Tag Sozialrecht

Muss Rentenversicherungsträger einem Versicherten einen täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisch verschaffen?

Benötigt ein Versicherter nach einer betriebsärztlichen Stellungnahme aus gesundheitlichen Gründen, beispielsweise wegen des Bestehens degenerativer Veränderungen aller Wirbelsäulenabschnitte, einen täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisch, der ein wechselndes Arbeiten im Sitzen und Stehen ermöglicht, muss der zuständigen Rentenversicherungsträger, wenn sich der Arbeitgeber nicht an den Anschaffungskosten beteiligt, die Kosten dafür übernehmen.

Das hat der 6. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Mainz mit Urteil vom 02.03.2016 – L 6 R 504/14 – entschieden und zur Begründung in dem seiner Entscheidung zugrunde liegendem Fall ausgeführt, dass

  • der Versicherte aufgrund der in seiner Person liegenden besonderen gesundheitlichen Umstände zur Abwendung einer drohenden Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die Nutzung eines speziellen täglich mehrfach höhenverstellbaren Schreibtisches, auf dem Computer, Akten, Telefon und Schreibunterlagen Platz finden, angewiesen war und
  • diesen Anforderungen allein ein täglich mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch genügte.

 

Das hat die Pressestelle des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz am 04.03.2016 – 6/2016 – mitgeteilt.

 

Wenn Alkohol während der Schwangerschaft das ungeborene Kind schädigt

Hat Alkoholkonsum einer Mutter während der Schwangerschaft zu Schädigungen des ungeborenen Kindes, den Fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) geführt, hat das Kind keinen Anspruch auf eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Das hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 08.12.2015 – S 1 VG 83/14 – entschieden und die Klage eines 58-Jährigen abgewiesen,

  • bei dem eine fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) festgestellt worden war und
  • der wegen des Alkoholkonsums seiner Mutter während der Schwangerschaft vom Landschaftsverband Rheinland eine Versorgung nach dem OEG wollte.

 

Begründet hat das SG seine – noch nicht rechtskräftige – Entscheidung damit, dass ein Anspruch auf Versorgung nach § 1 Abs. 1 OEG eine infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs erlittene gesundheitliche Schädigung voraussetzt und diese Voraussetzung, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden ist hier nicht vorgelegen habe, da

  • Alkoholkonsum einer Mutter während der Schwangerschaft keine Straftat sei,
  • die Leibesfrucht nicht Opfer einer Körperverletzung sein könne,
  • nur das ungeborene Leben selbst strafrechtlich geschützt sei und
  • der Versuch eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs durch die Mutter des Klägers hier nicht festzustellen gewesen sei.

 

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Düsseldorf mitgeteilt.

 

Sturz im Hotelzimmer bei nächtlichem Toilettengang während einer Dienstreise ist kein Arbeitsunfall

Übernachtet ein Angestellter während einer Dienstreise in einem Hotel und stürzt er dort in seinem Zimmer nachts beim Gang zur Toilette, weil er nach dem Aufstehen aus dem Bett über den Bettüberwurf stolpert, handelt es sich dabei um keinen Arbeitsunfall.

Das hat die 31. Kammer des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf mit Urteil vom 05.11.2015 – S 31 U 427/14 – entschieden und in einem solchen Fall,

  • bei dem sich ein Diplom-Ingenieurs einen Bruch eines Wirbelkörpers zugezogen hatte,
  • dessen Klage gegen seine Berufsgenossenschaft, den Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen, abgewiesen.

 

Begründet hat die Kammer ihre Entscheidung damit, dass

  • der Unfall in keinem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden sei,
  • die Nachtruhe im Hotelzimmer während einer Dienstreise und die damit zusammenhängenden Verrichtungen grundsätzlich nicht mehr zum vom Versicherungsschutz umfassten Bereich gehören und
  • auch eine Ausnahme hiervon nicht vorgelegen habe, weil der Unfall in dem obigen Fall nicht durch eine gefährliche Einrichtung ausgelöst worden sei, die der Versicherte wegen eines auswärtigen Dienstgeschäftes habe benutzen müssen, sondern durch einen Bettüberwurf.

