Tag Prozessrecht

Zur Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen des Zustellungsadressaten.

In der widerspruchslosen Entgegennahme des zustellenden Schriftstücks durch eine in den Geschäftsräumen beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) liegt zugleich die (konkludente) Erklärung,

  • dass der Zustellungsadressat abwesend
  • beziehungsweise an der Entgegennahme der Zustellung verhindert ist.

Weitere Nachforschungen des Zustellers sind dann regelmäßig nicht veranlasst.

Darauf hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 04.02.2015 – III ZR 513/13 – in einem Fall hingewiesen, in dem

  • einer GmbH ein Versäumnisurteil durch Übergabe an eine bei der GmbH Beschäftigte zugestellt sowie vom Zusteller in der Zustellungsurkunde vermerkt worden, den Zustellungsadressaten (den Geschäftsführer der GmbH als deren gesetzlichen Vertreter) in den Geschäftsräumen nicht erreicht zu haben und
  • die GmbH nachfolgend geltend gemacht hatte, die Zustellung sei nicht wirksam erfolgt, weil der Zusteller das zuzustellende Schriftstück ohne jede Nachfrage bei der Mitarbeiterin S. abgegeben habe, obwohl der Geschäftsführer der GmbH in den Geschäftsräumen anwesend und zur Annahme der Zustellung bereit gewesen sei.

Die Zustellung war wirksam, weil, wie der III. Zivilsenat ausführte, nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Wirksamkeit der Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen nur davon abhängt, dass der Zustellungsadressat „nicht angetroffen“ wird.
Durch das Zustellungsreformgesetz wurde an dem „Nichtantreffen“ des Zustellungsadressaten als (gemeinsame) Voraussetzung für sämtliche in § 178 Abs. 1 ZPO geregelten Arten der Ersatzzustellung festgehalten (Bundestags- Drucksache 14/4554 S. 20).
Nach dem Willen des Gesetzgebers, der eine Vereinheitlichung und Vereinfachung der Ersatzzustellung in einem Geschäftslokal bezweckte (Bundestags-Drucksache14/4554 S. 1, 13 f), besteht dabei keine Verpflichtung des Zustellers zur ausdrücklichen Nachfrage nach der Person des Zustellungsadressaten.
Es reicht aus, dass er den Zustellungsadressaten in dem Geschäftsraum,

  • in dem sich der Publikumsverkehr abspielt,

nicht antrifft.
In diesem Fall kann er das zuzustellende Schriftstück an eine dort beschäftigte Person übergeben. 

 

Untersuchungshaft, wie lange darf sie andauern, ohne dass ein Urteil ergangen ist?

Der Vollzug von Untersuchungshaft aufgrund eines bestehenden Haftbefehls (§ 114 Strafprozessordnung (StPO)) darf,

  • solange kein Urteil ergangen ist,
  • über 6 Monate hinaus nur dann aufrechterhalten werden (vgl. § 121 Abs. 1 StPO),

wenn

  • der Beschuldigte nach dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Haftprüfungsentscheidung, der ihm im Haftbefehl vorgeworfenen Tat(en) dringend verdächtig ist,
  • ein Haftgrund nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (Fluchtgefahr), nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO (Verdunkelungsgefahr), nach § 112 Abs. 3 StPO oder nach § 112a StPO besteht, wobei der Vollzug der Haft, wenn sie auf den Haftgrund des § 112a gestützt wird, nicht länger als 1 Jahr aufrechterhalten werden darf (§ 122a StPO),
  • das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden ist, aber die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und
  • der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe steht.

Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Ansonsten ist der Haftbefehl aufzuheben.

Darauf hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 22.01.2015 – AK 34/14 – hingewiesen.

