsächlich zugegangen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Eine Replik durch den Beschwerdeführer erfolgte jedenfalls nicht.

Das AG wies daraufhin die Klage mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer habe im Hinblick auf verschiedene Umstände keinen Beweis angeboten bzw. den Tatsachenvortrag der Gegenseite nicht bestritten.

Der Beschwerdeführer erhob daraufhin die Anhörungsrüge nach § 321 a Zivilprozessordnung (ZPO) und rügte, dass ihm die Klageerwiderung nicht zugegangen sei.
Das AG wies die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, dass letztlich unaufklärbar bleibe, ob die Klageerwiderung dem Beschwerdeführer zugegangen sei. Im Rahmen des § 321 a ZPO sei es nicht ausreichend, wenn ein unterbliebener Zugang lediglich nicht auszuschließen sei.

Die auf eine Verletzung des Art. 103 I GG gestützte Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung an das AG, weil, wie das BVerfG ausführte, das Urteil des AG den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 I Grundgesetz (GG) verletzt.
Danach ist der Anspruch auf rechtliches Gehör eng verknüpft mit dem Recht auf Information. Eine Art. 103 I GG genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass die Verfahrensbeteiligten zu erkennen vermögen, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Sie müssen sich bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt über den gesamten Verfahrensstoff informieren können. Dabei erschöpft sich Art. 103 I GG nicht im Recht der Beteiligten, im Verfahren überhaupt gehört zu werden, sondern gewährleistet die Gelegenheit, sich zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt zu äußern, also grundsätzlich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite. Eine Verletzung von Art. 103 I GG scheidet daher nicht schon deshalb aus, weil sich eine Partei in einem früheren Stadium des Verfahrens hat äußern können und geäußert hat. Vielmehr darf ein Gericht seiner Entscheidung keine Tatsachen oder Beweisergebnisse zu Grunde legen, ohne den Parteien vorher Gelegenheit zu geben, sich zu ihnen zu äußern.

Von Gerichten übersandte Mitteilungen können verloren gehen; geschieht die Übersendung formlos, so besteht keine Vermutung für den Zugang. Der Bürger trägt weder das Risiko des Verlusts im Übermittlungswege noch eine irgendwie geartete Beweislast für den Nichtzugang.

Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Das AG hat der Entscheidung die Ausführungen aus der Klageerwiderung zu Grunde gelegt, mit denen der Vortrag des Beschwerdeführers teilweise bestritten wurde, teilweise aber auch neue Tatsachen vorgetragen wurden.
Die Übersendung der Klageerwiderung erfolgte formlos, so dass keine Vermutung für den Zugang besteht.

Die im Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge geäußerte Rechtsauffassung des AG ist vor diesem Hintergrund offensichtlich unrichtig und willkürlich.
Die angegriffene Entscheidung beruht auf der Verletzung des Art. 103 I GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Anhörung des Beschwerdeführers zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte. Nach dem Vortrag im Verfahren der Verfassungsbeschwerde hätte der Beschwerdeführer den Vortrag der Gegenseite bestritten und streitige Behauptungen unter Beweis gestellt.

 

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.


Warning: Undefined variable $user_ID in /is/htdocs/wp1087826_EK6QR6X9JJ/www/haerlein.de/wordpress/wp-content/themes/arilewp-pro/comments.php on line 45

You must be <a href="https://www.haerlein.de/wp-login.php?redirect_to=https%3A%2F%2Fwww.haerlein.de%2Fzivilprozessrecht-keine-vermutung-des-zugangs-bei-formloser%2F">logged in</a> to post a comment