 

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Düsseldorf mitgeteilt.

 

Muss auch der Schwiegersohn einer Hilfeempfängerin gegenüber Sozialamt sein Einkommen und Vermögen offenlegen?

Der Schwiegersohn einer Empfängerin von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) muss dem Sozialamt auf Anfrage Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse erteilen.

Das hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 18.02.2016 – L 5 SO 78/15 – entschieden und in einem Fall, in dem das Sozialamt

  • einer Hilfeempfängerin bis zu ihrem Tod Hilfe zur Pflege gewährt und
  • nach dem Tod der Hilfeempfängerin von deren Tochter sowie auch von deren Ehemann Auskunft über deren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verlangt hatte,

 

die Klage des Schwiegersohns der Hilfeempfängerin gegen dieses Auskunftsbegehren abgewiesen.

Seine Entscheidung begründet hat das LSG damit, dass das Sozialamt zur Prüfung, ob die Tochter für an die Mutter geleistete Sozialhilfe nach § 94 SGB XII in Anspruch genommen werden kann, feststellen müsse,

  • ob die Tochter gegenüber ihrer Mutter nach §§ 1601, 1603 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unterhaltpflichtig gewesen sei und
  • diese auch dann, falls sie selbst kein über den eigenen Bedarf hinausgehendes Einkommen gehabt habe, der Mutter Unterhalt hätte zahlen müssen, soweit ihr Einkommen wegen des vom Ehepartner erzielten Einkommens nicht für den gemeinsamen Familienunterhalt benötigt worden sei oder soweit sie von ihrem Ehemann ein Taschengeld erhalten habe.

 

Das hat die Pressestelle des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz am 25.02.2016 – 5/2016 – mitgeteilt.

 

Bei Wechsel aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis in ein befristetes Arbeitsverhältnis

Bei einem Wechsel eines Arbeitnehmers aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis in ein befristetes Arbeitsverhältnis tritt im Anschluss an die befristete Tätigkeit dann keine Sperrzeit ein, wenn der Arbeitnehmer ein berechtigtes Interesse an der Lösung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses hatte.

Darauf hat das Sozialgericht (SG) Speyer mit Urteil vom 17.02.2016 – S 1 AL 63/15 – hingewiesen und in einem Fall,

  • in dem ein Maurer, der zunächst ca. 50 km von seinem Wohnort beschäftigt war, bei seinem Arbeitgeber gekündigt, anschließend bei einem Betrieb in der Nähe seines Wohnortes gearbeitet hatte, sich, weil dieses Arbeitsverhältnis von Anfang an auf zunächst 2 Monate befristet war, danach arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hatte,

 

entschieden, dass der Maurer Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG I) hat.

Begründet hat das SG seine Entscheidung damit,

  • dass bei einem Wechsel aus einem unbefristeten in ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Sperrzeit von 12 Wochen im Anschluss an die befristete Beschäftigung nur eintrete, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden könne,
  • hier der Maurer ein berechtigtes Interesse an der Lösung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu Gunsten eines befristeten gehabt habe, das das Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Fortführung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses überwiege,
    • da er durch die Aufnahme des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht nur seinen Anfahrtsweg zur Arbeit und damit die Höhe der Fahrtkosten drastisch verkürzt,
    • sondern der Arbeitgeber des befristeten Arbeitsverhältnisses auch einen um ca. 20% höheren Stundenlohn gezahlt und
    • das befristete Arbeitsverhältnis für ihn somit deutlich attraktivere Arbeitsbedingungen geboten habe.

 

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Speyer am 19.02.2016 – 01/16 – mitgeteilt.