Die besondere Haftprüfung, ob Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus fortdauert, erfolgt nach § 122 Abs. 3 und 4 StPO durch das Oberlandesgericht (OLG) oder im Fall des § 122 Abs. 7 StPO durch den Bundesgerichtshof (BGH) und muss, sofern die Fortdauer angeordnet wird, nachfolgend alle 3 Monate wiederholt werden bis ein Urteil ergeht.

 

Tonaufzeichnungen aufgrund einer Telekommunikationsüberwachung als Beweisstücke im Strafprozess.

Bei Tonaufzeichnungen aufgrund einer Telekommunikationsüberwachung handelt es sich um Augenscheinobjekte, die als Beweisstücke nach § 147 Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO)) von Verteidigern und Angeklagten grundsätzlich nur am Ort ihrer amtlichen Verwahrung besichtigt bzw. bei Tonaufzeichnungen angehört werden können.

Darauf hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg mit Beschluss vom 11.02.2015 – 2 Ws 8/15 – hingewiesen (so auch Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 11.02.2014 – 1 StR 355/13 –).

Die Aufzeichnung von Telefongesprächen führt, wie der 2. Strafsenat des OLG Nürnberg ausgeführt hat, zu einem Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz (GG)) Dritter.

  • Deshalb können derartige Maßnahmen nach der Abwägung des Grundrechtseingriffs mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse durch den Gesetzgeber
  • Betroffene Personen sind von der Maßnahme zu unterrichten,
    • allerdings erst, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten möglich ist (§ 101 Abs. 5 Satz 1 StPO).
  • Wenn die Daten nicht mehr erforderlich sind, sind sie zu löschen, was aktenkundig zu machen ist (§ 101 Abs. 8 Satz 1, 2 StPO).

Ausfluss der zum Schutz der Rechte der betroffenen Dritten vorhandenen Regelungen ist,

  • dass die gewonnenen Daten stets der vollen staatlichen Kontrolle unterliegen und
  • eine vollständige Vernichtung der Daten nach Abschluss des Verfahrens gewährleistet wird.

Dies ist nur möglich, wenn eine Herausgabe der Daten an Verteidiger oder Angeklagte ausgeschlossen ist. 

 

Wenn auf einem im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Lichtbild auch der Beifahrer erkennbar ist.

Wird im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme ein Lichtbild gefertigt,

  • auf dem auch der Beifahrer erkennbar ist und
  • gelangt dieses Foto ohne Unkenntlichmachung des Beifahrers in die Gerichtsakte,

unterliegt es keinem Verwertungsverbot.

  • Vielmehr kann das Amtsgericht dann aus der Person des Beifahrers Schlüsse auf die Identität des Fahrzeugführers ziehen.

Das hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg mit Beschluss vom 09.02.2015 – 2 Ss (OWi) 20/15 – entschieden.

Denn, werden Bildaufnahmen im Rahmen einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme von einem Fahrzeugführer und seinem Fahrzeug wegen eines bestehenden Verdachts eines bußgeldbewährten Verkehrsverstoßes gefertigt, ist die Anfertigung der Lichtbilder

so dass

  • das Lichtbild von dem Beifahrer in solchen Fällen zunächst aufgrund einer ausreichenden Rechtsgrundlage gefertigt worden ist.

Wird ein so gefertigtes Lichtbild ohne Unkenntlichmachung der Person des Beifahrers in die Akte der Verwaltungsbehörde und später des Gerichts übernommen, ist, wie der Senat ausgeführt hat, durch die Auswertung des Lichtbildes auch hinsichtlich der Person des Beifahrers das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen nicht in einem Maße berührt, dass insofern von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden müsste.

 

Sind Aufzeichnungen einer in einem Pkw installierten Dashcam als Beweismittel zum Hergang eines Unfalls verwertbar?

Aufzeichnungen einer in einem Pkw installierten Dashcam können im Zivilprozess nicht als Beweismittel zum Hergang eines Unfalls verwertet werden.

