Zur Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen

Zur Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss.
Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGH, Urteil vom 23.06.1993 – IV ZR 135/92 –).
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind aus sich heraus zu interpretieren. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 25.07.2012 – IV ZR 201/10 –).

War beispielsweise

  • ein selbständiger Handwerksmeister beauftragt für eine im Keller eines Gebäudes befindliche Maschine eine Podestfläche und einen Pumpensumpf, in den ständig Wasser einläuft, abzudichten sowie einzufliesen und bildete sich, weil sich die von ihm eingebaute Abdichtung des Pumpensumpfes gelöst hatte, unterhalb des Einlaufrohres eine Leckage, aus der ständig Wasser austrat und den gesamten Keller durchnässte

und

  • wird der Versicherungsfall in den der Betriebshaftpflichtversicherung des Handwerkmeisters zugrunde liegenden Bedingungen (im Folgenden: AHB) wie folgt beschrieben,
    „Versicherungsschutz besteht im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass der Versicherungsnehmer wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadenereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird. 
    Schadenereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist.
    Auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung, die zum Schadenereignis geführt hat, kommt es nicht an.“

ergibt die den obigen Vorgaben folgende Auslegung dieser AHB,

  • dass als das maßgebliche Schadensereignis erst der Austritt des Wassers anzusehen ist.

Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird Satz 3 der obigen AHB zunächst entnehmen, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Schadenverursachung ankommt, da diese erst noch zum Schadenereignis führen muss.
Der Zeitpunkt der Ausführung der Fliesen- und Abdichtungsarbeiten scheidet damit aus.

Umgekehrt wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer aufgrund der Regelung des Satz 2 der AHB erkennen, dass das Schadenereignis zeitlich noch vor dem Zeitpunkt der Schädigung des Dritten liegen muss, da die Schädigung als Folge des Schadenereignisses bezeichnet ist.
Dabei muss der zeitliche Abstand allerdings nicht groß sein, da die Schädigung des Dritten „unmittelbar“ aus dem Schadenereignis entstanden sein soll.
Danach kommt auch die Abnahme der fehlerhaften Arbeit als maßgebliches Ereignis nicht in Betracht; sie führt die Schädigung nicht unmittelbar herbei.

Als mögliche Anknüpfungspunkte verbleiben damit nur die Inbetriebnahme des Pumpensumpfes und der tatsächlich stattfindende Wasseraustritt.

Die letzte Tatsache, die den Schaden an den Sachen des Auftraggebers ausgelöst hat, ist jedoch erst der Austritt des Wassers selbst.
Erst für diesen Umstand wird der Handwerksmeister von seinem Auftraggeber haftbar gemacht. Schadenereignis kann aber nur ein solches Ereignis sein, das zur Auslösung des gegen den Versicherungsnehmer gerichteten Haftpflichtanspruchs geeignet ist (BGH, Urteil vom 11.12.2002 – IV ZR 226/01 –).
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Klausel daher aufgrund des in ihr verwendeten Begriffs der Unmittelbarkeit so verstehen, dass ihm gerade für den Eintritt dieser Tatsache Haftpflichtversicherungsschutz gewährt werden soll.

Was nach den AHB als das für einen Versicherungsfall maßgebliche Schadensereignis anzusehen ist, kann u. a. von Bedeutung sein für die Frage, ob das maßgebliche Schadensereignis (schon oder noch) in den versicherten Zeitraum fällt.
Wären

  • die Abdichtungsarbeiten im obigen Beispielsfall beispielsweise im Juli 2013 ausgeführt worden,
  • Versicherungsbeginn der 03.09.2013 gewesen und
  • der Wasseraustritt erstmals am 07.11.2013 bemerkt worden,

würde damit das Schadensereignis innerhalb der versicherten Zeit liegen.
Zwar ist es unklar, wann genau die Undichtigkeit nach der Inbetriebnahme der Anlage eintrat und der Wasseraustritt begonnen hat, bevor das Wasser schließlich in die Räume des Geschädigten lief und dort am 07.11.2013 entdeckt wurde. Es ist aber klar, dass aus dem Leck des Pumpensumpfes bis zur Entdeckung der Feuchtigkeitsschäden ständig Wasser ausgelaufen ist, so dass der Versicherungsfall jedenfalls auch in der versicherten Zeit angedauert hat.

Sind nach den AHB in dem obigen Beispielsfall von der Versicherung ausgeschlossen,

  • „Haftpflichtansprüche aus Sachschäden, welche entstehen durch 
    (1) Abwässer, soweit es sich nicht um häusliche Abwässer handelt,
    …“

kann diese Bestimmung aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, dass sie nur dann Anwendung findet, wenn der Versicherungsnehmer selbst die Abwässer abgeleitet oder wenigstens ihre Ableitung veranlasst hat.
Einen Anhaltspunkt für eine derartige Einschränkung bietet der Wortlaut der Regelung nicht. Aber auch aus ihrem Zweck kann sie nicht entnommen werden. Der Grund für den Ausschluss liegt in der besonderen Abwassergefahr aufgrund der unübersehbaren Veränderungen der Beschaffenheit, denen Gebrauchswasser nach seiner Nutzung unterliegen kann. Es vermag Krankheitskeime, Fäulnisstoffe oder chemische Zusätze in sich aufzunehmen, die ihm aggressive, gefährliche Eigenschaften verleihen, mit denen in der Natur vorkommendes Wasser regelmäßig nicht behaftet ist. Für diese typischen, unüberschaubaren Gefahren der Abwässer, die Anlass zu ihrer tunlichst gesicherten Ableitung geben, will auch der Haftpflichtversicherer nicht einstehen (BGH, Urteil vom 13.12.1972 – IV ZR 154/71 –).
Der Ausschlussgrund ist damit objektiver Natur und unabhängig davon, auf wessen Handeln die Ableitung dieser Abwässer zurückgeht.
Da auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer die potentiell erhöhte Gefährlichkeit von Abwasser als Grund für den Ausschluss erkennen wird, wird er den Begriff der häuslichen Abwässer, die vom Anwendungsbereich der Klausel ausgenommen sind, als Abgrenzung zu gewerblichen oder betrieblichen Abwässern verstehen, denen eine derartige Gefährlichkeit regelmäßig in nochmals erhöhtem Maße anhaftet.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des BGH mit Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12 – hingewiesen.

 


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