 

Weil sie Wiederheirat verschwieg muss 84jährige 150.000 Euro Witwenrente zurückzahlen

Eine inzwischen 84jährige, die nach dem Tode ihres Ehemannes ab 1993 von der Deutschen Rentenversicherung eine Witwenrente bezogen hatte, im Alter von über 60 Jahren in die USA gezogen war und dort in Santa Barbara / Kalifornien im Dezember 1998 noch einmal geheiratet hatte, muss,

  • weil sie diese Eheschließung der Rentenversicherung nicht angezeigt und deshalb weiter Witwenrente in Höhe erhalten hatte,

 

die seit ihrer Wiederheirat bezogene Witwenrente von knapp 150.000 Euro an die Rentenversicherung zurückzahlen.

Das hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 11.12.2015 – S 105 R 6718/14 – entschieden.

Begründet worden ist die Entscheidung vom SG u.a. damit,

  • dass Anspruch auf Witwenrente nur bis zu einer Wiederheirat (§ 46 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung) bestehe,
  • dies auch bei einer in den USA geschlossenen Hochzeit gelte,
  • es für eine Unwirksamkeit der Eheschließung in Santa Barbara keine Anhaltspunkte gebe,
  • die 84jährige ihre Pflicht die Wiederheirat der Rentenversicherung mitzuteilen grob fahrlässig verletzt habe, da ihr Rentenbescheid den Hinweis erhalten hatte, dass die Rente mit Ablauf des Monats der Wiederheirat wegfällt und daher die gesetzliche Verpflichtung besteht, eine Wiederheirat unverzüglich mitzuteilen und ihr aufgrund dessen die Pflicht zur Mitteilung der Hochzeit hätte bekannt sein müssen und
  • auch kein atypischer Fall vorliege, der die rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung möglicherweise ausschließen könnte, nachdem die 84jährige über ein Sparvermögen von rund 90.000 Euro und eine Eigentumswohnung verfüge und demzufolge durch die Rückforderung der Rente nicht in besondere Bedrängnis gerate.

 

Das hat die Pressestelle des Sozialgerichts Berlin am 08.01.2016 mitgeteilt.

 

Wenn eingesetzte Mitarbeiter eines Pflegedienstes nicht über die vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügen

Der Betreiber eines Pflegedienstes, der mit einem Kunden einen Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen geschlossen hat,

  • in dem die sozialrechtlichen Abrechnungsgrundsätze durch Bezugnahme zur Grundlage der privatrechtlichen Leistungsbeziehung der Parteien gemacht worden sind, also die Abrechenbarkeit der erbrachten Pflegeleistungen nach den Grundsätzen des Sozialrechts zu beurteilen ist,

 

hat gegen den Kunden keinen Vergütungsanspruch nach § 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB),

  • soweit die eingesetzten Pflegekräfte nicht über die in dem Pflegevertrag vorausgesetzte Qualifikation verfügen.

 

Das hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit Urteil vom 08.10.2015 – III ZR 93/15 – in einem Fall entschieden, in dem der Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes auf seiner Homepage mit der Aussage geworben hatte, dass bei ihm ausschließlich festangestellte examinierte Kinderkrankenpflegefachkräfte arbeiten.

Ob die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden sind ist dabei unerheblich.
Wie der Senat ausgeführt hat, führt in der gesetzlichen Krankenversicherung das Unterschreiten der nach dem Pflegevertrag vereinbarten Qualifikation nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen des Sozialrechts nämlich auch dann zum vollständigen Entfallen des Vergütungsanspruchs, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 16.06.2014 – 4 StR 21/14 –; Sächsisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 18.12.2009 – L 1 KR 89/06 –).
Dieser „streng formalen Betrachtungsweise“ liegt die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Vertragsarztrecht und zum Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde, wonach Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems zu gewährleisten haben, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht.
Das wird dadurch erreicht, dass dem Leistungserbringer für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden und für den Versicherten geeignet und nützlich sind.
Um eine den praktischen Erfordernissen entsprechende Qualitätskontrolle zu gewährleisten, können die Krankenkassen auf formalen Ausbildungs- und Weiterbildungsqualifikationen bestehen mit der Folge, dass die Abrechenbarkeit von Leistungen streng an die formale Qualifikation des Personals anknüpft, wobei die vertragliche Vereinbarung mit dem Leistungserbringer maßgeblich ist.
Dementsprechend scheidet ein Vergütungsanspruch aus, wenn Pflegeleistungen durch Personal erbracht werden, welches nicht über die vertraglich vorausgesetzte Qualifikation verfügt.