Das hat das Landgericht (LG) Heilbronn mit Urteil vom 17.2.2015 – I 3 S 19/14 – entschieden (so übrigens auch Amtsgericht (AG) München, Beschluss vom 13.08.2014 – 345 C 5551/14 –)

Die permanente, anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs durch eine im Pkw installierte Dashcam ohne Kenntnis der Betroffenen  

und solche rechtswidrig erlangten Beweismittel sind nach den Grundsätzen über die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel ausnahmsweise nur dann zulässig, wenn, über dem allgemeinen Interesses an einer funktionierenden Straf- und Zivilrechtspflege hinausgehende, besondere Umstände vorliegen, die das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Rechtsverletzung als schutzbedürftig erscheinen lassen (Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 10.12.2002 – VI ZR 378/01 –; Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 09.10.2002 – 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 –).

 

Partei hat im Zivilprozess Anspruch auf mündliche Anhörung des Sachverständigen.

Nach ständiger Rechtsprechung hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 Zivilprozessordnung (ZPO) einen Anspruch darauf, dass sie dem gerichtlichen Sachverständigen, der ein Gutachten erstellt hat, die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. etwa Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22.05.2001 – VI ZR 268/00 –; BGH, Beschlüsse vom 10.05.2005 – VI ZR 245/04 –; vom 05.09.2006 – VI ZR 176/05 –; vom 22.05.2007 – VI ZR 233/06 –).

Lässt das Gericht in einem solchen Fall den Antrag einer Partei, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, unberücksichtigt, verstößt es gegen Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Darauf hat der VI. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 28.10.2014 – VI ZR 273/13 – hingewiesen.

 

Wenn ein Angeklagter in der Hauptverhandlung beim Eintreten des Gerichts in den Sitzungssaal nicht aufsteht sondern sitzenbleibt.

Erhebt sich ein Angeklagter nach einer Sitzungspause beim Wiedereintritt des Gerichtes nicht, stellt dies in der Regel keine Ungebühr nach § 178 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) dar.

Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe mit Beschluss vom 05.01.2015 – 2 W 448/14 – entschieden und

  • das von einem Amtsgericht gegen einen Angeklagten, der sich nach einer kurzen Verhandlungspause beim erneuten Eintreten der Richterin nicht erhoben hatte, auf Grund dessen wegen Ungebühr nach § 178 Abs. 1 GVG verhängte Ordnungsgeld aufgehoben.

Nach dieser Entscheidung kann das Sitzenbleiben eines Angeklagten zwar grundsätzlich eine Ungebühr im Sinne des § 178 GVG Abs. 1 darstellen. Jedoch gilt dies nicht uneingeschränkt.

In Nr. 124 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) ist vorgesehen, dass sich sämtliche Anwesenden (lediglich) beim

  • Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung,
  • bei der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen und
  • bei der Verkündung der Urteilsformel

von ihren Plätzen erheben.
Diese verwaltungsrechtlichen Vorgaben, an die die Gerichte nicht gebunden sind, wurden von der Rechtsprechung letztlich übernommen (OLG Koblenz, Beschluss vom 02.12.1983 – 2 Ws 647/83 – [erstes Eintreten des Gerichts]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.01.1969 – 2 Ws 209/68 – 2 Ws 210/68 – [Urteilsverkündung]; OLG Hamm, Beschluss vom 04.02.1975 – 5 Ws 14/75 – [Urteilsverkündung]; OLG Celle, Beschluss vom 17.01.2012 – 1 Ws 504/11 – [Urteilsverkündung]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 11.06.2013 – 2 Ws 12/13 – [Urteilsverkündung]).

Demgegenüber stellt das (bloße) Sitzenbleiben beim Eintreten des Gerichts

  • nach vorangegangener Sitzungspause

nur dann eine Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG dar,

  • wenn weitere objektive Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, dass dies in der Absicht geschieht, das Gericht zu provozieren oder herabzusetzen (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 28.02.2007 – 1 W 33/07 –).