Ob diese Grundsätze generell auf Pflegeverträge mit privat Versicherten anzuwenden sind, also auch auf Pflegeverträge bei denen die Parteien die sozialrechtlichen Abrechnungsgrundsätze nicht zur Grundlage ihrer privatrechtlichen Leistungsbeziehung gemacht haben, hat der Senat offen gelassen, weil dies in dem der Entscheidung zugrunde liegendem Fall keiner Entscheidung bedurfte. 

 

Wann handelt es sich bei einem Unfall um einen Arbeitsunfall?

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2 , 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit).
Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs. 1 Satz 2).
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich,

  • dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls (bzw. kurz davor) der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang),
  • diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und
  • dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

 

Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 30.01.2007 – B 2 U 23/05 R – vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R – und vom 15.05.2012 – B 2 U 16/11 R –).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass

  • das Unfallereignis selbst sowie
  • die versicherte Tätigkeit als auch
  • der Gesundheitsschaden

 

mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein müssen.
Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen.

Nur für die Kausalbeziehungen zwischen dem unfallbringenden Verhalten und der Krankheit genügt nach herrschender Meinung

  • der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit,
    • der dann gegeben ist, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht bzw. wenn bei der Berücksichtigung aller Umstände die für den Ursachenzusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gegründet werden kann,
    • wobei die bloße Möglichkeit allerdings nicht ausreicht.

 

Darauf hat der 9. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) in Darmstadt mit Urteil vom 20.07.2015 – L 9 U 69/14 – hingewiesen und entschieden, dass für Aktivitäten, die im Rahmen einer vom Arbeitgeber organisierten (Führungskräfte-)Tagung einem abgrenzbaren, freiwilligen Freizeitprogrammteil zuzuordnen ist, kein Versicherungsschutz besteht.
In dem dieser Entscheidung zugrunde liegendem Fall war der Kläger, der bei seinem Arbeitgeber die Funktion des Leiters Zentrale Kundenbearbeitung bekleidete, bei einer Skiabfahrt, während einer von seinem Arbeitgeber organisierten Tagung für Führungskräfte gestürzt und hatte sich hierbei eine Verrenkung der Schulter und einen Bruch des Oberarmkopfes links zugezogen.
Nach der Entscheidung des 9. Senats des Hessischen LSG stellte sich der Skiunfall des Klägers, unter Berücksichtigung der obigen Grundsätze, deshalb nicht als Arbeitsunfall dar, weil das Skifahren, bei dem sich der Sturz ereignete, in keinem inneren oder sachlichen Zusammenhang mit der nach § 2 Abs. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit des Klägers als Leiter der Zentralen Kundenbearbeitung stand.

 

Versorgungsansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz

Sofern kein Leistungsversagungsgrund nach § 2 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) vorliegt, erhalten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG deutsche Staatsangehörige sowie nach den Absätzen 4 bis 6 zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehörende Ausländer, die im Geltungsbereich des OEG

  • in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben,
  • wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag vom Staat Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (BVG).

 

Als schädigenden Vorgang setzt § 1 Abs. 1 OEG einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff voraus oder einen, einem solchen tätlichen Angriff gleichstehenden Vorgang nach § 1 Abs. 2 OEG.
Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist dabei unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung in den §§ 113, 121 Strafgesetzbuch (StGB) auszulegen.

  • Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor.
  • Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung hinaus eine „feindselige Willensrichtung“ voraus.
    Dieses – einem Angriff im Wortsinn immanente – Merkmal dient dem Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozialadäquaten bzw. gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters.
  • Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat. Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung.
    Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat.