Auch wird das Verhalten eines Angeklagten nicht dadurch ungebührlich, dass er nach einer vorausgegangenen Sitzungspause beim Eintreten des Gerichts der Aufforderung des Vorsitzenden, sich von seinem Platz zu erheben, nicht nachkommt.
Denn hierzu ist er nicht verpflichtet, mag es auch verbreitet üblich sein. Anders als zu Beginn der Sitzung stellt deren Fortsetzung nach einer Pause nämlich keinen besonderen Verfahrensabschnitt dar, der einer Verdeutlichung durch die äußere Form des Aufstehens der im Sitzungssaal Anwesenden bedarf.

 

Wenn darüber gestritten wird, ob ein Geldbetrag als Darlehen gegeben war oder ob es sich um eine Schenkung handelte.

Wer auf Rückzahlung eines Darlehens klagt, muss nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)

Aus dem Urteil des BGH vom 14.11.2006 – X ZR 34/05 – ergibt sich nichts Gegenteiliges. In jenem Fall ging es nicht um einen Darlehens-, sondern um einen Bereicherungsanspruch. Nur für die dort gegebene besondere Situation (Abhebungen vom Konto des Gläubigers durch den Zahlungsempfänger) ist dem Schuldner die Beweislast für das behauptete Schenkungsversprechen und damit das Bestehen des geltend gemachten Rechtsgrundes auferlegt worden. Dass dieses auch dann gilt, wenn der Anspruchsteller geltend macht, er habe ein Darlehen gewährt, lässt sich diesem Urteil nicht entnehmen.

Seinen Substantiierungspflichten für eine Darlehensabrede genügt der Kläger nach ständiger Rechtsprechung des BGH,

  • wenn er Tatsachen vorträgt,
  • die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu lassen.

Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Urteil vom 18.04.2012 – IV ZR 147/10 –; BGH, Beschluss vom 21.09.2011 – IV ZR 95/10 –).

  • Der Pflicht zur Substantiierung ist nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolgen erfüllt sind.
  • Dagegen ist es Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme die Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach allen Einzelheiten zu fragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen (BGH, Urteil vom 25.07.2005 – II ZR 199/03 –; BGH, Beschluss vom 01.06.2005 – XII ZR 275/02 –).

Die Vernehmung von Zeugen, die zu der vom Kläger behaupteten Darlehensabrede benannt sind, darf deshalb beispielsweise nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Kläger weitere Anhaltspunkte zu ihrer Anwesenheit bei Unterredungen der Parteien im Zusammenhang mit der Geldübergabe vorträgt.

Darauf hat der IV. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 19.11.2014 – IV ZR 317/13 – hingewiesen.

 

Führen eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinfluss bei gleichzeitigem Besitz der Drogen während der Fahrt.

Da Führen eines Kraftfahrzeugs unter Drogeneinwirkung und der gleichzeitige Drogenbesitz im Regelfall keine Tat im prozessualen Sinne darstellen, hindert die rechtkräftige Verurteilung wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG) die Verfolgung der Straftat wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) im Regelfall auch nicht.

Das hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Braunschweig mit Urteil vom 10.10.2014 – 1 Ss 52/14 – entschieden.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte, der ein Kfz unter Drogengenuss geführt hatte und der bei dieser Fahrt Marihuana in seiner Jackentasche mit dabei hatte, zunächst nur wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter dem Einfluss berauschender Mittel nach § 24a Abs. 2 StVG rechtskräftig zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 € verurteilt worden.

Der Verfolgung des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG wäre dieses rechtskräftig gewordene Urteil dann entgegen gestanden, wenn dadurch Strafklageverbrauch eingetreten wäre und damit ein Verfahrenshindernis bestanden hätte.
Dies war jedoch, nachdem zwischen den beiden Taten 

  • weder materiell-rechtliche Tateinheit im Sinne des § 52 Strafgesetzbuch (StGB) bestand,
  • noch verfahrensrechtlich Tatidentität im Sinne des § 264 Strafprozessordnung (StPO)), da das Mitführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang stand,

nicht der Fall (vgl. hierzu auch: Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 27.04.2004 – 1 StR 466/03 –).