 

Grundsätzlich müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 OEG voll bewiesen sein.
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören

  • der schädigende Vorgang, das ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt,
  • die gesundheitliche Schädigung, das ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang und
  • die zu beurteilende Gesundheitsstörung.

 

Nach § 6 Abs. 3 OEG ist allerdings auch im Anwendungsbereich des OEG das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) mit Ausnahme der §§ 3 bis 5 KOVVfG anzuwenden, insbesondere auch die für Kriegsopfer geschaffene spezielle Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG.
Danach sind die Angaben eines Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, wenn für den schädigenden Vorgang (keine Zeugen und deshalb) keine Unterlagen vorhanden sind oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Glaubhaftmachung i. S. des § 15 KOVVfG bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, d. h. der guten Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können.
Die bloße Möglichkeit einer Tatsache genügt jedoch nicht, die Beweisanforderungen zu erfüllen.
Ob das Gericht die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht, obliegt seiner freien richterlichen Beweiswürdigung.
Die Anwendung dieses Maßstabes setzt aber voraus, dass der Antragsteller Angaben zu den entscheidungserheblichen Fragen aus eigenem Wissen machen kann und widerspruchsfrei vorträgt.

Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.

Darauf hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 27.08.2015 – L 6 VG 5227/14 – hingewiesen.

 

Unfall eines Schülers während einer von der Schule veranstalteten Rockparty

Schüler sind bei Teilnahme an einer Veranstaltung für die die Schule die organisatorische Verantwortung übernommen hat, gesetzlich unfallversichert.

Das hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in Mainz mit Urteil vom 03.02.2015 – L 3 U 62/13 – in einem Fall entschieden,

  • in dem eine Schülerin der 10. Klasse eines Gymnasiums während des Besuchs einer von der Schule seit Jahrzehnten einmal jährlich veranstalteten „Frühlings-Rockparty“, die sich vor allem an Schüler der 9. und 10. Klassenstufe als freiwilliges Angebot richtete, darüber hinaus aber jedermann offen stand und deren Erlös in die Kasse der Schülervertretung floss,
  • an einen Treppenabgang gestürzt war und sich schwerwiegende Verletzungen der Wirbelsäule zugezogen hatte, die umfangreiche ärztliche Behandlungen erforderlich machten.

 

Nach der Entscheidung des 3. Senats des Landessozialgerichts bestand für den Sturz der Schülerin Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchstabe b Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII).
Wie der Senat ausgeführt hat, ist für den Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bei einer von einer Schule veranstalteten Rockparty ausreichend, dass die Veranstaltung zumindest unter der organisatorischen Mitverantwortung der Schulleitung stattfindet, was dann der Fall ist, wenn

  • ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zur Schule sowie eine ausreichende tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten der Schulleitung auf die Vorbereitung und die Durchführung der Veranstaltung gegeben und
  • wirksame schulische Aufsichtsmaßnahmen gewährleistet sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteile vom 30.06.2009 – B 2 U 19/08 R – und vom 18.04.2000 – B 2 U 5/99 R –).

 

Dass der Teilnehmerkreis der Veranstaltung nicht auf Schüler der betreffenden Schule beschränkt ist, steht dem Unfallversicherungsschutz nicht entgegen,

  • solange die Schüler und insbesondere auch deren Eltern (oder sonstigen Erziehungsberechtigten) nach dem Gesamtbild der Veranstaltung unter Berücksichtigung von Planung, Ankündigung und Durchführung zweifelsfrei davon ausgehen können,
  • dass es sich um eine Veranstaltung der Schule handelt, bei der die teilnehmenden Schüler auch ordnungsgemäß beaufsichtigt werden.

 

Der Aufenthalt vor dem Veranstaltungsraum zur Führung einer Unterhaltung gehört dabei auch zu den versicherten Verrichtungen, so dass für den Unfall eines Schülers dort ebenfalls Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung besteht.