 

Wann ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich?

Von einer Beweiserhebung darf grundsätzlich nicht bereits deswegen abgesehen werden, weil die beweisbelastete Partei keine schlüssige Erklärung dafür liefert, weshalb eine von ihr behauptete Absprache zu einer schriftlich getroffenen Abrede keinen Eingang in den schriftlichen Vertrag gefunden hat.

Darauf hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Beschluss vom 11.11.2014 – VIII ZR 302/13 – (zum wiederholten Mal) hingewiesen.

  • Danach gehört es zwar zu den anerkannten Grundsätzen für die – an sich dem Tatrichter vorbehaltene – Auslegung einer Individualvereinbarung, dass der Wortlaut der Vereinbarung den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorzunehmenden Auslegung bildet.
  • Gleichzeitig gilt hierbei aber auch, dass ein übereinstimmender Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vorgeht, selbst wenn er im Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (BGH, Beschlüsse vom 05.04.2005 – VIII ZR 160/04 –; vom 20.09.2006 – VIII ZR 141/05 –; vom 06.03.2007 – X ZR 58/06 –; vom 30.04.2014 – XII ZR 124/12 –).

Schon wegen dieses Vorrangs eines übereinstimmenden Parteiwillens darf ein entsprechender Sachvortrag nicht als unbeachtlich übergangen werden.

Auch dass für die über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit besteht, führt

  • lediglich dazu, dass eine Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – sei es zum Nachweis eines vom Urkundstext abweichenden übereinstimmenden Willens der Parteien, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus Sicht des Erklärungsempfängers – beruft, die Beweislast für deren Vorliegen trifft (BGH, Urteil vom 05.07.2002 – V ZR 143/01 –),
  • nicht aber dazu, dass die beweisbelastete Partei über die Darlegung des tatsächlich Gewollten zusätzlich noch nachvollziehbar und schlüssig erläutern muss, aus welchen Umständen sich die Unvollständigkeit der Urkunde erklären lässt, warum die Parteien also von einer schriftlichen Fixierung der mündlichen Nebenabrede abgesehen haben (BGH, Beschlüsse vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 – und vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –)

Derart weitgehende Darlegungsnotwendigkeiten finden im Prozessrecht keine Stütze mehr und überspannen die an einen rechtlich beachtlichen Sachvortrag zu stellenden Substantiierungsanforderungen in einer nicht mit Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Einklang stehenden Weise.

  • Ein Sachvortrag ist zur Begründung eines Anspruchs bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich diese Darstellung ist.
  • Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind.
  • Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen.
  • Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen.
  • Dagegen ist die Frage, ob ein Sachvortrag wahrscheinlich oder angesichts der Urkundenlage eher unwahrscheinlich ist, für die Erheblichkeit und damit die Beweisbedürftigkeit des Vorbringens ohne Belang (BGH, Beschlüsse vom 11.05.2010 – VIII ZR 212/07 –; vom 12.03.2013 – VIII ZR 179/12 –).

Dementsprechend darf bei einem Parteivortrag zu Umständen, die in einer Vertragsurkunde keinen oder nur undeutlichen Niederschl     ag gefunden haben, nicht zusätzlich zur Darlegung einer Willensübereinstimmung bei Vertragsschluss noch eine Erklärung dafür gefordert werden, weshalb die Parteien davon abgesehen haben, eine behauptete mündliche (Neben-) Abrede in die Vertragsurkunde aufzunehmen (BGH, Beschlüsse vom 25.10.2011 – VIII ZR 125/11 –; vom 21.10.2014 – VIII ZR 34/14 –).